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Idealismus trifft auf Vielseitigkeit

Nach einem Schulabschluss an der inklusiven Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein stehen viele Wege offen

Victoria Baur ist Sozialpädagogin und arbeitet mit Kindern und Jugendlichen. (Bild: privat)

Victoria Baur war zu Beginn der 2000er Jahre Schülerin der inklusiven Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein. Nach ihrem Schulabschluss hat sie eine Ausbildung zur Zahntechnikerin gemacht, ein soziales Jahr in Deutschland und Ghana absolviert, einige Monate als Au-pair in England gearbeitet, ihr Fachabitur nachgeholt und schließlich Soziale Arbeit studiert. In diesem Interview berichtet über ihre Schulzeit und ihren Werdegang.

Wann kamen Sie an die inklusive Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein?

Ich kam zum Halbjahr des Schuljahres 2001/02 in die 6. Klasse der Montessori-Schule. Davor war ich auf zwei Gymnasien hier in München. Aber ich habe mich im Regelunterricht schwergetan und eine große Prüfungsangst entwickelt, die sich zunehmend verselbstständigt hat. Außerdem war ich ein sehr introvertiertes Kind.

Und wie kamen Ihre Eltern auf die Aktion Sonnenschein?

Meine Mutter war immer schon an der Montessori-Pädagogik interessiert. Die inklusive Pädagogik war dann ausschlaggebend für die Entscheidung, dass ich hierherkomme. Meine ältere Schwester konnte sich zunächst darunter nichts vorstellen und war nicht sehr begeistert, dass ich auf eine „Behindertenschule“ gehen sollte. Mittlerweile geht auch eine ihrer Töchter auf die Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein.

"Nichts Ungewöhnliches"

Zur damaligen Zeit machten sich viele Außenstehende sicher eine falsche Vorstellung davon, was „Inklusionsschule“ bedeutet. Wie haben Sie Ihre ersten Schultage in der Montessori-Schule erlebt?

Zu Beginn war mir alles recht fremd. Ich kam aus einer Klasse mit ca. 30 Kindern und Frontalunterricht in eine Klasse mit 16 Kindern in einem Stuhlkreis. Die ersten Tage habe ich nicht einmal meine Jacke ausgezogen, weil ich noch gefremdelt habe. Aber meine damalige Klassenleiterin, Frau Bock, gab mir die Zeit und den persönlichen Freiraum, mich in Ruhe einzugewöhnen. Dieser Prozess war nach einigen Wochen abgeschlossen und ich konnte mich immer selbstbewusster und aufgeschlossener bewegen.

Hatten Sie Berührungsängste im Umgang mit Kindern mit Förderbedarf?

In meiner Klasse waren acht Kinder mit Förderbedarf. Aber Berührungsängste gab es für mich nicht, da meine Mutter uns sehr weltoffen erzogen und uns einen ganz normalen Umgang mit Kindern, die einen besonderen Förderbedarf haben, vorgelebt hat. Darüber hinaus bin ich in Nymphenburg aufgewachsen und beinahe jeden Tag Menschen vom Blindeninstitut in der Romanstraße begegnet. Das war also nichts Ungewöhnliches für mich.

"Sehr dankbar dafür"

Sind Sie in der Rückschau froh darüber, die inklusive Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein besucht zu haben?

Ich bin meiner Mutter wirklich sehr dankbar dafür, dass sie damals diese Entscheidung für mich getroffen hat. Ich war ab der 7. Klasse im so genannten M-Zug, ich bekam Zusatzunterricht in Deutsch, Mathematik und Englisch. In der 9. Klasse konnte ich dann den Quali machen und anschließend die M-10 mit der Mittleren Reife abschließen.

Und damit begann ein sehr vielseitiger beruflicher Werdegang.

Ich machte zuerst eine Ausbildung zur Zahntechnikerin, den Kontakt bekam ich über Bekannte. Dort hatte ich auch schon mein Praktikum absolviert. Ich habe schon als Kind gerne handwerklich gearbeitet und gezeichnet und die dreieinhalbjährige Ausbildung hat mir Spaß gemacht. Anschließend arbeitete ich noch ein weiteres halbes Jahr im Betrieb. Ich hatte dann jedoch das Gefühl, noch etwas anderes in meinem Leben machen zu wollen.

Die kleinen Dinge schätzen gelernt

Daraufhin haben Sie sich dem Sozialwesen zugewandt. Gab es dafür einen Auslöser?

Die Idee war schon vorher da, nur unbewusst. Es gab zwei Erlebnisse, die schließlich den Wunsch wachsen ließen. Zum einen machte ich eine Backpacking-Reise mit einer Freundin durch Asien. Nachdem ich wieder zurück war, absolvierte ich ein Soziales Jahr: Erst arbeitete ich in einer Kita und Grundschule in München, dann vier Monate in einem Waisenhaus in Ghana und anschließend weitere fünf Monate als Au-pair in England.

Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Zunächst war das wirklich ein kleiner Kulturschock. Ghana ist ein Schwellenland und bei weitem nicht so fortschrittlich wie England oder Deutschland. Bei meinem Aufenthalt in Ghana wurde mir immer wieder bewusst, in welch einem Wohlstand die Menschen in den Industrieländern leben. So lernt man die „kleinen“ Dinge des Lebens zu schätzen wie fließend Wasser und Strom. Ich kam nach England, weil eine befreundete Familie mit ihren Kindern dorthin zog und mich fragte, ob ich sie nicht als Au-pair begleiten möchte. Die Kinder kannten mich bereits und ich freute mich auf diese Erfahrung. Eines der beiden Kinder geht mittlerweile mit meiner Nichte zusammen auf die Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein.

"Ich erinnere mich gerne zurück"

Nach diesem Jahr wurden Ihre beruflichen Zukunftspläne sehr konkret.

Der Tod meiner Großmutter war der eigentliche Auslöser, weshalb ich diese berufliche Auszeit genommen habe. Ich hatte dadurch eine Menge Zeit zum Nachdenken, da hat sich meine soziale Ader unwiderruflich gemeldet. Ich habe nach der Zeit als Au-pair in der Berufsoberschule (BOS) für Sozialwesen München das Fachabitur nachgeholt. Während des Studiums interessierte ich mich für verschiedene Praktika. Mein Praxissemester absolvierte ich bei der Ambulanten Krisenhilfe der Inneren Mission in München-Pasing. Nach meinem Bachelorabschluss fing ich im Modellprojekt IRIS der Inneren Mission München an, das inklusive Räume in Regelschulen einrichtete. Hier ging es um heilpädagogischen Zusatzbedarf während und nach dem Unterricht. Parallel dazu habe ich bei den „Frühen Hilfen“ gearbeitet. Das ist eine präventive Maßnahme bzw. Hilfestellung für Alleinerziehende mit einem Kind von null bis zu drei Jahren. Der Zugang lief über die zuständigen Hebammen, die Mütter blieben gleichzeitig für das Erfassungssystem anonym. Diese Arbeit ist besonders wichtig, da in dieser Zeitspanne schon kleine Veränderungen Großes bewirken können. An meinen Bachelor schloss ich noch einen Master in Düsseldorf an.

"Ich erinnere mich gerne zurück"

Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an Ihre Zeit bei der Aktion Sonnenschein zurückdenken?

Diese Frage wurde mir schon einmal gestellt: Während meines Studiums gab es ein eigenes Seminar über die Schulzeit von uns Studenten. Dabei mussten alle über ihre Schulerlebnisse und -erinnerungen berichten und ich war tatsächlich die Einzige, die auf eine glückliche Schulzeit zurückblicken konnte. Gute Schulerfahrungen sind offenbar nicht alltäglich. Ich erinnere mich gerne an unsere Klassenfahrten zurück z.B. nach Föhr oder Kroatien, aber auch an kleine Dinge, wie den Garten vor unserem Klassenraum oder an das Apfelstrudelrezept, das ich hier kennengelernt habe – meine Mutter liebt diesen Apfelstrudel bis heute. Einige Lehrernamen sind mir sehr präsent geblieben. Besonders wichtig war natürlich meine Klassenleitung Frau Bock. Sie hat mitentschieden, dass ich den freien Platz in ihrer Klasse bekomme und mir den nötigen Freiraum zugestanden, damit ich mich gut entwickeln konnte.

Halten sie noch Kontakt zu ehemaligen Mitschülern?

Ja, zu einigen habe ich noch Kontakt und weiß auch, was sie mittlerweile beruflich machen. Zwei davon gehören bis heute zu meinem engsten Freundeskreis.



 

 

 


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