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"Es hat gut funktioniert"

Für Michael Piazolo laufen Schule und Lernen zuhause in der Krise "reibungslos". Aber stimmt das au

Kultusminister Prof. Dr. Piazolo. (Bild: Andreas Gebert)

„Ich habe mir persönlich ein Bild gemacht. Der Start ist reibungslos verlaufen“, meinte Kultusminister Michael Piazolo am 28. April über die Wiederaufnahme des Unterrichts in Schulen. Und über das Lernen zuhause während der Schulschließung sagte er: „Das hat funktioniert.“ Am 5. Mai wiederholte er: „Es hat in den letzten Wochen gut funktioniert. Schüler, Eltern, Lehrkräfte, Schulleiter, Verbände und auch das Ministerium haben gut zusammengearbeitet.“

So sieht es der BLLV

“Die Kollegen wollen ihren Teil dazu beitragen, diese schwierige Situation für die ganze Gesellschaft wieder aufzufangen. Dafür brauchen aber auch wir klare und rechtzeitige Information und vor allem Zeit für professionelles Krisenmanagement vor Ort”, fordert Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrer-Verband (BLLV). Mit dem, was das Ministerium liefert, ist sie nicht zufrieden: "Am Mittwoch Rahmenpläne für Montag veröffentlichen und zu hoffen, dass schon alles klappen wird, geht nicht. So gefährden wir die Sicherheit aller. Transparente Kommunikation 'von oben' sieht anders aus, wenn es vor Ort funktionieren soll.“

So sieht es die GEW

Die Bildungsgewerkschaft GEW Bayern nennt die Informationspolitik des Kultusministeriums zu Schule und Unterricht unter Corona-Bedingungen "intransparent und unzureichend" und "desolat". Haben die Schulen bereits die Schulschließungen Mitte März zuerst über die Presse erfahren, sind auch die weiteren Planungen zur sukzessiven Öffnung nicht rechtzeitig an die Schulen kommuniziert worden. Gerade für die Schulleitungen sei das ein großes Problem und dazu "völlig unverständlich", so die GEW. Im Ministerium fehle es an Praxiswissen, z.B. wenn es um die Prüfungen der Mittelschüler gehe: Die GEW attestiert dem Ministerium "Unkenntnis" darüber, wie Prüfungen geplant werden. Anstatt nur in Pressekonferenzen von einer guten Kommunikation mit Personalratsgremien, Verbänden und Lehrkräften zu sprechen, sollte dies auch in die Tat umgesetzt werden, legt die GEW dem Kultusminister ans Herz.

So sieht es der bpv

"Es kann nicht immer alles von Beginn an hundertprozentig funktionieren", wirbt der Bayerische Philologenverband (bpv), der die Lehrkräfte an Gymnasien und beruflichen Oberschulen vertritt, um "Verständnis und Gelassenheit von allen Seiten". Er begrüßt die Schulöffnung, sieht aber Hürden bei der Umsetzbarkeit vor Ort und der Belastung der Lehrkräfte. Schüler, Eltern und Lehrer brauchen zudem Gewissheit, wie es mit den Schulaufgaben und anderen Leistungsnachweisen weitergeht, so der bpv.

So sieht es der VDR

Manche politisch Verantwortlichen haben sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert, wenn es um einen geordneten Wiedereinstieg in den neuen Schulalltag geht, fasst der Deutsche Realschullehrerverband (VDR) zusammen. Er weist darauf hin, dass es in der Ausstattung der Schulen mit digitalen Unterrichtsmitteln Mängel gibt. Auch das führt zu Reibungen: Dass nicht jeder Schüler über die fürs Lernen zuhause notwendige digitale Infrastruktur verfügt, "hat die schon bestehende soziale Spaltung in den Schulen weiter verschärft“, sagt Martina Borgendale. Sie ist Realschullehrerin und stv. GEW-Landesvorsitzende.

Lebensplanungen auf der Kippe

In Ausnahmezeiten wie diesen läuft nie alles reibungslos - nicht in einem Ministerium, nicht in den vielen Betrieben und nicht einmal in einer Zeitungsredaktion. Entscheidend ist, wie mit der Reibung umgegangen wird. Für viele Schüler wird die jetzt immer noch entstehende Lücke weitreichende Folgen haben. Wenn Hänschen heute nicht jedes Detail über Vegetationszonen lernt, mag das Hans einmal verschmerzen. Für viele Jugendliche, die in den Abschlussklassen auf dem Sprung ins Berufsleben stehen, gehen indes Perspektiven und womöglich ganze Lebensplanungen gerade verloren.

Viele engagierte Lehrer kümmern sich vor Ort um ihre Schüler und versuchen, die großen Herausforderungen mit ihnen zu meistern. Diese Ressourcen sind endlich: „Viele Lehrkräfte arbeiten bereits jetzt am Rande der Erschöpfung", warnt z.B. der Verband der Berufsschullehrer (VLB).

Fazit

Lügt Piazolo, wenn er sagt, dass Schule derzeit reibungslos läuft und gut funktioniert? Jein. Die Situation ist komplex. Von "oben" sieht sie anders aus als vor Ort. Der eine sieht eine Lücke, der andere eine Lüge. Für den Kultusminister gibt es daher die Bewertung "6 - ungenügend". Schüler bekommen diese, wenn (so die Definition der Kultusminister) ihre "Leistung den Anforderungen nicht entspricht und selbst die Grundkenntnisse so lückenhaft sind, dass die Mängel in absehbarer Zeit nicht behoben werden können."


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