"Geht da nicht auch vieles kaputt?"
Vereine im Wandel: Fehlende Räume, wachsende Ansprüche und Zeitmangel plagen - Spaß macht's trotzdem
Es gibt die unterschiedlichsten Vereine, in denen Bürger sich mit Brauchtum beschäftigen, ihren Interessen nachgehen und Gleichgesinnte treffen können; sei es im Sport, in der Kultur oder in klassischen Bereichen wie Schützen- oder Trachtenvereinen. Damit sind Vereine das „Salz in der Suppe der Gesellschaft“, denn sie bieten einen Ausgleich zur stressigen Leistungsgesellschaft und sorgen ebenso für Geselligkeit und Betreuung, sei es im Nachmittagsprogramm der Kinder oder für Senioren.
Doch viele Vereine drücken Nachwuchssorgen. Was können und was müssen Vereine heutzutage leisten? Wie viel bürgerschaftliches Engagement ist nötig, um Vereine erfolgreich zu betreiben? Zerstört die gesellschaftlich geforderte Mobilität die Idee des Vereins? Sterben Vereine langsam aus? Wie könnte die Zukunft der Vereine aussehen? Über diese Fragen sprachen die Wochenanzeiger mit ehrenamtlichen Vorständen verschiedener Vereine in München und dem Landkreis.
"Es macht Spaß"
Sie stecken seit vielen Jahren Zeit, Geduld, Kraft und Energie in Ihre Vereine – und dies alles ehrenamtlich und zusätzlich zu Beruf und Familie. Wie schaffen Sie das? Wie motivieren Sie sich immer wieder aufs Neue für diese Mehrfachbelastung?
Volker Wettmann: Durch Zufall bin ich 2001 zum Vorsitzenden des VdK geworden und nun für vier Jahre wiedergewählt. Ich habe mir die ehrenamtliche Beratung zu Rentenfragen und Versorgung zum Thema gemacht und kämpfe für eine Rentenerhöhung. Das ist meine Motivation. Nebenbei freue ich mich über die Geselligkeit, die das Vereinsleben mit sich bringt. Ich sorge für spannende Veranstaltungen und ein volles Haus. Das gefällt mir.
Peter Köstler: Die Art der Vereine gibt die Motivation und auch die unterschiedliche Intensität des Beteiligens vor, ganz klar. Aber warum macht man das? Aus Freude, aus Spaß. Weil es Gemeinschaft und neue Freunde bringt. Es ist eine Erfüllung, sich mit anderen und für andere zu engagieren.
Anneliese Bradel: Zur Zeit brauche ich 140 Prozent meiner Zeit für das Martinsrieder Dorffest. Doch es macht Spaß. Wenn alles läuft und die Menschen Spaß haben, ziehen wir daraus wieder Zufriedenheit. Dann sage ich am Jahresende: Es hat sich gelohnt und schön war's. Wir sind eine Truppe mit unterschiedlichen Leuten, die man so nie im Bekanntenkreis hätte. Aber im Verein ziehen alle an einem Strang und das gibt Freude und Befriedigung. Das treibt mich weiter, auch trotz vieler Arbeit und mancher Widrigkeiten.
Georg Felbermayr: Es macht Spaß. Die Freude ist wichtig, wenn man einen Verein leitet. Man kann etwas verändern als Vorstand, wenn man die Leute begeistern kann. Und wenn man die Leute begeistern kann, dann hat der Verein eine Zukunft. Daraus erwächst neue Freude und ein wunderbares Zusammengehörigkeitsgefühl. Das ist das Hauptargument.
"Dem Ort mit Leib und Seele verbunden"
Viele von Ihnen engagieren sich gleich mehrfach ehrenamtlich. Führt also ein Ehrenamt zum nächsten?
Georg Felbermayr: Auch. Ja, natürlich.
Peter Köstler: Wenn man sich der Sache "Vereine“ verschrieben hat, dann zieht es einen weiter. Das bleibt gar nicht aus. Das Engagement und das Verantwortungsgefühl tragen einen weiter.
Jürgen Hennig: Es muss Spaß machen. Sonst würde ich nicht so viele Stunden in einen Verein stecken. Und was wir alles machen! Nehmen wir nur die Flößerwallfahrt. Die bedeutet einen Riesenaufwand, jedes Jahr aufs Neue. Für mich ist es wichtig, dass etwas los ist bei uns in Thalkirchen. Sonst wäre der Ort ein verschlafenes Dorf. Und der Erfolg gibt uns Recht.
Anneliese Bradel: Das Privatleben darf nicht leiden, das ist wichtig. Bei uns in Planegg wird die Vereinsarbeit stark gepflegt, gefördert und hoch geachtet. Die Gemeinde erkennt an, dass diese Leistung für die Gesellschaft überhaupt nicht selbstverständlich ist.
Manfred Tschöpe: Ich bin in Forstenried geboren und aufgewachsen, kenne hier jeden und bin dem Ort mit Leib und Seele verbunden. Ich will, dass im Ortskern etwas los ist. Leider Gottes ist das Ehrenamtliche nur auf wenige Köpfe verteilt. Das ist schade.
"Die Leute haben nicht mehr so viel Zeit"
Würde denn nichts passieren, wenn Sie nicht tätig wären?
Manfred Tschöpe: Eindeutig ja.
Georg Felbermayr: Das ist die Frage!
Hans-Georg Krause: Mir fällt auf, dass sich das Engagement in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert hat. Die Leute haben nicht mehr so viel Zeit. Wenn sie sich engagieren, dann nur punktuell und einmalig, aber nicht kontinuierlich. Ich stelle mir vor, dass wir als Verantwortliche dafür eine neue Struktur bieten müssten. Beim Theaterforum sind wir seit 21 Jahren ein Team. Wir haben gemeinsam viel bewirkt und werden gemeinsam kontinuierlich älter. Und deswegen sehe ich es als zweite Aufgabe an, rechtzeitig für Nachwuchs zu sorgen. Wenn man zu lange damit wartet, entsteht schlimmstenfalls ein Vakuum. Dann bricht die beste Idee in sich zusammen und der Verein muss sich auflösen. Hierin sehe ich eine ganz spezielle Verantwortung für uns. Den eigenen Abschied zu organisieren, ist natürlich eine Sache, die weniger Spaß macht. Um den Generationswechsel muss sich jeder Verein Gedanken machen.
Georg Felbermayr: Ich bekomme keinen Vorstand, der 45 Jahre alt ist. Der muss arbeiten. Der ist in seiner Firma sehr aktiv. Das ist mir vollkommen klar. Aber es gibt genügend 55-Jährige, die mehr Zeit und Freude haben, ein Ehrenamt durchzuführen. Wir als Vorstände müssen die Aufgaben gut verteilen und die Jüngeren umsichtig einbinden. Andererseits schadet es der Sache enorm, wenn Vorstände auf sich bezogen agieren und keinen neuen heranlassen.
"Warten, bis einer kommt, ist zu wenig"
Jürgen Hennig: Ich sehe ein Problem mit der neuen Mobilität von heute. Wir hatten nämlich eine ganz starke Jugend, doch von denen ist leider keiner mehr in Thalkirchen. Das bedaure ich sehr.
Volker Wettmann: Wir sind zu zehnt im Vorstand. Da muss ich mich nicht überall einmischen. Darüber bin ich froh.
Peter Köstler: Eine Vereinsführung muss immer beharrlich, offen und aktiv auf Nachwuchs schauen. Die Frage ist nicht, Junge zu begeistern, sondern überhaupt Menschen zu finden, die gern mitmachen. Das Alter spielt nicht die entscheidende Rolle. Und dann muss die Begeisterung überspringen für das aktive Mittun. Einfach nur warten, bis einer kommt, das ist zu wenig.
Jürgen Hennig: Unser Trachtenverein ist ausgestorben, weil wir einfach keine Räume für Zusammenkünfte haben. Einen Vereinsabend für 30 Leute können wir stemmen. Aber eine Tanzprobe mit 100 Leuten? Keine Chance! Wir können höchstens private Räume mieten, allerdings nur mit Umsatzgarantie. Das können wir uns nicht leisten.
Georg Felbermayr: Das geht uns genauso. Bei Veranstaltungen mit 200 Leuten müssen wir eine Saalmiete von 2.000 Euro einkalkulieren. Die Stadt München hat eben keine Bürgerhäuser. Das ist ein großes Problem für uns.
Manfred Tschöpe: Wir haben in Forstenried zwar einen Bürgersaal. Aber leider muss dort abends um zehn Uhr Schluss sein.
"Das Geben und Nehmen muss stimmen"
Wie wichtig ist die Unterstützung seitens der Kommunen für die Vereinsarbeit?
Hans-Georg Krause: Ungemein wichtig! Wir hätten als Theaterverein nicht 21 Jahre in einer Turnhalle weitergemacht. Zum Glück sind wir mit unseren Forderungen in der Gemeinde auf offene Türen gestoßen. Uns hat die politische Strömung getragen. Aber ich weiß von anderen Beispielen, die mit ihren Problemen in der Gemeinde alleingelassen wurden.
Georg Felbermayr: Vielleicht ist die Macht der Vereine im Umland größer. Jeder Bürgermeister will wiedergewählt werden. Der Stadt München ist es egal, wie freundlich gestimmt ein Verein ist oder eben nicht.
Peter Köstler: Ich sehe eher ein Miteinander bei uns. Es muss keiner Macht demonstrieren, hier funktionieren der Dialog und Miteinander von Vereinen und Gemeinden, bei euch nicht. Das ist das Problem in der großen Stadt.
Jürgen Hennig: Das ist in München wirklich ein riesengroßes Problem. Ich war in München sechs Jahre lang Vorsitzender der Münchner Krippenfreunde mit 400 Mitgliedern. Wir haben zu unseren Krippenausstellungen von der Stadt und der Kirche null Unterstützung bekommen. Nichts. Das macht keinen Spaß.
Georg Felbermayr: Ehrlicherweise muss man erwähnen, dass die Bezirksausschüsse Geld haben. Wir in Pasing bekommen viel Unterstützung und können bis zu 10.000 Euro abrufen.
Anneliese Bradel: Da haben wir es als Planegger Verein leichter. Wir haben den ganz, ganz kurzen Dienstweg zur Bürgermeisterin. Deren Unterstützung und die Unterstützung im Gemeinderat und Rathaus sind uns sicher. Es muss in die Köpfe der Politiker, dass die Vereine mit ihren Veranstaltungen zum Gelingen des Gemeindelebens, der Integration und Ortsverbundenheit beitragen. Man will ja seine Leute im Ort lassen, davon lebt der Ort. Sonst hätten wir nur öde Schlafstädte. Bei uns wird das ganz klar anerkannt.
Peter Köstler: Ich gehe sogar noch weiter. Die Vereine übernehmen auch Aufgaben, die die Gemeinde eigentlich ausführen müsste. Dabei sind große Vereine und Nischenvereine wichtig. Das Geben und Nehmen in der Gemeinde muss stimmen. Dann haben es die Vereine leichter.
Manfred Tschöpe: Wir fühlen uns überhaupt nicht unterstützt durch die Stadt München. Und zwar liegt es auch an den großen Auflagen, die einfach keiner erfüllen kann. Zum Beispiel hatten wir immer ein Dorffest auf städtischem Grund veranstaltet. Nun darf dort kein Alkohol ausgeschenkt werden und auch Rauchen ist verboten – damit sind unsere Feste gestorben, nach 35 Jahren. Das ist mehr als bitter.
Georg Felbermayr: Wir haben in Pasing eine andere Situation. Die ARGE Pasing organisiert die Vorwiesn oder den Fasching für 8.000 Leute. Dabei binden wir bei jeder Sitzung unsere Stadträte ein. Die können sich wiederum in der Verwaltung für uns stark machen. Wir können nur gemeinsam handeln, das ist in unser aller Interesse.
Manfred Tschöpe: Bei uns in Forstenried hilft das leider nicht.
Wie gelingt der nötige Wandel?
Wälzen Ihrer Meinung nach der Staat, die Stadt, die Gemeinden zuviel auf die Vereine ab?
Peter Köstler: Ich denke nicht. Aber es gibt ein wachsendes Anspruchsdenken gegenüber den Vereinen und generell gegenüber Veranstaltern, mit dem wir zurechtkommen müssen. Von kleinen Nebensächlichkeiten bis zu ganz deutlichen Dingen. Das fordert uns.
Anneliese Bradel: Wir werden zum Dienstleister. Bei Festen muss das Bier kalt sein, der Kuchen darf nicht ausgehen. Heute werden die Kinder häufig abgegeben, damit die Eltern zwei Stunden frei haben. Darunter haben wir zu leiden. Wir müssen im Verein vielleicht umdenken und eine generell andere Kostenrechnung einführen. Das ist dem gesellschaftlichen Wertewandel geschuldet, in dem etwas gut ist, wenn ich zahle. Darauf müssen wir reagieren.
Hans-Georg Krause: Als Kunden haben wir ein Überangebot an Möglichkeiten, ganz speziell im Kulturbereich. Wir müssen uns als Verein mit jedem professionellen Anbieter vergleichen und kommen schnell an unsere Grenzen.
Georg Felbermayr: Wir sollen als Vereine auch mit Migration und Inklusion zurechtkommen. Doch in anderen Kulturen spielen Vereine keine Rolle. Und auch die Inklusion können wir als Vereine nicht allein stemmen. Es ist einfach gesagt: Werden wir eben zum Dienstleister! Aber geht da nicht auch vieles kaputt?
Hans-Georg Krause: Unsere FFW hat seit kurzem einen hauptamtlichen Gerätewart. Ehrenamtliche kommen bei Einsätzen aus ihren Jobs nicht mehr schnell genug raus. Umdenken ist einfach notwendig.
Volker Wettmann: Oder nehmen wir die Ganztagsklassen: auch hier sind die Vereine gefragt ohne adäquate Hilfe "von oben“. Dabei haben wir von Haus aus wenig Nachmittagsangebot. Als die Ladenzeiten verlängert wurden, sank bei uns die Zahl der Ehrenamtlichen, weil viele erst nach neun Uhr abends nach Hause gekommen sind und einfach keine Kraft mehr für die Vereine hatten.
Peter Köstler: Das kann und muss eine Chance für uns sein. Wir als Vereine müssen uns bewegen, mit der Zeit mitgehen und uns ein modernes, zeitgemäßes Image zulegen. Es gibt mit Sicherheit Ideen, die müssen wir gemeinsam umsetzen. Vereine, die aussterben, sind vielleicht nicht bereit zum Wandel gewesen.
"Die Wertschätzung kommt, aber man darf sie nicht erwarten"
Bekommen Sie als ehrenamtliche Vereinsvorstände die Wertschätzung, die Sie sich wünschen?
Anneliese Bradel: Uneingeschränkt ja. Damit möchte ich auch unseren gesamten Verein einschließen.
Manfred Tschöpe: Da kann ich mich anschließen.
Peter Köstler: Man wird wertgeschätzt, außerhalb und innerhalb des Vereins. Denn die interne Anerkennung ist ebenso wichtig. Und die Freude kommt auch zurück.
Volker Wettmann: Auch die öffentliche Wertschätzung, die wir seitens der Presse erfahren, ist enorm wichtig. Wir sind dankbar über die Bedeutung, die uns die lokale Presse beimisst und die uns und unsere Arbeit bekannt macht. Hier sehe ich einen positiven Kreis, der sich schließt.
Georg Felbermayr: Die Wertschätzung kommt, aber man darf sie nicht erwarten. Das wäre nicht richtig.
Jürgen Hennig: Die Anerkennung gibt es in Thalkirchen nicht nur vom Verein, sondern auch von der Bevölkerung. Das macht viele Anstrengungen wett.
Hans-Georg Krause: Natürlich sind wir wertgeschätzt, sonst würde uns die Motivation zum Weitermachen fehlen. Die Beschlüsse im Gemeinderat für unseren siebenjährigen Umbau waren immer einstimmig. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Auch das ist für mich Ausdruck einer Wertschätzung für unsere Arbeit.
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten:
Hans-Georg Krause (Gründer und Vorsitz TheaterForum Gauting e. V.)
Volker Wettmann (Vorsitzender VdK Hadern-Neuried und Vorsitzender Kultur in Hadern)
Anneliese Bradel (3. Bürgermeisterin von Planegg, Vorstand Miteinander e.V.)
Georg Felbermayr (Vorsitz ARGE Pasing, Vorsitz Schützengesellschaft Grabenfleck Pasing e.V., Vorstand Siedlergemeinschaft Pasing e.V., Präsident der Münchner Schützen)
Peter Köstler (2. Bürgermeister Gräfelfing, Vorstand LLBB – Theaterverein Lochham, Vorsitz des Pfarrgemeinderats St. Johannes, Vorstand Maibaumfreunde Gräfelfing e.V., Vorsitz HSG im TSV Gräfelfing)
Jürgen Hennig (Vorsitzender Maibaumverein Thalkirchen)
Manfred Tschöpe (Vorsitzender Arbeitsgemeinschaft der Forstenrieder Vereine)
Was denken Sie?
Welche Meinung vertreten Sie? Diskutieren Sie mit! Schreiben Sie uns: Münchner Wochenanzeiger, Redaktion, Fürstenrieder Str. 5 - 9, 80687 München, leser@muenchenweit.de. Wir veröffentlichen Ihren Standpunkt.
So geht's weiter
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