Wochenanzeiger München Wir sind Ihr Wochenblatt für München und Umland

"Ich habe nichts Ansteckendes, nur Parkinson!"

Gerhard Schumann über das Leben mit der Krankheit, gesellschaftliche Vorurteile, Ängste und das Potenzial vo

Gerhard Schumann, Leiter der Deutschen Parkinson Vereinigung e.V. Regionalgruppe München, sammelt gerne Kraft in der Natur. (Bild: privat)

Morbus Parkinson – auch Parkinson-Krankheit genannt – ist eine der bekanntesten und häufigsten Erkrankungen des Nervensystems. Im Jahr 1817 hat der britische Arzt James Parkinson zum ersten Mal die typischen Symptome, die jedoch sehr mannigfaltig sein können, beschrieben. Obwohl die Krankheit seit über 200 Jahren bekannt ist, gibt es in der Gesellschaft immer noch große Wissenslücken und, darauf basierend, den Erkrankten gegenüber Vorurteile.

Gerhard Schumann erhielt im September 2010 die niederschmetternde Diagnose. Nach einer Phase der Verdrängung und Verzweiflung hat sich der dreifache Familienvater wieder aufgerappelt und verfolgt seitdem das Ziel, Öffentlichkeit und Verständnis für Betroffene und deren Angehörige zu schaffen. Seit Mai 2016 ist er der Leiter der Deutschen Parkinson Vereinigung e.V. Regionalgruppe München.

Elisabeth Schönberger-Seubert hat mit ihm über das Leben mit der Krankheit, gesellschaftliche Vorurteile, Ängste und das Potenzial von Selbsthilfegruppen gesprochen.

 

"Jeder Betroffene hat 'seinen eigenen Parkinson'"

Herr Schumann, Sie leben seit zehn Jahren mit Parkinson, einer Krankheit, die sich schleichend entwickelt und unglaublich vielfältige Symptome aufweisen kann. Eine eindeutige Diagnose ist daher oft schwierig. Bei Ihnen wurden im Alter von 42 Jahren zunächst Tennisarm, Kalkschulter und Nervenentzündung diagnostiziert. Die Untersuchung beim Neurologen brachte schließlich Gewissheit.

Aus eigener Erfahrung und Expertise als Leiter der Deutschen Parkinson Vereinigung e.V. Regionalgruppe München heraus: Gibt es Symptome, die bei der Erkrankung an Morbus Parkinson besonders häufig vorkommen?

Gerhard Schumann: Grundsätzlich hat jeder Betroffene „seinen eigenen Parkinson“. Das bedeutet: Jeder leidet an anderen Symptomen in unterschiedlicher Ausprägung. Meist verstärken sich erst im Laufe der Zeit die Beschwerden. Die ersten, oft nicht zuzuordnenden Beschwerden können zum Beispiel Rückgang des Geruchssinns oder verstärktes Schwitzen beim Schlaf sein. Die klassischen Symptome wie das Zittern, die Muskelsteifigkeit, sowie eine grundsätzliche Verlangsamung der Bewegungsabläufe wird in der Regel von den Betroffenen erst danach wahrgenommen.

 

"Keine Angst vor der Untersuchung"

Die Angst vor Schmerzen und unbekannten Situationen mag ein Grund dafür sein, weshalb viele Menschen den Gang zum Arzt vermeiden oder möglichst lange aufschieben. Um die Sorge zu nehmen: Was geschieht bei einer neurologischen Parkinson-Untersuchung?

Gerhard Schumann: Gleich mal vorweg: Vor der „Parkinson-Untersuchung“ braucht man überhaupt keine Angst zu haben. Ich möchte fast behaupten, ein erfahrener Parkinson Neurologe sieht es Ihnen oftmals bereits an. Natürlich gibt es aber auch Untersuchungsmethoden, die den Parkinsonverdacht erhärten. Diese erste Untersuchung erfolgt meist „mechanisch“, das heißt der Betroffene wird aufgefordert, verschiedene Bewegungen zu machen. Ist das Untersuchungsergebnis nicht eindeutig, folgt oft der L-Dopa-Test. Hier wird getestet, ob sich die Beschwerden durch Einnahme eines Dopa-Medikaments verbessern. Spricht der Patient darauf an, erhärtet sich der Krankheitsverdacht. Bestehen danach noch immer Zweifel, ist eine Abklärung mittels Computertomographie und/ oder Magnetresonanztomographie manchmal hilfreich.

 

"Man wird schnell in die 'Alkoholiker-Ecke' gestellt"

Seit vielen Jahren engagieren Sie sich dafür, Öffentlichkeit und Verständnis für Erkrankte zu schaffen: Sie haben mehrere Bücher geschrieben, Ihre Erlebnisse in der Fotoausstellung „Parki und ich“ dargestellt und helfen als Münchner Leiter der Deutschen Parkinson Vereinigung e.V. Regionalgruppe München Betroffenen und ihren Angehörigen, mit der Krankheit besser umzugehen.

Was kann Ihrer Meinung nach die Gesellschaft dazu beitragen, dass Betroffene besser verstanden werden und sich nicht ausgegrenzt fühlen?

Gerhard Schumann: Besonders die jüngeren Erkrankten leiden oft unter unverständlichen Blicken und doofen Sprüchen, wenn sie zum Beispiel beim Einkaufen das Kleingeld nicht aus dem Geldbeutel bekommen, weil die Hand in diesem Moment zu zittern beginnt. Schnell wird man da in die „Alkoholiker-Ecke“ gestellt. Gleiches gilt, wenn man einen unsicheren Gang hat. Auch ich beobachte das noch heute bei mir selbst und es tut noch immer weh. Grundsätzlich lässt sich die Gesellschaft nur schwer beeinflussen. Ich halte es daher meist so, dass ich aktiv auf die Leute zugehe. Viele sind dann peinlich berührt. Einige suchen aber auch das Gespräch mit mir. Mein Standardspruch ist dabei in der Regel: „Ich habe nichts Ansteckendes, nur Parkinson!“

 

"Sich mit Gleichgesinnten auszutauschen ist das A und O"

Und was kann jede/r Betroffene selbst tun, um sich nicht ausgegrenzt zu fühlen?

Gerhard Schumann: Mir hat der Weg in die Selbsthilfegruppe geholfen. Sich dort unter Gleichgesinnten auszutauschen ist meines Erachtens das A und O. Und möglichst offen mit der Behinderung umgehen, um sich selbst den Druck zu nehmen und sich nicht verstellen zu müssen. Mir ist aber klar, dass das nicht jedem leicht fällt. Auch ich verschiebe den Gang aus dem Haus, wenn ich gerade in einem OFF bin und mich nur schwer bewegen kann. Nicht zuletzt ist es keine Schande psychologische Hilfe zu suchen, wenn man mit der neuen Lebenssituation nicht klar kommt.

 

"Ein wichtiger Schritt ist gegenseitige Toleranz"

Die Diagnose Parkinson erschüttert nicht nur das Leben des Betroffenen, auch die Angehörigen sind oft verunsichert. Zu welchem Umgang mit dem Erkrankten raten Sie? Wie können Angehörige am besten unterstützen?

Gerhard Schumann: Da gibt es kein Patentrezept. Angehörige, allen voran die Lebenspartner, bekommen mit einem „Parki“ an ihrer Seite einen ziemlich großen Rucksack umgehängt. Die Interessen, Bedürfnisse und nicht zuletzt die körperlichen Fähigkeiten gehen im Laufe der Jahre oft auseinander. Da ist es kein Wunder, wenn Beziehungen zerbrechen. Ein wichtiger Schritt ist wahrscheinlich die gegenseitige Toleranz.

 

"Ein geschützter Raum, in dem man einfach mal zittern darf"

Was können Selbsthilfegruppen Erkrankten bieten?

Gerhard Schumann: Ich kann nur für unsere Selbsthilfegruppe sprechen. Wir tauschen uns regelmäßig über alle Themen aus, die uns auf dem Herzen liegen. Wir unterstützen uns gegenseitig mit Informationen „aus erster Hand“. Was hat Dir geholfen? Wie löst Du das Problem? Kennst Du vielleicht einen guten Arzt oder Therapeuten? Auch Angehörige sind zu unseren Treffen natürlich recht herzlich willkommen. Denn auch die Angehörigen können sich untereinander austauschen und ihre Sorgen und Alltagsprobleme rund um die Parkinson-Erkrankung teilen. Alles in allem sehe ich die Selbsthilfegruppen als geschützten Raum, wo man sich nicht verstellen muss und auch „einfach mal zittern darf“!

 

"Wir müssen etwas vorsichtiger agieren"

Wie geht die Selbsthilfegruppe der Deutschen Parkinson Vereinigung Regionalgruppe München mit Corona um?

Leider geht es unserer Selbsthilfegruppe da nicht anders, als allen anderen. Die persönlichen, wöchentlichen Sprechstunden in unserem Regionalgruppenbüro in Pasing haben wir ausgesetzt und dafür vermehrt telefonische Beratung geleistet. Auch die Mail-Anfragen haben deutlich zugelegt. Unsere Treffen in den einzelnen Stadtteilen kommen nun auch erst wieder langsam in Schwung, da die Veranstaltungsorte (Altersheime, Cafés u.ä.) gesperrt, bzw. wegen gesetzlicher Vorgaben nicht zur Verfügung standen. Wir müssen aufgrund unserer chronischen Erkrankung mit Face-to-Face-Treffen einfach etwas vorsichtiger agieren, um unsere Mitglieder nicht zu gefährden. Daher wägen wir besonders genau ab, welche Veranstaltungen wir auf unserer Homepage veröffentlichen.


Verwandte Artikel

Startseite Anzeige aufgeben Zeitung online lesen Jobs Kontakt Facebook Anfahrt