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"Ich habe tunlichst vermieden, Sängerin zu werden"

Noten waren noch nie alles - das zeigen unsere "ältesten Zeugnisse"

Die Sommerferien sind schon zum Greifen nah und am Dienstag, dem letzten Schultag, gibt es für die Schülerinnen und Schüler wieder Zeugnisse. Diese amtlichen Dokumente, die früher auch gern "Klopapier mit Geisterschrift und Hexenstempel" genannt wurden, können für Freude und Stolz, für Enttäuschung oder sogar für große Verzweiflung sorgen. Winziger Trost für die Schülerinnen und Schüler von heute: Das war früher auch schon so. Und mit Abstand betrachtet verliert das Papier an Schrecken. Irgendwann wird es sogar richtig amüsant. Oder bekommt sogar historischen Wert. Wir suchten Münchens ältestes Schulzeugnis und haben jede Menge wunderschöner Einsendungen bekommen: Eigene Zeugnisse, Zeugnisse von Eltern, sogar von Großeltern und Urahnen – Zeugnisgeschichte bis ins 19. Jahrhundert zurück und nicht nur aus Münchner Schulen. Schließlich waren manche Stadtviertel zu der Zeit, als "unsere" Zeugnisse geschrieben wurden, noch eigenständige Dörfer, die noch lange nicht zu München gehörten. Und viele, die heute in München leben, haben (Ur-) Großeltern, die ganz woanders her kamen - mobil und flexibel ist man nicht erst seit unseren Tagen. Präsentieren können wir hier nur eine kleine Auswahl der Schuldokumente – allen Einsendern herzlichen Dank!

"Unsagbare Freude im Beruf"

"Die wohlerzogene, stille Schülerin tat ihre Pflicht mit anerkennenswertem Fleiß" bescheinigte die Volksschule an der Franz-Nißl-Straße in Allach der Achtklässlerin Edith in ihrem Entlassungs-Zeugnis vom 14. Juli 1948. Ihre Leistungen in den Schulfächern waren "gut" bis "befriedigend", einzig im "Singen" erhielt sie ein "mangelhaft". Dazu schreibt uns die Einsenderin: "Ich habe tunlichst vermieden, ,Sängerin' zu werden, aber mein erworbener Beruf als Chef-Sekretärin hat mir bis zum Erhalt meiner Rente unsagbare Freude bereitet."

Dokumente in alter deutscher Schrift

"Hildegard bemüht sich" steht in schönster deutscher Sütterlinschrift auf einem Zeugnis aus der Mädchenschule an der Fürstenrieder Straße von 1940. Die Fächer hießen damals "Deutsche Sprache", "Rechnen" und "Heimatkunde", da hatte sie die Note 3, in "Singen" und "Turnen" eine 2. Was aus ihr schließlich geworden ist, verrät uns Einsenderin Hildegard auch: Verkäuferin, Abteilung Kleiderstoffe, 43 Jahre lang berufstätig, auch als Lageristin und Sachbearbeiterin.

"Still an der Thüre warten"

Mit einer Schulordnung von 1903 konnte Robert Rauch aufwarten:

"1. Die Kinder haben pünktlich zur bestimmten Zeit, an Körper und Kleidung anständig, mit den erforderlichen Schulsachen versehen, in dem Schulzimmer zu erscheinen, sich sofort an ihre Plätze zu setzen und alles zum Unterricht Nötige in Bereitschaft zu legen.

2. Wer während des Gebetes oder Gesanges kommt, hat bis zur Beendigung desselben still an der Thüre zu warten und dann sich bei dem Lehrer zu entschuldigen. Wer erst nach dem Beginn des Unterrichts kommt, hat dem Lehrer den Verhinderungsgrund anzuzeigen.

3. Während des Unterrichts sollen die Schüler still, ruhig, in gerader und anständiger Haltung auf ihren Plätzen sitzen, die Hände auf den Tisch legen und sich mit den Füßen ruhig auf dem Boden halten. Alles, was den Unterricht hemmt oder stört, wie Essen, Spielen, Scharren oder Stampfen mit den Füßen, Schwatzen, Lachen, eigenmächtiges Verlassen des Platzes ist untersagt ...

10. Die Schüler sind verpflichtet, die Schule regelmäßig zu besuchen. Ist ein Kind durch Krankheit am Schulbesuch gehindert, so ist dem Lehrer in Bälde vonseiten der Eltern oder Fürsorger Anzeige zu machen ...

"Folgsam, bescheiden und höflich"

11. In allen anderen Fällen, namentlich bei der Verwendung der Kinder zu häuslichen oder gewerblichen Geschäften, ist die Versäumnis des Unterrichts nur nach vorher eingeholter Erlaubnis gestattet ...

15. Gegen den Lehrer haben sich die Schüler stets folgsam, wahrheitsliebend, bescheiden und höflich zu benehmen ...

18. Fluchen, Schimpfen, Schlagen, Werfen, Nachspringen hinter Fuhrwerken, Anhängen oder unbefugtes Aufsitzen auf solche, darf nicht vorkommen. Nach dem Abendgebetläuten sollen sich Schulkinder nicht mehr zwecklos auf den Straßen und öffentlichen Plätzen umhertreiben..." - jawoll!

Außerdem hat Robert Rauch das Schlusszeugnis seines Vaters eingereicht, es ist von der Volkshauptschule an der Hirschbergstraße und vom 14. Juli 1920. Eingetragen sind nicht nur Noten, sondern auch Impfungen.

"Trotzdem drei Mal verheiratet"

Doris Weber schickte uns das Zeugnis ihres Vaters, das 1914, also genau vor 100 Jahren, von der Schule am Winthirplatz ausgestellt wurde. Dazu schreibt sie: "Trotz des ,ein sehr lobenswürdiges Betragen' im Zeugnis hat mein Vater es geschafft, bis zum Jahre 1938 drei Mal verheiratet gewesen zu sein." Nach der Schule machte er eine Lehre als Bürokaufmann, um danach 1917 als 17-Jähriger im Ersten Weltkrieg einzurücken. In den 20er Jahren war er in Spanien im Hotelgewerbe beschäftigt, ehe er nach München kam.

Das Zeugnis ihres Schwiegervaters von 1913 hat uns Sieglinde Trautmann geschickt. Sehr gute bis gute Leistungen werden ihm bescheinigt. "Er hat Eisengießer gelernt und hat an mehreren Statuen in Bayern mitgearbeitet", weiß sie über seinen weiteren Lebensweg.

Das Zeugnis von Maria Reitmaier vom 28. April 1897 trägt den Titel "Werktagsschul-Entlass-Schein" und ist gezeichnet vom Königlichen Lokalschulinspektor.

Der Gewinner von 1850

Das älteste bei uns eingegangene Zeugnis stammt aus dem Jahr 1850. Die Allacher Geschwister Traudl Glasby und Franz Feis haben das Schulentlassungszeugnis ihres "Stiefururgroßvater" Simon Huber eingeschickt. Die Schule, die der Bauernsohn damals in Pullhausen besuchte, gibt es immer noch: Sie wird heute als Kindergarten genutzt. Schon seit Generationen hat die Familie Verbindungen nach Allach: Die Kinder Simon Hubers besuchten die Sonntagsmesse entweder dort oder in Untermenzing. Der Großvater der beiden Geschwister betrieb intensiv Ahnenforschung; er bewahrte das alte Zeugnis gut auf. "Da war doch was", erinnerte sich Franz Feis, als er unseren Aufruf las, und stieß schnell auf das Dokument. Auch er forscht zu seinen Ahnen. "Als wir Kinder waren, hatten wir eine Tante von der Schwanthalerhöhe, die uns oft besuchte", erzählt er, Fanny Bühler hieß sie und verstarb kinderlos. Näheres hat er zu ihr bisher nicht herausfinden können und hofft auf Hinweise unserer Leser.


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