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"Es macht sich in so gut wie allen Bereichen des Handwerks bemerkbar"

Handwerkskammerpräsident Franz Xaver Peteranderl über Fachkräftemangel, Ausbildung und Migration

Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern: "Die familiär geprägten Strukturen des Handwerks bieten gute Voraussetzungen für eine gelingende Integration durch Ausbildung und Arbeit." (Bild: Schuhmann)

Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus, warnt der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele. Er fordert eine gezielte Zuwanderung von rund 400.000 Menschen pro Jahr, um die Lücken bei uns zu schließen. "Von der Pflege über Klimatechniker bis zu Logistikern und Akademikerinnen: Es werden überall Fachkräfte fehlen", so Scheele.

Wie sieht es in unserer Region, in den Handwerksbetrieben, aus? Kann Migration hier Perspektiven öffnen? Franz Xaver Peteranderl ist Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern; er beantwortete die Fragen von Johannes Beetz.

"Den Jugendlichen und Betrieben ein gutes Angebot machen"

Handwerk hat goldenen Boden, sagt man. Sie führen gerade die Praktikumswochen durch, um Jugendlichen Einblick in mögliche Berufe zu geben. Ist das Handwerk nicht mehr attraktiv für Schulabgänger oder haben Jugendliche da einfach ein falsches Bild von den Möglichkeiten?

Franz Xaver Peteranderl: Beim Thema Berufsorientierung und Nachwuchswerbung ist es wichtig, permanent am Ball zu bleiben. Wegen der Corona-Pandemie mussten die meisten Berufsorientierungs-, Informations- und Kennenlern-Formate in Präsenz seit dem letzten Frühjahr ausfallen. In der Folge blieben 2020 mehr Lehrstellen unbesetzt als noch im Vorjahr. Digitale Alternativen, wie beispielsweise virtuelle Ausbildungsmessen, konnten das nicht kompensieren. Umso wichtiger ist es jetzt, wo der persönliche Kontakt wieder möglich ist, ausbildungsinteressierten Jugendlichen und unseren Handwerksbetrieben ein gutes Angebot zu machen.

Das möchten wir mit der „Praktikumswoche München“ erreichen. Mithilfe einer Online-Plattform werden in den Sommerferien im Großraum München schnell, kostenlos und unkompliziert Tagespraktika vermittelt. So können sich Betriebe und Jugendlichen kennenlernen und die Grundlage für einen Ausbildungsvertrag legen.

Unter www.praktikumswoche.de/muenchen kann man sich übrigens immer noch zur Teilnahme anmelden.

"Es macht sich in so gut wie allen Bereichen bemerkbar"

In welchen Branchen fehlen bei uns die meisten Fachkräfte? Wo werden die Lücken in den kommenden Jahren größer, wo vielleicht kleiner?

Franz Xaver Peteranderl: Der Azubimangel und in seiner Folge der Fachkräftemangel macht sich in so gut wie allen Bereichen des Handwerks bemerkbar. Ganz besonders sind der Bau- und Ausbaubereich sowie die Metallbranche und das Lebensmittelhandwerk betroffen. Die Suche nach Berufsnachwuchs bleibt auch nach der Pandemie eine der zentralen Herausforderungen unseres Wirtschaftsbereichs.

"Sie sind eine wichtige Zielgruppe"

Welche Rolle können Migranten bei der Minderung des Fachkräftemangels spielen? Wie sind da die Erfahrungen der vergangenen Jahre?

Franz Xaver Peteranderl: Bis zum Beginn der Pandemie ist im oberbayerischen Handwerk der Anteil von Jugendlichen ohne deutschen Pass bei den neu abgeschlossenen Lehrverhältnissen stetig gestiegen. Innerhalb von zehn Jahren hat sich dieser Wert auf 19 Prozent im Jahr 2020 verdreifacht. Auszubildende aus Fluchtländern haben sich mit ca. 10 Prozent der Neuabschlüsse in den Jahren 2018 und 2019 zu einer mengenmäßig wichtigen Zielgruppe entwickelt.

Im Jahr 2020 und auch heuer verzeichnen wir bei den Lehrverträgen mit Geflüchteten aber leider einen deutlichen Rückgang. Dies hängt auch mit den fehlenden Möglichkeiten des persönlichen Kennenlernens bei Ausbildungsmessen zusammen, der für diese Zielgruppe ganz besonders wichtig ist.

"Möglichst wenig Hürden nehmen müssen"

Haben sich die Hürden für Betriebe, die Migranten ausbilden und beschäftigen, reduziert (Anerkennung ausländischer Zeugnisse, Sicherheit vor Abschiebung, …)?

Franz Xaver Peteranderl: Erfahrungsgemäß ist die Ausbildung beispielsweise von Menschen mit Fluchthintergrund für die ausbildenden Unternehmen deutlich aufwendiger. Daher ist es für unsere Betriebe wichtig, dass sie im Vorfeld möglichst wenig bürokratische Hürden nehmen müssen. Die Handwerksorganisation hat in den vergangenen Jahren viel dafür getan, bei der Politik die Vereinfachung entsprechender ausländerrechtlicher Vorschriften und die Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis insbesondere der Ausländerbehörden voranzubringen.

"Zum Gelingen der Ausbildung beitragen"

Migranten haben ganz unterschiedliche biografische Hintergründe, Bildungsstände und berufliche Erfahrungen. Welche Defizite können hiesige Handwerksbetriebe auffangen, welche nicht?

Franz Xaver Peteranderl: Damit die Lehre erfolgreich abgeschlossen werden kann, sind zu Beginn der Ausbildung solide Sprachkenntnisse und eine möglichst breite schulische Vorbildung erforderlich. Gute Voraussetzungen haben junge Geflüchtete, die das System der Berufsintegrationsklassen des bayerischen Kultusministeriums für berufsschulpflichtige Jugendliche und junge Erwachsene mit Fluchthintergrund durchlaufen haben. Dort erhalten die jungen Menschen Sprachunterricht und können sich beruflich orientieren. Am Ende der zweijährigen Berufsintegrationsklasse kann ein Schulabschluss erworben werden, der wichtige sprachliche aber auch sonstige schulische Grundkenntnisse bescheinigt.

Wenn die genannten Kenntnisse vorhanden sind, kann der Ausbildungsbetrieb in vielen Fällen durch eine intensive Betreuung des Auszubildenden über das übliche Maß hinaus, beispielsweise durch Hilfe bei Behördengängen oder das Erteilen von Nachhilfe, zum Gelingen der Ausbildung beitragen.

"Gute Voraussetzungen für eine gelingende Integration"

Betriebe und Unternehmen, die Migranten beschäftigen, leisten den vielleicht pragmatischsten und effektivsten Beitrag zu einer gelingenden Integration. Nimmt "die Politik" diesen Beitrag wahr bzw. was wünschen sich die Betriebe hier konkret von der Politik?

Franz Xaver Peteranderl: Die familiär geprägten Strukturen des Handwerks – der durchschnittliche Handwerksbetrieb in Oberbayern kommt auf ca. fünf Angestellte – bieten gute Voraussetzungen für eine gelingende Integration durch Ausbildung und Arbeit.

Ich weiß, dass die Politik diese Leistung der kleinen und mittleren Unternehmen wahrnimmt und schätzt. Das lässt sich an verschiedenen Fördermaßnahmen ablesen, die auf Landes- und Bundesebene von den jeweiligen Regierungen initiiert werden und die Ausbildungsbemühungen unserer Betriebe unterstützen.

Für die Betriebe ist es besonders wichtig, dass Förderprogramme wie beispielsweise „Fit for Work“ niedrigschwellig und ohne unnötigen bürokratischen Aufwand zugänglich sind. Im Übrigen sind Planungs- und Rechtssicherheit bei der Ausbildung immer noch die wichtigsten Rahmenbedingungen.

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter informieren jugendliche Migranten gezielt über die duale Ausbildung und die Karrieremöglichkeiten im Handwerk und vermitteln sie an Ausbildungsbetriebe. So können wir einerseits unsere Betriebe bei der Nachwuchsakquise entlasten und andererseits jungen Menschen eine Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben bieten.


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