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„Ganz kleene Zwerge“

Zeitzeugin Ursula Bräuning spricht über ihre Hafterlebnisse

Eineinhalb Jahre lang hatte sich ein Malkurs der Volkshochschule (VHS) Germering unter Leitung der Malerin Constanze Wagner mit Gedichten von Häftlingen aus den Konzentrationslagern, dem südafrikanischen Widerstand während des Apartheidregimes, sowie von Inhaftierten der ehemaligen DDR-Regierung beschäftigt. Einigen der Gemälde, die im Forum der Stadthalle Germering zu sehen waren, lagen die Gedichte des Journalisten und Schriftstellers Herbert Bräuning zugrunde. Gleichzeitig mit seiner Frau Ursula war Herbert Bräuning von 1956 bis 58 in der DDR inhaftiert.

Gedichte Inhaftierter

Nachdem Ursula Bräuning bereits bei der Vernissage Gedichte ihres Mannes vorgetragen hatte, stellte sie sich nun auf Einladung von Constanze Wagner und der VHS Germering am vergangenen Mittwochabend im Rahmen der Ausstellung „Einen Schmetterling habe ich hier nicht gesehen“ für einen Bericht als Zeitzeugin zur Verfügung. Ursula Bräuning, 1928 geboren, hat sich Zeit ihres Lebens mit großem Engagement für die soziale und materielle Absicherung von Schriftstellern eingesetzt und in diesem Zusammenhang 1985 das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen.

In ihrer Einführungsrede berichtete Kunstmalerin Constanze Wagner, seit 1988 Kulturpreisträgerin der Stadt Germering, eindrucksvoll von der ersten Begegnung ihrer Kursmitglieder mit Frau Bräuning: „Wir wissen eigentlich viel, sehen Filme, Dokumentationen und lesen.“ Aber das gehe heutzutage nicht wirklich in die Tiefe, weil man es gewohnt sei, „ziemlich schreckliche Bilder“ zu sehen. Im Kurs habe es etliche Diskussion darüber gegeben, ob man das dürfe: Bilder malen zu den Gedichten der unter menschenunwürdigen Bedingungen Inhaftierten totalitärer Systeme.

Mut gemacht

Ursula Bräuning haben ihnen Mut gemacht, erzählt Wagner, mit ihren Worten: „Wir haben das Recht, uns künstlerisch auszudrücken. Ein Autor schreibt auch über den Tod, obwohl er nicht gestorben ist.“ Und die gebürtige Südafrikanerin Constanze Wagner hat festgestellt, dass überall wo Unfreiheit herrscht, ziemliche Parallelen bestehen: „Nur der Mensch ist fähig, so was Schreckliches wie Stacheldraht zu produzieren.“

Die 83-jährige Ursula Bräuning, die ihren Mann, der nun im 90. Lebensjahr im Germeringer Altenheim Maria Magdalena lebt, jeden Tag besucht, beeindruckte die rund 30 Zuhörer anschließend mit der lebhaften Schilderung der Umstände ihrer Inhaftierung in Staatssicherheitsgefängnissen der DDR. „Erst nachdem die Mauer gefallen war und wir Akteneinsicht erhalten haben, konnten wir das Ausmaß der Observation feststellen“, erklärte Frau Bräuning. Gleich nach der Wende sei sie mit ihrem Mann nach Berlin zur Gauck-Behörde gefahren und habe Einsicht in ihre Stasi-Akten genommen: Das Erstaunen und Entsetzen war groß, denn einen Umfang von 16 Ordnern hatten sie nicht erwartet.

Volksaufstand

Angefangen habe alles Anfang der Fünfzigerjahre ganz harmlos, ganz langsam: „Wir haben nicht wirklich Widerstand geleistet. Mal war mein Mann im Verlag anderer Meinung, hatte Schwierigkeiten, weil er bei einer Diskussion angeeckt ist, mal habe ich eine freche Bemerkung gemacht.“ Mit dem Volksaufstand am 17. Juli 1953 „ging es richtig los“, weil der mit Hilfe der Medien umfunktioniert worden sei, zu einem „in die DDR getragenen, von Amerika und dem Westen gesteuerten Aufruhr“. Danach sei sie bedrängt worden, habe Vorladungen von der Polizei erhalten, die sie ausfragen wollte. Das alles habe sich hingezogen, auch ein Umzug von der Wohnung am Prenzlauer Berg in ein Häuschen am Stadtrand von Berlin habe nichts geändert.

„Dann geschah etwas, was wir gar nicht mehr hinnehmen konnten: Die Todesurteile gegen Werner Rudert und Max Held. Mein Mann hat sich an die Schreibmaschine gesetzt und mit ‚J’ accuse – Ich klage an’ einen flammenden Aufruf dagegen geschrieben.“ Mit diesem Aufruf ist Ursula Bräuning Anfang 1956 nach Westberlin gefahren, um ihn bei Freunden abzugeben: „Da kam ich nicht mehr nach Hause, habe unser Häuschen nie wieder gesehen, sogar unseren Hund haben die erschossen! Ich wurde auf dem Bahnsteig verhaftet, kam zehn Monat in Einzelhaft und habe meinen Mann erst vor unserem Prozess wiedergesehen.“ Sie habe die Lage lange nicht ernst genommen und wirklich erst Angst bekommen, als sie „in der grünen Minna“ weggefahren wurde und im Gefängnis die Anklageschrift gelesen habe. Von Februar bis zum Prozess im Juli wurde sie von einem DDR-Gefängnis ins nächste verlegt, von Cottbus nach Guben, auch nach Görlitz, schließlich nach Hohenschönhausen.

Widerstandskämpfer

Ständig wurden sie verhört, auch nachts, auch mit Psychotricks, einmal sei ihr Mann 19 Stunden hintereinander verhört worden. Der Staatsanwalt habe für sie eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren, für ihren Mann von sechs Jahren gefordert, bekommen hätten sie zweieinhalb und drei Jahre. „Wir waren ganz kleene Zwerge. In der Haft habe ich mich oft gefragt, was machen die mit den richtigen Widerstandskämpfern?“. Sie habe die Strafe bis zum letzten Tag abgesessen. Gnadengesuche ihrer Familie, die diese gegen ihren Willen eingereicht hätte, seien immer abgelehnt worden wegen „der Gefährlichkeit der Bräunings“.

Nach ihrer Haftentlassung am 3. August 1958 sei sie sofort mit der Bahn zu den Eltern nach Westberlin gefahren, illegal, denn ihr Entlassungsschein habe dies eigentlich nicht zugelassen. In Westberlin sei sie wieder bedrängt worden, diesmal von den Amerikanern und Westlern, damit sie gegen die DDR aussage. Das habe sie aber schön bleiben gelassen, sei ihr Mann doch noch in Haft gewesen. Nach dessen Entlassung haben Bräunings beschlossen, im Westen zu leben, 1971 kamen sie so nach Germering. Über die Inhaftierung sagt Ursula Bräuning: „Man kann es nie vergessen, man verdrängt es, lebt einfach weiter – aber es bleibt.“


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