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"Ich wollte nach dem Renteneintritt aktiv bleiben"

Johanna Schultz über ihr Ehrenamt als Gassigeherin

Johanna Schultz mit Little: Die Rentnerin ist seit 13 Jahren ehrenamtliche Gassigeherin im Münchner Tierheim. (Bild: eis)

Was mache ich nun mit all meiner Freizeit? Obwohl sich viele Menschen auf ihren Renteneintritt freuen, sehen sie sich nach wenigen Wochen mit dieser Frage unangenehm konfrontiert – zumal wenn der Freundes- oder Bekanntenkreis nicht sehr groß ist und Freizeitaktivitäten im Alleingang getätigt werden müssen. Langeweile, Einsamkeit und nicht selten Depressionen können die Folgen eines plan- und ziellosen Alltags sein.

"Ich wollte weiterhin aktiv bleiben und auf keinen Fall in so ein dunkles Loch fallen. Daher habe ich mir schon vorher Gedanken darüber gemacht, wie ich meine Freizeit sinnvoll gestalten kann", erklärt Johanna Schultz und klingelt bei der Quarantänestation des Münchner Tierheims. Eine Pflegerin öffnet die Tür und sieht sie wissend an – schließlich ist die 73-Jährige im Tierheim allseits bekannt. "Kann ich den kleinen Little nehmen?", fragt Schultz und trägt ihren Namen in eine Liste ein. Ihre Unterschrift ist auf dem Blatt Papier gleich mehrfach zu finden.

Neue Erfahrungen

Mit ihrem Renteneintritt im Jahr 2002 entschied sich Johanna Schultz als ehrenamtliche Gassigeherin tätig zu werden. Seit 13 Jahren führt sie fast täglich vier bis zehn verschiedene Tierheim-Hunde aus – bei jedem Wind und Wetter, manchmal bis zu sechs Stunden am Tag. "Davor hatte ich mit Hunden nie etwas zu tun", gesteht sie lachend. Einst habe sie Kaninchen gehabt, heute zwei Katzen aus dem Tierheim. Inzwischen weiß die Rentnerin aber bestens über die Vierbeiner Bescheid, denen sie jeden Tag ihre Freizeit und Aufmerksamkeit schenkt. Sie kennt oft deren Vergangenheit und Krankheitsverläufe und ist sensibilisiert, worauf sie bei welchem Hund achten muss. "Little darf zum Beispiel keine normale Hundenahrung essen. Deshalb muss ich mit ihm besonders aufpassen, dass er nichts von der Straße frisst." Der kleine Mischling habe eine schlimme Hautinfektion samt Hautpilz sowie eine eitrige und multiresistente Ohrenentzündung hinter sich. Immer noch plagen ihn Probleme mit der Gallenblase und den Nieren. Seit er aber bei den Ärzten des Tierheims in Behandlung sei, gehe es ihm schon viel besser. "Leckerlis bekommt er natürlich trotzdem, aber eben spezielle." Diese trägt Johanna Schultz in einer Frischhaltebox in ihrer Handtasche und belohnt den Rüden, wenn er brav an der Leine läuft. "Nicht alle sind so leicht zu führen wie Little", erzählt sie im Gehen, während ihr der 10-jährige Vierbeiner gehorsam folgt. "Einige sind wirklich stur. Dann muss man schon bestimmt sein und darf nicht nur auf das Tier einsäuseln." Besondere Achtsamkeit sei geboten, wenn ein anderer Hund sich nähere: "Man kennt ja die Vorgeschichte des Tierheim-Hundes nicht immer vollständig und weiß oft nicht, wie er auf Artgenossen reagiert. Deshalb ist dann Abstand zu wahren. Von der Leine dürfen sie sowieso nicht gelassen werden."

Aber man kann noch so aufmerksam sein, "wenn das Geschirr nicht richtig sitzt, steht man schnell mit der Leine in der Hand da", weiß Johanna Schultz. Einmal sei ihr dies bislang passiert: Ein Pudel habe sich durch das rasante Vorbeifahren eines Radlers erschreckt und sei davongerannt. "Natürlich habe ich sofort im Tierheim Bescheid gegeben und meinem Mann gesagt, er solle mit dem Auto zum Suchen kommen." Nach Stunden gelang es dem Tierheim-Team mit Hilfe des Ehepaars und einiger Passanten, die den Pudel gesichtet hatten, den erschöpften Hund ganz in der Nähe des Tierheim-Geländes einzufangen. "Gott sei Dank ist er wieder aufgetaucht! Während dieser Zeit hatte ich ein ganz schlimmes Gefühl", räumt Johanna Schultz aufrichtig ein. Seitdem kontrolliere sie Geschirr und Leine immer besonders aufmerksam.

Motivation pur

Einen eigenen Hund möchte sich die Rentnerin jetzt nicht mehr anschaffen, auch aufgrund der Katzen, die sie bei sich aufgenommen hat. "Früher war das wegen der Arbeit undenkbar, denn einen Hund sollte man nicht den ganzen Tag alleine lassen." Außerdem reise sie auch sehr gerne, was mit Vierbeinern nicht immer einfach sei. Heute teilt sie ihre Tierliebe und Zuwendung unter den vielen Tieren auf, um die sich sonst nur die Pfleger kümmern, welche aber zeitlich zu ausgelastet sind, um mit ihnen lange Spaziergänge zu machen. Natürlich sei es nicht immer angenehm bei Regen, Schnee oder Eiseskälte Gassi zu gehen. "Auch fällt es mir manchmal schwer, um 6.15 Uhr aufzustehen – zumal ich gerne lange wach bin. Ich muss an solchen Tagen eisern sein und denke mir: Hauptsache die Hunde bekommen ihre Bewegung!" Allein dieser Gedanke sei Motivation pur.

Das Gassigehen kann Johanna Schultz grundsätzlich allen Senioren empfehlen, die tierlieb sind und sich im Alter gerne fit halten möchten. "Natürlich muss man dafür gut zu Fuß sein, denn den Hunden sollte man schon etwas bieten. Wer ein paar Schritte tut und sich dann auf eine Parkbank setzt, lastet das Tier nicht richtig aus." Sie selbst passt ihre Geschwindigkeit der Gesundheit und Ausdauer des jeweiligen Vierbeiners an. Am Ende des Tages herrscht dann bei ihr große Zufriedenheit vor, denn "ich erfahre die Dankbarkeit der Hunde und weiß zudem, dass ich auch mir etwas Gutes getan habe."

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