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"Freiwillig Engagierte sind begehrt und haben die Qual der Wahl"

Gabriele Wouters über freiwillige Tätigkeiten und neue Trends, das Zueinanderfinden und Ableger im Viertel

Gerlinde Wouters: "Menschen gründen eigene Initiativen oder Vereine, weil sie eine ganz bestimmte Idee verfolgen wollen." (Bild: sb)

Gerlinde Wouters leitet seit 2008 die FöBE, das ist die Förderstelle für Bürgerschaftliches Engagement. Sie unterstützt freiwilliges Engagement in Institutionen, Projekten und aufgrund der Ideen einzelner Personen in München. Warum engagieren sich Menschen füreinander? Wie verändern sich die Tätigkeitsfelder? Die Fachfrau beantwortete Fragen von Johannes Beetz.

 

"Kontakte bleiben erhalten"

Bürgerschaftliches Engagement wandelt sich. Viele Bürger und Unternehmen engagieren sich kurzfristig in sozialen Projekten anstatt sich auf eine langjährige ehrenamtliche Funktion im Verein einzulassen. Warum ist das so?

Gerlinde Wouters: Es ist nicht immer leicht, Arbeit, Familie und Ehrenamt miteinander in Einklang zu bringen. Deshalb geht der Trend zunächst zu zeitlich begrenzten Engagements. Das gilt für Privatpersonen und Unternehmen gleichermaßen. Aus den social days von Unternehmen weiß man zum Beispiel, dass danach noch Kontakte erhalten bleiben und die Mitarbeiter sich als Privatpersonen weiterhin engagieren. Wenn die Interessierten auf eine freundliche Atmosphäre und auf offene Ohren für ihre Ideen und Vorschläge treffen, sind sie auch oft bereit, längerfristig mitzuwirken.

"Fast jeder Zweite engagiert sich"

Konstant bleibt der prozentuale Anteil der Freiwilligen an der Gesellschaft. In Städten ist er etwas geringer ist als auf dem Land. In München engagieren sich derzeit etwa 28 Prozent ehrenamtlich, im Bundesdurchschnitt liegt der Anteil bei einem Drittel. Menschen, die sich engagieren, tragen wesentlich dazu bei, dass wir alle eine hohe Lebensqualität genießen können und in einer stabilen Gesellschaft leben. Wie kann die Gesellschaft diesen Menschen Respekt und Dank zeigen?

Gerlinde Wouters: Darf ich diese Zahlen korrigieren? Der neueste Freiwilligensurvey für ganz Deutschland spricht von einer Engagementquote von 47 Prozent. München hat in 2016 die Zahlen erhoben und wir können stolz sagen, dass beinahe jede/r zweite Münchner/in über 18 Jahren ehrenamtlich engagiert ist. Eingerechnet in diese Zahlen werden allerdings auch spontanes und sporadisches Engagement, nicht nur das langfristige.

Respekt und Dank sollte auf zwei Ebenen geschehen: Einmal in den Organisationen selbst. Die Freiwilligen brauchen verlässliche Ansprechpersonen und eine offene Haltung ihren Wünschen und Ideen gegenüber. In der öffentlichen Wahrnehmung sollte es neben Ehrungen, Ehrenamtskarten und Nachweisen zum Engagement auch dazu kommen, dass die Politik den Ehrenamtlichen nicht nur auf die Schulter klopft, sondern ihren politischen Gestaltungswillen wahrnimmt und begrüßt. Warum werden denn die Ehrenamtlichen z.B. in der Flüchtlingshilfe nicht regelmäßig von den Politikern angehört? Wie ergeht es ihnen auf diesem Marathon der Integration und was bräuchten sie wirklich? Nicht umsonst verweigern die Asylhelfer offizielle Einladungen vonseiten der Politik, weil sie sich nicht ernst genommen oder sogar blockiert fühlen.

"Wir wollen Unterschiede deutlich machen"

Wo sich viele Menschen für ihre Nachbarschaften einsetzen, besteht auch die Gefahr, dass Staat und Kommunen sich aus eigenen Aufgabenbereichen zurückziehen und diese den Ehrenamtlichen „überlassen“. Wie kann man dem entgegenwirken?

Gerlinde Wouters: Das ist eine ganz feine Gratwanderung, die nicht einfach zu beantworten ist. Wir waren gerade in den Niederlanden und dort diskutiert man die Abkehr vom Versorgungsstaat hin zum Teilhabestaat. Der niederländische Staat will mehr in die Förderung von „informellem Engagement“ wie in Nachbarschaften, sozialen Netzwerken, Wohnprojekten und nachbarschaftlichen Hilfen investieren. Das letzte Wort ist dabei das wichtigste: „investieren“. Es bedeutet die Finanzierung von Gemeinwesenarbeit, von Mediatoren und selbstorganisierten Lösungen von Problemen. Deutschland ist noch sehr wohlfahrts- und versorgungsstaatlich unterwegs und an den Rändern versucht man das Ehrenamt zu instrumentalisieren und über Geld darauf zuzugreifen. Es gibt leider in Deutschland kein Bundesgesetz, das klar trennt, was ein Ehrenamt ist und was nicht, deshalb sind diese Grauzonen des „bezahlten Ehrenamtes“ legal. Wir haben vor, dazu einen Code of Ethics zu etablieren und über Begrifflichkeiten Unterschiede deutlich zu machen.

"Bestimmte Ideen verfolgen"

Menschen suchen in einem Engagement Lebenssinn, Lebensqualität und Lebensfreude. Während früher die meisten Freiwilligen eine ihnen zugewiesene Aufgabe übernahmen, möchten sie heute selbst Ideen einbringen und etwas für das eigene Leben lernen. Wie können sich Einrichtungen darauf einstellen?

Gerlinde Wouters: Mit dieser Frage treffen Sie den Nerv der gegenwärtigen Entwicklung im Ehrenamt. „Selbstorganisation“ ist das Stichwort. Menschen gründen eigene Initiativen oder Vereine, weil sie eine ganz bestimmte Idee verfolgen wollen. Innerhalb einer Organisation möchten sie nicht vorgesetzt bekommen, was sie machen sollten, sondern eigene Projekte umsetzen. Das ist eine Herausforderung für Organisationen, die sehr hierarchisch agieren, für wendigere, kleine Projekte wiederum ein steter Quell von interessierten ehrenamtlichen Mitarbeitern. Talentorientierung ist das zweite wichtige Prinzip: Wer kommt mit welchen Talenten in unser Haus und wie können wir sie gemeinsam zur Wirkung bringen?

"Wir  machen Know how zugänglich"

Engagement braucht attraktive Rahmenbedingungen, Vernetzung, Qualifizierung und Anerkennung. Wie unterstützt FöBE freiwilliges Engagement? Was kann Föbe, was städtische und staatliche Stellen nicht können?

Gerlinde Wouters: Die Zahl der Vereine und Initiativen steigt, die auf ehrenamtliche Unterstützer setzen. Denken Sie nur an die vielen Vereine und auch Start-ups, die im Zuge der Flüchtlingsthematik entstanden sind oder an die zahllosen Initiativen angesichts des Klimawandels. Über FöBE wird ihnen das notwendige Know how zugänglich, wie man Ehrenamtliche gewinnt und hält. Als neutrale Vernetzungsstelle helfen wir aber auch bei der Raumsuche, weisen Wege zu Zuschuss- oder Drittmittelgebern und vernetzen die Initiativen untereinander. Städtische Stellen sind an ihre Verwaltungsvorschriften gebunden und können nicht so wendig und direkt auf Entwicklungen reagieren wie FöBE das tut.

"Gleichberechtigtes Miteinander"

Schulweghelfer, Jugendtrainer, Elternbeirat, Besuchsdienst im Krankenhaus: Das sind „klassische“ Ehrenämter. Neue Tätigkeitsfelder kommen hinzu. Welchen Wandel verfolgen Sie hier? Unterscheiden sich da auch die Generationen in ihren Einsatzwünschen und Motivationen?

Gerlinde Wouters: Freiwillige sind kritische Geister. Sie sind selbstbewusster und Autorität wird weniger selbst verständlich hingenommen. Die klassische Rollenteilung zwischen ehrenamtlich Engagierten und Hauptberuflern verschiebt sich zugunsten eines mehr gleichberechtigten Miteinanders, wo das Bedürfnis nach persönlicher Weiterentwicklung befriedigt wird und eigenes Wissen gefragt ist. Das soziale Netz, das man sich über ein freiwilliges Engagement aufbauen kann, ist Teil einer modernen Wahlverwandtschaft. Freiwillig Engagierte sind begehrt und haben die Qual der Wahl. Sie entscheiden sich für Einrichtungen, die deutlich machen, warum sich das Mitmachen lohnt. So wirklich große Unterschiede bestehen nicht unter den Generationen. Senioren sind vielleicht in ihrer zeitlichen Verfügbarkeit etwas flexibler als Studierende oder Eltern.

"Man nimmt sich Zeit"

An wen wende ich mich, wenn ich „etwas tun“ möchte, aber mir nicht sicher bin, was ich kann und / oder will?

Gerlinde Wouters: Am besten Sie gehen zu einer der Münchner Freiwilligenagenturen: Zu Tatendrang, zur Guten-Tat oder zu den Freiwilligenzentren der Caritas. Alle Kontaktdaten finden Sie dazu auf der FöBE Homepage. Das hat den Vorteil, dass sie individuell beraten werden und man nimmt sich Zeit, das für sie passende Ehrenamt zu finden. Die Mitarbeiter kennen auf der anderen Seite die Organisationen, die für sie in Frage kommen. Neuerdings gibt es dazu immer mehr Apps oder Suchmaschinen, aber sie ersetzen in keiner Weise diesen Zwischenschritt, denn er führt Menschen gezielt zu anderen Menschen und die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Matching gelingt, ist sehr hoch.

Gibt es feste Ansprechpartner?

Wo immer sich Menschen begegnen, treten auch einmal Probleme und Konflikte auf. Das ist sicher auch im Ehrenamt so. Was können Ehrenamtliche tun, wenn es einmal schwierig wird oder sie sich überfordert fühlen?

Gerlinde Wouters: Bevor ich ein Engagement beginne, erkundige ich mich am besten, ob es dort eine feste Ansprechperson für mich gibt. Denn an diese kann ich mich wenden, wenn es knirscht oder Missverständnisse gibt. Es sind sog. Ehrenamtskoordinatoren oder Freiwilligenmanager, die die meisten Organisationen jetzt haben. Sollte es mal ganz unlösbare Probleme geben, kann man sich auch an FöBE oder die Gesamtstädtische Koordinierungsstelle für Bürgerschaftliches Engagement bei der Stadt wenden.

Nicht "angestaubt", nicht politisch

Bürgerschaftliches Engagement oder Ehrenamt: Gibt es da einen Unterschied? Welcher Begriff gefällt Ihnen besser?

Gerlinde Wouters: Der Freiwilligensurvey, über den alle vier Jahre über 20.000 Deutsche befragt werden, enthält einen eindeutigen Trend: Die meisten der Befragten bevorzugen den Terminus „Freiwilligentätigkeit“. „Ehrenamt“ klingt zu angestaubt und „Bürgerschaftliches Engagement“ wird eher als politischer Begriff angesehen.

"Das ist eine konsequente Fortführung"

Das Thema Nachhaltigkeit spielt – nicht erst seit den „Fridays for future“ - eine wachsende Rolle in der Gesellschaft. Schlägt sich dieser Wahrnehmungswandel auch im bürgerschaftlichen Engagement nieder?

Gerlinde Wouters: Ja, eindeutig. Es entstehen viele neue Vereine, die sich besonders an jüngere Leute wenden, wie zum Beispiel „rehab republic“. Dort trifft man sich zu Schnippelparties, geht ploggen oder veranstaltet beim Aufräumen an der Isar Wunschkonzerte für die fleißigen Kronkorkensammler. Wir sind erst am Anfang dieser neuen Gründerphase von Vereinen und Initiativen. Zugleich geschieht, wie schon in den Jahren, als das Thema Flucht im Vordergrund stand, eine Politisierung der Akteure. Das ist eine konsequente Fortführung des zunächst begrenzt gehaltenen Engagements, denn man erkennt im Tun die politischen Zusammenhänge und geht dann im Rahmen von #ausgehetzt oder von „Fridays for Future“ gemeinsam auf die Straße.

"Wir freuen uns über kleine Ableger"

Am 26. Januar findet die nächste Münchner Freiwilligenmesse statt – die inzwischen 14. Hätten Sie beim Start gedacht, dass dieser Messe ein derart nachhaltiger Erfolg beschieden sein könnte? Mit 6.000 Besuchern ist die Freiwilligenmesse im Gasteig an ihre Kapazitätsgrenzen angelangt. Gibt es Überlegungen, einen anderen Ort zu suchen, um noch mehr Besucher aufnehmen zu können? Während der Jahre der Gasteig-Sanierung müsste ja ohnehin ein solcher Ort gefunden werden.

Gerlinde Wouters: Seit 2009 bin ich in die Organisation der Münchner FreiwilligenMesse eingebunden und zu Beginn wagte ich es nicht, von solch einem nachhaltigen Erfolg zu träumen. Es ist schon ein umwerfendes Erlebnis, wenn die Rolltreppe im Gasteig an diesem Tag ununterbrochen interessierte Münchnerinnen und Münchner zu den Ausstellern bringt und wir am Ende des Tages über den Zähler erfahren, dass wie in diesem Jahr 5.300 Personen da waren.

Wir werden wohl für ein Jahr ein Übergangsquartier benötigen und sind dazu in Vorgesprächen mit dem Werksviertel. Danach wünscht sich der Gasteig, dass wir mit in sein Ausweichquartier in Sendling kommen und wir wünschen uns das auch, denn die Zusammenarbeit mit den Projektleitungen aus dem Gasteig ist ein Traum.

Ganz besonders freut es mich, dass wir kleine Ableger bekommen haben: Am 12. Oktober wird es ab 11 Uhr den ersten Haderner Ehrenamtsmarkt geben und am 18. Oktober findet der erste Freiwilligenmarkt in Harlaching ab 15 Uhr statt.


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