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Für mehr Miteinander und gegen Vereinsamung

Die Arbeit von Nachbarschaftstreffs in Zeiten der Pandemie

Heidrun Eberle. (Bild: Ackermannbogen e.V. )

Nachbarschaftstreffs bieten Treffmöglichkeiten im Viertel. Ideen, Projekte und Aktionen werden gemeinsam umgesetzt, sich gegenseitig unterstützt. Hier passieren Austausch, Engagement und Mitbestimmung. Gerade auch für die Menschen, die allein und isoliert leben, gibt es Angebote. Im Zuge der Corona-Pandemie ist jedoch das soziale Miteinander einschränkt.

„Die Teams der Nachbarschaftstreffs stehen seit fast einem Jahr vor besonderen und unterschiedlichen Herausforderungen“, so Grit Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, Bezirksverband Oberbayern. „Menschen leben hinter verschlossenen Türen, können sich nicht mehr selbständig versorgen oder vereinsamen. Auch bekommen wir nur zum Teil mit, wieviel Druck jetzt in manchen Familien herrscht. Um die Menschen im Viertel weiterhin zu erreichen, haben sich die Treffs sehr viel einfallen lassen.“ Gerade jetzt müsse die Quartiersarbeit gestärkt werden. Ein flächendeckender personeller Ausbau müsse bald erfolgen.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband ist eines von rund 70 Mitgliedern im Bündnis München Sozial und stellt mit seinen Mitgliedsorganisationen, die rund 20 Nachbarschaftstreffs in München betreiben, die Arbeit in Zeiten der Pandemie vor:

"Gegenseitige Unterstützung in Notlagen"

Alexandra Ruzicka, Geschäftsführerin Quarter M

Bereits vor dem ersten Lockdown haben wir die treffübergreifende Corona-Hotline #Nachbarnhelfen ins Leben gerufen. Rund 160 Freiwillige hatten sich sofort gemeldet, um für die Menschen, die ihre Wohnung nicht verlassen konnten, Besorgungen zu erledigen, Essen bei der Tafel abzuholen oder um Druckpatenschaften für Schüler*innen im Homeschooling zu übernehmen. Viele kontaktfreie Aktionen fanden statt: u.a. ein Weihnacht-Werte-Wunschbaum an verschiedenen Nachbarschaftstreffs und gemeinsames Freiluftsingen im Rahmen der Aktion „Deutschland singt“ zum Jahrestag der Wiedervereinigung im Oktober – als man noch singen dufte. Trotz anfänglicher Skepsis werden mittlerweile auch einige Gruppen virtuell angenommen, so z.B. Bollywood-Dance, Kinderballett, muttersprachliche Kindergruppen, der Wollsüchtigen-Treff etc. Senior*innen-Gruppen haben Telefonketten gebildet und sich regelmäßig kontaktiert. Die Pandemie zeigt eindrücklich, dass gelebte Nachbarschaft in ihrer Grundfunktion, nämlich die gegenseitige Unterstützung in Notlagen, auch in der individualisierten Gesellschaft von hoher Bedeutung ist.

"Das Miteinander im Quartier lebendig halten"

Heidrun Eberle, Geschäftsführerin Ackermannbogen e.V.

Unser über Jahre entstandenes dichtes Netzwerk zeigt, dass es auch in Krisenzeiten tragfähig ist: So nähten Ehrenamtliche von Beginn an Stoffmasken, die kostenlos verteilt wurden; in Treppenhäusern hingen Aushänge zu Hilfsangeboten; Leute im Home-Office boten Einkaufshilfen an, Senior*innen bekamen Kuchen inklusive kleinem Plausch an die Wohnungstür geliefert, eine Hilfe-Hotline wurde eingerichtet u.v.m. Nach kurzer Schockstarre wurden auch viele Angebote in der NachbarschaftsBörse kreativ neu aufgesetzt: Egal ob Online-Singstunde oder Online-Yoga, ob Flohmarkt-to-go. RepairCafés mit Abstand oder kulturelle Angebote im öffentlichen Raum, ob Telefonanrufe bei rund 150 „bedürftigen“ Haushalten, ob Garteln mit Abstand im Gemeinschaftsgarten StadtAcker – Hauptsache war und ist, das Wir-Gefühl und das Miteinander im Quartier lebendig zu halten! Es hat sich gezeigt, dass die aufgebauten Netze in den Nachbarschaften tragen. Die Menschen haben sich über den Treff kennengelernt und sich in der Folge während der Pandemie gegenseitig unterstützt.

"Unsere Treffs sind für die Anliegen der Menschen da"

Karin Schwaiger, Bereichsleitung für Ambulante Angebote und Migration, Kinderschutz München

In allen Phasen der Pandemie waren und sind unsere Treffs für die Anliegen der Menschen da. Kreativität und Flexibilität in alle Richtungen ist notwendig, um die Arbeit vor Ort weiterzuführen, vielfach auch ohne digitale Möglichkeiten. Gerade jetzt sind bestimmte Angebote besonders wichtig: Trotz Distanz die Kontakte zu halten sowie Familien z.B. beim Ausfüllen von Anträgen, bei den Hausaufgaben oder bei den Einkäufen zu unterstützen. Wir informieren laufend über die Covid 19-Verordnungen. Als es noch möglich war, wurden besonders Aktionen im Freien angenommen, wie Pflanz-, Verschönerungs- oder Bastelaktionen oder eine Veranstaltung zur Langen Nacht der Demokratie. Das alles trägt täglich dazu bei, dass sich das Gefühl der Nachbarschaftlichkeit nicht völlig verliert. Für uns ist es gerade jetzt wichtig, im Quartier sichtbar zu sein. Covid 19 wird uns noch eine Weile beschäftigen – die Nachbarschaftstreffs werden weiter dazu beitragen mit den Menschen im Gemeinwesen kreative Formen der gegenseitigen Unterstützung umzusetzen.

"Der Nachbarschaftstreff organisierte Laptops"

Hester Butterfield, Leitung Alte Heimat Treff und Beratung Alte Heimat Arbeitskreis Jane Addams Zentrum e.V.

Wie geht Soziales ohne Kontakt? Statt Weihnachtsbasar und Brunch feierte der Treff mit Nikolaus und Helfer*innen, die 580 Päckchen packten und damit überraschten sie jede und jeden vor der Wohnungstür. Als sich der Alte Heimat Arbeitskreis, eine Initiative von Mieter*innen, alle im Alter zwischen 60 und 90 Jahren, während Corona nicht mehr regelmäßig zu ihren Planungsgesprächen treffen konnte, versuchten wir es zunächst per Telefonkonferenz. Doch irgendwie fehlte dabei das Gemeinsame, das Persönliche! So entschied sich das Treffteam für ein virtuelles Experiment. Doch hatte zu dem Zeitpunkt keines der Initiativemitglieder Erfahrung mit Zoom oder anderen Onlinemeetings. Manche Mitglieder hatten nicht mal ein Laptop oder Internet. Wie konnte da die Zusammenarbeit gelingen? Macht nichts, mit Peoplepower geht vieles! Der Nachbarschaftstreff organisierte Laptops und besuchte vor jeder Sitzung jedes Arbeitskreismitglied, bis die Laptops, Kameras, Mikrophone und das Einwählen in den virtuellen Konferenzraum gemeistert waren. Wer kein Internet hatte und hat, wählt sich heute alternativ per Telefon ein. Talib Arabi, 90 Jahre, aktives Mitglied der Mieterinitiative sagte nach dem ersten Zoom-Meeting, "Die Sehnsucht lässt nach." Den Menschen bei der Nutzung der neuen Medien zu helfen, ist eine wichtige neue Aufgabe für die Soziale Arbeit.

Das sagen Menschen in den Treffs

Christel Festl, 75 Jahre, Rollstuhlfahrerin, sagt:

Mit dem Zoom ist man mit den Leuten wieder mehr zusammen, man sieht die Reaktionen von anderen. Wenn Leute einen Vorschlag machen, man sieht gleich, wer ist dafür und wer dagegen. So ist es lebhafter als mit Telefon. Seit Anfang März letztes Jahr bin ich fünf Mal draußen gewesen. Ich bin froh, dass ich am Laptop beim Bringdienst Lebensmittel bestellen kann und dass die Treff-Leute mir das so eingestellt haben, dass ich die Artikel sehen kann.

Eine Mitsingerin beim Online-Singen ist glücklich:

Das Singen online hat Spaß und Freude gemacht, trotz der ungewohnten Umstände. Wir haben zwischen den Liedern immer wieder auch geredet, es wurden Liedwünsche geäußert und ich fand das alles zusammen sehr gemeinschaftlich und nett.

Ein Kursleiter freut sich:

Ich veranstalte seit dem Lockdown im Frühjahr Online-Kurse. Das kam so gut an, dass ich dieses Format auch den Sommer über beibehalten habe und auch im nächsten Jahr fortführen werde.

Eine Nachbarin, 92 Jahre, ist dankbar:

Die Hotline ist 'ne Wucht! Ich habe sie gleich benutzt: Mir wurden Päckchen zur Post gebracht und mein Einkaufszettel liebevoll erfüllt! Ich muss also nicht verhungern!

"Wir bedanken uns"

Eins mache die Arbeit in den Quartieren deutlich: Es dürfe keine Kürzungen im sozialen Bereich geben, unterstreicht Karin Majewski, Sprecherin des Bündnisses München Sozial: „Vielmehr ist ein bedarfsgerechter Ausbau der Nachbarschaftstreffs mit Corona und den Lockdowns dringlicher denn je. Wir bedanken uns bei Sozialbürgermeisterin Verena Dietl und der grün-roten Mehrheit im Stadtrat für ihre solidarische Schwerpunktsetzung im sozialen Bereich.“

Die Treffs werden gebraucht

Trotz höchstem Engagement können nicht alle Menschen in ihren Wohnungen erreicht werden. „Nach den Kontaktbeschränkungen werden wir die Folgen dieser Isolation sehen. Die Erfahrungen aus dem ersten Lockdown haben gezeigt, wie stark bestimmte Personengruppen gelitten haben und wie groß die Wiedersehensfreude war“, berichtet Grit Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Deshalb sei es so wichtig, dass sich die Stadt dafür stark macht, die Arbeit der Treffs fortzuführen, natürlich coronakonform.

70 starke Partner

Das Bündnis München Sozial ist ein unabhängiger Zusammenschluss von rund 70 sozialpolitisch aktiven Organisationen, Verbänden, Hochschulen und Initiativen, quer durch die Konfessionen, überparteilich, verbandsübergreifend und über alle Arbeitsfelder hinweg. Ziel ist, die solidarische Stadtgemeinschaft zu stärken. Als Aktionsbündnis mischt sich das Bündnis ein und benennt brennende Themen. Mehr über das Bündnis: www.buendnis-muenchen-sozial.de.

Nachbarschaftstreffs vor Ort

Das Sozialreferat der Landeshauptstadt München fördert die rund 40 Nachbarschaftstreffs. Welche in der Nähe sind, erfahren Sie unter nachbarschaftstreff-muenchen.de.

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