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„Heimat in der Ferne“

Wie ein junger Kriegsflüchtling in Deutschland Halt fand

Im Vereinsheim der Bezirkssportanlage Thalkirchen ist einiges los. Drei Fußballvereine teilen sich die Sportstätten: SpVgg Thalkirchen Freundschaft, Latino Munich e.V. und der FC Bosna i Hercegovina. Junge Männer sitzen in Sportklamotten oder mit ihren Sporttaschen an den Tischen, unterhalten sich, lachen und genießen die gemeinsame Zeit nach dem Training. Was hier zu sehen ist, nämlich Gemeinschaft, ist eine Besonderheit, weiß Edis Mulaosmanovic. „Ich musste drei Mal ein komplett neues Leben anfangen, neue Sprachen und fremde Kulturen verstehen lernen“, erklärt der junge Bosnier. Heute ist er Vizepräsident des FC Bosna i Hercegovina und musste in seinem Leben viele Hürden meistern. Als Kriegsflüchtling kam er mit seiner Familie 1993 nach Deutschland, doch nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis führte die Reise weiter. „Es war, als würde man jedes Mal die Zeit zurückspulen und dieselben Probleme nochmal durchleben – nur an einem anderen Ort.“ Anschluss fand er trotzdem immer rasch, nämlich über den Fußball. Der Vereinssport in Deutschland war es letztendlich auch, weshalb sich Edis Mulaosmanovic sieben Jahre lang in den USA aufhielt – nur um endlich wieder nach Deutschland zurückkehren zu dürfen.

Vom Winde verweht

Geboren wurde Edis Mulaosmanovic in der Stadt Bijeljina, die sich im Dreiländereck Kroatien-Serbien-Bosnien und Herzegowina befindet. Als im April 1992 der Krieg ausbrach, war er 13 Jahre alt. „Ich war damals zu jung, um die Zusammenhänge nachvollziehen zu können. Erst später habe ich die Politik dahinter verstanden und mich auch mit meiner Familie und Verwandten darüber unterhalten“, gesteht er ein. „Vom Krieg selbst habe ich nicht viel mitbekommen. Meine Eltern haben immer versucht, mich und meine jüngere Schwester zu schützen.“ Aus diesem Grund floh der Vater nach Deutschland und traf Vorbereitungen. Ein Jahr später konnten seine Frau und die zwei Kinder als Flüchtlinge hinterher reisen.

„Wir wagten in Ehingen bei Ulm einen Neuanfang. Das war nicht einfach. Keiner von uns konnte die Sprache, die Umgebung und die Kultur waren uns völlig fremd. Aber wir lebten uns schnell ein und versuchten uns überall zu integrieren“, erzählt der 34-Jährige. Er trat der Fußballabteilung SG Dettingen in der B-Jugend bei, fand dort neue Freunde und wuchs mit dem Verein. Zielstrebig machte er seinen Hauptschulabschluss und begann in der Berufsschule eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker. 1995 endete der Bosnienkrieg, was die Familie Mulaosmanovic vor eine schwere Entscheidung stellte: „Unser Aufenthalt in Deutschland sollte hier enden. Aber in Bosnien hatten wir nichts mehr und die wirtschaftliche Situation dort war katastrophal. Ein Neuanfang wäre also gar nicht möglich gewesen“, erinnert er sich zurück. Zudem befand er sich noch in der Ausbildung, die er in der Heimat nicht hätte beenden können. „Wir fanden heraus, dass es in Amerika, Kanada und Australien schulische Programme gab, die mir ermöglichen sollten, meinen Abschluss in einem dieser Länder zu absolvieren. Ich bewarb mich – und wurde wie durch ein Wunder in den USA aufgenommen, obwohl meine Leistungen nicht herausragend waren.“

Also hieß es Abschied nehmen. Bei der Erinnerung daran überkommt Edis Mulaosmanovic immer noch Wehmut: „Das Schlimmste war, den Fußballverein verlassen zu müssen. Die Leute gaben eine Abschiedsfeier für mich, schenkten mir ein unterschriebenes Trikot. Alle waren da – Vereinsmitglieder, Freunde, Eltern. Es tat schrecklich weh. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich in die USA ging, nur um eines Tages nach Deutschland zurückzukommen.“

Mit Deutschland vor Augen

So begann das ganze Spiel in Des Moines, Iowa, für die Familie von vorne: Keine Sprachkenntnisse, keine Freunde, eine völlig andere Kultur. Wieder war es der Fußball, über den der Bosnier neue Bekanntschaften schloss: „Ich suchte mir so schnell wie möglich einen neuen Verein, denn so kann man am schnellsten Leute kennenlernen.“ Der Zusammenhalt im bosnischen Fußballverein gab ihm Halt und erleichterte seinen Aufenthalt. Er fand eine Arbeit, machte neue Bekanntschaften, belegte einen Sprachkurs und lernte seine Freundin bosnischen Ursprungs kennen, mit der er heute seit über zehn Jahren verheiratet ist.

„Ich habe meiner Frau von Anfang an gesagt, dass ich nicht in den USA bleiben möchte. Sie wusste also, worauf sie sich mit mir einlässt“, lacht er. Zu groß war seine Liebe für Deutschland. Eine Rückkehr war als amerikanischer Staatsbürger jedoch leichter zu meistern als mit bosnischem Pass. Fünf Jahre lang wartete er daher auf die Einbürgerung und es dauerte weitere zwei Jahre, bis sein Traum in Erfüllung gehen sollte – jedoch nicht ohne einen Haken: „Ich wollte eigentlich nach Ehingen zurück, aber viele meiner Freunde waren schon weggezogen. Ich hätte dort also kaum jemanden gehabt. Ein Bekannter riet mir dann, nach München zu gehen, weil der Arbeitsmarkt dort besser sei. Ich folgte seinem Rat – und begann hier noch einmal bei Null.“

Das Herz schlägt für...?

Kaum in der Landeshauptsstadt angekommen, trat Edis Mulaosmanovic 2009 dem FC Bosna i Hercegovina bei. „Vereine haben mich immer wieder aufgefangen und waren mir immer eine Heimat in der Ferne“, erklärt er dankbar.

Während all dieser bewegten Zeit war Edis Mulaosmanovic begeisterter Anhänger der bosnischen Nationalmannschaft: „Ganz gleich wo sie gespielt hat oder heute noch spielt: Wenn ich kann, fahre ich hin! So habe ich viele Bosnier kennengelernt, die der Krieg damals in alle Himmelsrichtungen verstreut hat. Man sieht sich meist nur bei den Spielen, aber wir sind alle sehr eng miteinander verbunden.“ So gründeten die Münchner unter ihnen die Fangruppe „BiH Fantomi Munich“ und fanden rasch Sponsoren.

Seit November 2012 ist er nun Vizepräsident des FC Bosna und erneuert aktuell die Vereinsstrukturen. "Wir hatten viel zu wenig junge Spieler. Der Verein war kurz vor dem Aus, auch weil der Vorstand viel zu häufig wechselte. Jetzt ist die Situation stabil, die Leitung arbeitet gut zusammen und wir streben nach guten Kontakten zu anderen Vereinen. Seit Januar konnten wir 29 neue Spieler gewinnen."  Insbesondere den Jugendlichen möchte er ein Vorbild zu sein, weshalb er auch die Initiative "Fairplay München" unterstützt: „Ich möchte die jungen Spieler lotsen, ihnen zeigen, dass Zusammenhalt, Disziplin und gegenseitiger Respekt das Wichtigste ist – sowohl im Fußball als auch im ganzen Leben.“

Über die Frage, welchem Land sein Herz nun gehöre – Deutschland oder Bosnien – zerbricht er sich lange den Kopf: „Ich würde sagen, mein Herz schlägt für Bosnien. Aber genauso liebe ich Deutschland. Ich finde es wichtig, dass man sich überall, ganz gleich wohin das Schicksal einen verschlägt, integriert und jedem gegenüber aufrichtig und diplomatisch ist. Man muss immer die Kultur eines Landes respektieren ohne sich dabei selbst zu verlieren.“ Diese Einstellung spiegelt sich auch im Logo der Fangruppe „Fantomi Munich“ wider: Die Fransen der Kutte stellen bei genauerem Hinsehen das München-Panorama dar und vereinen symbolisch zwei Kulturen - ohne die Charakteristika der jeweils anderen zu überdecken.

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