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"Ich hatte immer viel Kraft"

Wie Felix Kain (22) mit den Spätfolgen seiner Krebserkrankung lebt

Jaqueline Fischbach und Steven Förster (rechts) sind neu im Team bei KONA. Felix Kain hält gerne Kontakt und kommt zu den Treffen, die die beiden Sozialpädagogen anbieten. (Bild: tab)

Montag: Klettern. Dienstag: Schwimmen. Mittwoch: Schießen. Donnerstag: Fußball. Freitag: Frei. Oder Freunde treffen. Oder doch wieder Sport ... Was sich liest wie das Trainingsprogramm eines Hochleistungssportlers, ist in Wahrheit die ganz normale Freizeitgestaltung eines 22-jährigen Mannes. Sein Name ist Felix Kain. Und seine Geschichte ist eine besondere.

Die Spätfolgen

Im Jahr 1999 ist der kleine Felix, damals gerade eineinhalb Jahre alt, mit seinen Eltern im Urlaub. "Meine Mutter hat festgestellt, dass es mir Scheiße geht", formuliert es Felix ganz trocken. Kurz darauf hat die Familie die Diagnose: Ihr Sohn ist an einem Hirntumor erkrankt. "Ich habe zwar noch Bilder vom Krankenhaus im Kopf, aber an die Behandlung selbst habe ich keine Erinnerung mehr", sagt der junge Mann. Felix wird behandelt. Die Hauptbehandlung dauert sechs Monate, er besiegt den Krebs. Aber die Krankheit hat Spuren hinterlassen. "Der Tumor hat meine Stimmbänder angegriffen und das Kleinhirn, das für den Gleichgewichtssinn zuständig ist." Felix bekommt mehrmals in der Woche Physiotherapie und geht zudem zur Ergotherapie. Er besucht zunächst einen konduktiven Kindergarten, dann eine konduktive Schule, also Einrichtungen, in denen sowohl Kinder mit als auch ohne Behinderung betreut und unterrichtet werden.

Raus aus dem Rollstuhl

Dass Felix heute so aktiv unterwegs ist, ist wohl in erster Linie seinem starken Willen und seiner positiven Grundeinstellung zu verdanken. Wenn er lacht (und er lacht viel), verwandeln sich seine Augen zu kleinen Sehschlitzen, man kann sich seiner ansteckenden Heiterkeit nicht entziehen. "Bis ich ungefähr zehn Jahre alt war, habe ich im Rollstuhl gegessen", blickt Felix zurück. Dann habe er entschieden, dass er das nicht mehr wolle. Er kämpft sich aus dem Rollstuhl, übt, trainiert, bis es klappt mit dem Gehen. "Ich hatte immer viel Kraft und habe mich durchgekämpft im Leben", sagt er.

Nach dem Hauptschulabschluss und einem Berufsvorbereitungsjahr absolviert er eine Lehre als Kaufmann für Büromanagement, ein einjähriges Praktikum, und währenddessen macht er auch noch seinen Realschulabschluss. Heute hat Felix eine Vollzeitanstellung bei einer Versicherung.

Ein neuer Alltag

Und er hat nach wie vor Kontakt zur Initiative krebskranker Kinder München e.V., genauer zu KONA, ein Projekt des Vereins, das es seit 2003 gibt: Die Koordinationsstelle psychosoziale Nachsorge für Familien mit an Krebs erkrankten Kindern ist Anlaufstelle nach der Intensivtherapie und unterstützt die Familien, sich im neuen Alltag wieder zurechtzufinden. Seit 1. September dieses Jahres sind Jaqueline Fischbach und Steven Förster (beide Sozialpädagogen) neu im Team. "Viele Familien fallen nach der Akuttherapie in ein Loch. Es gibt Einschränkungen, mit denen alle erst einmal zurechtkommen müssen", sagt Steven Förster. KONA berät und unterstützt die Familien in den verschiedenen Bereichen, bietet Seminare und Teffen mit anderen betroffenen Familien an und organisiert erlebnispädagogische Angebote für ehemalige Patienten und Geschwister, beispielsweise eine heilpädagogische Reitgruppe.

Ein Schwerpunkt von KONA ist der Bereich "Jugend & Zukunft", der junge Menschen ins Berufsleben begleitet. "Wir haben hauptsächlich Klienten, die an einem Hirntumor erkrankt waren oder während der Ausbildung daran erkranken", sagt Steven Förster. Bei "Jugend & Zukunft" helfe man beispielsweise bei der Lehrstellensuche, stelle Kontakte zu Trägern der beruflichen Integration her oder führe Einzelberatungen. "Für viele Klienten ist es wichtig, dass man ihnen eine Strukturierung vorgibt, sie vielleicht auch mal zu einem Termin begleitet", sagt Jaqueline Fischbach.

Neues Angebot

Felix Kain wurde vor einigen Jahren selbst von KONA begleitet. Ein Angebot, das er gerne angenommen hat. "Mir wurde bei der Suche nach einer Praktikumsstelle geholfen, beim Bewerbungsschreiben und ich wurde zur Arbeitsagentur begleitet", sagt er. Obwohl er inzwischen fest im Berufsleben steht, hält er weiterhin Kontakt zu KONA, denn Jaqueline Fischbach und Steven Förster haben ein neues Treffen ins Leben gerufen, mit dem sie ihre Klienten möglichst niederschwellig vernetzen möchten. "Dass jemand so aktiv ist wie Felix und so viel unternimmt, ist leider eher selten", erklärt Steven Förster. "Wir wollen den Betroffenen die Möglichkeit geben, soziale Kontakte zu schließen, hinauszugehen und etwas mit anderen zu unternehmen. Worüber sich natürlich auch die Eltern freuen." Bei den regelmäßigen Treffen geht es Jaqueline Fischbach und Steven Förster vor allem darum, dass ihre Klienten ab 16 Jahre aktiv werden und gemeinsam Spaß haben. Die Idee kommt gut an. Schon das erste Treffen hatte regen Zulauf. "Wir waren hier bei uns im Raum von KONA, haben einfach zusammengesessen und Pizza gegessen. Es macht Freude, sich auszutauschen, sich vielleicht auch ein paar Anregungen zu holen und nicht nur auf die Krebserkrankung reduziert zu werden." Beim zweiten Treffen sei es dann hinausgegangen: zur Tollwood-Eröffnung. "Die jungen Leute haben sich rasch kennengelernt und sofort verstanden. Es war ein toller Abend. Und ein Teilnehmer hat sich ganz nebenbei Tipps geholt, wie er sich für eine Reha anmelden kann", erzählt Steven Förster begeistert.

Felix Kain wird beim nächsten Treffen bestimmt auch wieder dabei sein. Als er die Geschäftsstelle von KONA in der Belgradstraße verlässt, rauscht gerade seine Straßenbahn heran. Er verabschiedet sich rasch und läuft los. Es ist Donnerstagabend. Zum Fußballtraining schafft er es heute nicht mehr. Aber im Schützenverein sind zurzeit donnerstags die Wettbewerbe. Da möchte er an diesem Abend noch hin. Nachhause in den Landkreis Ebersberg. Er wird es schaffen. Mit seinem starken Willen. Und diesem Wahnsinnslachen.


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