Wochenanzeiger München Wir sind Ihr Wochenblatt für München und Umland

Es ist nie zu spät, richtig lesen zu lernen

Mitwisser werden zu Mentoren: Das DGB-Projekt Mento richtet sich an Kollegen am Arbeitsplatz

Wie kann man im Betrieb Kollegen unterstützen, die Schwierigkeiten beim Schreiben und Lesen haben? Beschäftigte und Lernende arbeiten gemeinsam für Grundbildung. (Bild: pi)

Die Gute-Nacht-Geschichte ist in der Kindheit an jedem Abend ein besonderes Ereignis gewesen: Wenn Mutter oder Vater vorgelesen haben, ging es auf spannende Reisen in ferne Welten. Einige Elternteile können aber nicht einfach zu einem Buch greifen und die Geschichte darin zum Leben erwecken; sie können ihren Kindern nicht vorlesen, weil ihnen schon einfache, kurze Texte Schwierigkeiten bereiten.

Was ist funktionaler Analphabetismus?

Renate Schiefer ist Regionalkoordinatorin von Mento Bayern, einem Projekt, das sich für Alphabetisierung einsetzt. Sie bestätigt: „14,5 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter sind aufgrund eingeschränkter schriftsprachlicher Kompetenzen nicht in der Lage, in angemessener Form am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.“ Sie stehen nicht nur als Eltern beim abendlichen Vorlesen vor einer großen Hürde, sondern auch am Arbeitsplatz: Die Betroffenen können nicht gut genug lesen und schreiben, um Formulare auszufüllen oder Warnhinweise und Arbeitsanweisungen zu lesen.

Ein neuer Ansatz für Freude am Lesen

Mento, eine Initiative des Bildungswerks des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), verfolgt einen neuen Ansatz bei der Bekämpfung dieses Problems: Analphabetismus in deutschen Unternehmen enttabuisieren, thematisieren und Abhilfe schaffen. „Betroffene werden oft schnell in eine bestimmte Schublade gesteckt: kein Schulabschluss, keine Beschäftigung,“ erklärt Schiefer. Studien belegen hingegen, dass 80 Prozent der funktionale Analphabeten die Schule so bewältigt haben, dass ihnen ein erfolgreicher Abschluss bescheinigt wurde. 57 Prozent sind erwerbstätig. Viele Betroffene arbeiten allerdings in Berufen, die keine spezielle Fachbildung erfordern.

Mitwisser zu Mentoren machen

„Es gibt im privaten, aber auch im beruflichen Umfeld von Menschen mit Grundbildungsbedarf Personen, die von den Problemen ihrer Bekannten und Kollegen wissen,“ erläutert Schiefer die Idee von Mento; diese "Mitwisser" will sie ansprechen und als Mentoren gewinnen: "Wir möchten durch eine gezielte Sensibilisierung und Ausbildung von Mentoren am Arbeitsplatz unmittelbare Hilfe bereitstellen.“

73 Prozent der "Mitwisser" an der Arbeitsstelle haben bei einer repräsentativen Untersuchung angegeben,  Betroffenen schon mehrfach geholfen zu haben. Dazu Schiefer: „Es wird in der Regel aber nur kurzfristig bei speziellen Angelegenheiten unterstützt, die grundsätzlichen Probleme werden aber nicht angegangen.“

Mento zeigt den Mitwissern, wie sie ihren Kollegen nachhaltig helfen können. Bei Schulungen lernen die Mentoren, wie sie Betroffene erkennen und deren Lernerfordernisse und -bedürfnisse identifizieren, wie sie diese ansprechen und ausreichend ermutigen, um ihren eigenen Bildungsweg zu finden.

Mento kooperiert eng mit kommunalen Entscheidungsträgern und Bildungseinrichtungen, zum Beispiel den Volkshochschulen, die entsprechende Kurse anbieten. Bundesweit konnte Mento bis 2016 bereits 291 Mentoren ausbilden.

Positive Resonanzen

Neben Betriebsräten und direkten Kollegen reagieren auch Unternehmensleitungen zunehmend auf das Angebot von Mento. „Das Engagement zahlt sich aus, die Unternehmen bekommen durch unsere Maßnahmen sehr motivierte und loyale Mitarbeiter,“ bekräftigt Schiefer, "und diese sind natürlich vielseitiger einsetzbar als solche, die ungenügend lesen und schreiben können."

Ansprechpartnerin

Renate Schiefer (DGB Bildungswerk e.V.) ist die Regionalkoordinatorin für Mento in Bayern. Sie ist Ansprechpartnerin für alle, die z.B. als Mentoren Kollegen unterstützen wollen. Kontakt: Tel. 089 / 55933625.


Verwandte Artikel

Startseite Anzeige aufgeben Zeitung online lesen Jobs Kontakt Facebook Anfahrt