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Erfahrung trumpft auf

"Zwischen zwei Buchdeckeln liegt oft eine ganze Welt"

(Bild: sko)

"Zwischen zwei Buchdeckeln liegt oft eine ganze Welt – in die man jederzeit eintauchen kann", sagt Ulrike Mascher. Nie gab es so viele einladende Welten wie heutzutage: Nachdem Johannes Gutenberg gegen 1450 den Buchdruck in Europa erfunden hatte, wurden etwa 600 Bücher im Jahr gedruckt. Geschriebenes wurde plötzlich vielen Menschen zugänglich; neue Gedanken konnten sich rasch und weit verbreiten. Heute kommen allein in Deutschland jedes Jahr etwa 80.000 Neuerscheinungen auf den Markt - 80.000 neue Welten, die jedermann zugänglich sind. Lesen ist die Wiege für einen kritischen und lebhaften Geist, es ist ein Schatz - und es kann viel Freude schenken.

Winfried Bürzle: "Ein großer Schatz ist uns geschenkt"

Ein feiner Tropfen Silvaner, Chardonnay oder Spätburgunder: was für ein Genuss, was für ein Geschenk der Natur! Damit wir diesen Genuss erfahren können, hat der Winzer akribische Arbeit im Weinberg geleistet. Am Ende hat er die Weintrauben geerntet, er hat sie „gelesen“.

Weinlese haben die Menschen betrieben, lange bevor sie den ersten Buchstaben, das erste Wort gelesen haben. Aber Vorgang und Resultat sind dabei durchaus vergleichbar. Auch aus einem guten Buch, einer schönen Erzählung, einem gescheiten Artikel ernten wir. Wir sammeln Buchstaben und Wörter auf und ein, wir „lesen“ sie, füllen unseren Geist und bereichern so unser Leben.

Vielleicht macht uns dieser kleine Vergleich erst so richtig deutlich, welch großer Schatz uns Menschen mit dem Lesen geschenkt wurde. Ich wünschte mir, dass wir diesen Schatz pflegen und hegen. Denn dass Lesen bildet, das ist unbestritten. Aber es bildet eben nicht nur den Intellekt. Es bildet auch das Herz, unser Gemüt, unsere Vorstellungskraft, unsere Phantasie.

Geschichten fesseln, nicht Fakten

Genau das geht in dieser phantasielosen Welt zwischen Twitter, Facebook und WhatsApp immer mehr verloren. Nicht, dass ich SMS, Tweeds, Selfies oder Videoclips verteufeln will. Verstehen wir sie als schöne Bereicherung, aber eben nicht als Ersatz. Sie dürfen nicht zu Lasten dessen gehen, was unsere Phantasie anregt: die Geschichten.

Immer weniger Menschen beherrschen heute die Kunst, über die früher jeder Großvater intuitiv verfügte: Geschichten erzählen. Als hauptberuflicher Radiomacher weiß ich, dass wir uns nur von Geschichten fesseln lassen, nicht von Fakten. Das „Kino im Kopf“ ist das große Ziel. Die Kunst, mit Worten Bilder entstehen zu lassen, ganz persönliche, keine vorgefertigten, wie es eben Fotos oder Videoclips sind.

Geschichten erzählen, vorlesen und dadurch zum selber Lesen animieren: Das sollten wir uns zur Aufgabe machen für unser Umfeld. Damit wir alle wieder erkennen, dass die Buchstaben und Wörter ein Geschenk sind. Eben genau wie der Wein und die Trauben. In diesem Sinne: „zum Wohl“, Du geschriebenes Wort, Du Satz, Du schöne Geschichte …

Ingrid Appel: "Lesen ist entscheidend für das Leben"

Lesen ist für mich ein Grundbedürfnis! Ein Tag ohne Lesen ist für mich ein verlorener!

Zum einen bedeutet Lesen natürlich Information. Ich muss wissen, was in meinem Umfeld und in der Welt passiert. Heute erhalten wir ja Informationen aus den entlegensten Orten der ganzen Welt. Auch kann man die Hintergrundinformationen der Kurznachrichten des Fernsehens nachlesen. Es gibt Bücher über alle Themen des persönlichen Interesses, man kann sie in den zahlreichen städtischen Büchereien ausleihen, man muss sie nicht einmal kaufen.

Das Stöbern in den Buchhandlungen macht riesigen Spaß, dort gibt es die Neuerscheinungen aus erster Hand, auf die man schon so neugierig ist.

Wichtig für die Integration

Wichtig ist beim Lesen die Sprache. Senioren haben in unserer Nachbarschaft eine Gruppe gebildet und gehen in die nahegelegene Schule, um mit den Grund- und Mittelschülern (diese kommen aus über 30 Nationen) zu lesen und dabei das Geschriebene zu erklären. Das Erlernen der Bedeutung des geschriebenen Wortes ist so wichtig für die Integration in unsere Kultur und die Kommunikation mit den Mitmenschen. Bei falschem Gebrauch des Wortes können unangenehme Missverständnisse entstehen. Wenn das Verständnis des Gelesenen nicht da ist, haben Schüler Schwierigkeiten, Aufgaben zu lösen, wenn sie deren Sinn nicht verstehen und werden fälschlicherweise bei Prüfungen falsch beurteilt. Das bedeutet letztlich auch, keinen soliden Ausbildungs-Arbeitsplatz zu bekommen. Lesen ist Bildung, Fortbildung und damit entscheidend für das künftige Leben.

Dies betrifft nicht nur die Schüler und die Erwachsenen, die aus anderen Ländern die zu uns kommen, sondern leider auch viele Deutsche. Das Interesse am Lesen wird vordringlich in der Familie gelegt. In vielen Familien wird leider nicht mehr gelesen. Oft gibt es statt einer "Gute-Nacht-Geschichte" nur eine auf einer CD.

"Sich dieses Gefühl nicht nehmen lassen"

Lesen bedeutet für mich aber auch Spannung, Spaß und Unterhaltung. Ein Tag ohne Lesen kommt bei mir nicht vor. Am Nachtkästchen liegt immer ein Buch, meistens ein Krimi, die ich sehr gerne lese oder etwas zur Unterhaltung, bei dem man aus vollem Herzen lachen kann.

Auch für den Urlaub decke ich mich mit Lesestoff ein. In den letzten Jahren ist es in digitaler Form, um nicht wie früher schwere Bücher mitzuschleppen. Da kann man sich immer wieder neue Bücher nachladen. Insofern hat sich das Lesen verändert. Ich jedoch halte lieber ein Buch in Händen, genieße die Spannung und auch den Geruch eines neuen Buches.

Wie freuen sich Ältere und Kranke, wenn man ihnen etwas vorliest, damit die Zeit vertreibt, sie aufmuntert mit spannenden, unterhaltsamen Geschichten und sie mit Nachrichten am Leben teilnehmen lässt. Wie schön ist es, wenn Kinder mit offenen Augen und Mund spannenden Geschichten lauschen.

Dieses Gefühl, sich und Anderen mit Lesen Freude zu bereiten, sollten wir uns nicht nehmen lassen.

Ulrike Mascher: "Es gehört zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen"

Es gehört zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen, dass mein Vater der ganzen Familie vorgelesen hat. „Nils Holgersson“ habe ich dabei besonders geliebt. In meinem Leben spielen Bücher bis heute eine ganz zentrale Rolle. Ohne Lesestoff in meiner Tasche gehe ich nicht aus dem Haus, geschweige denn auf Reisen. Zwischen zwei Buchdeckeln liegt oft eine ganze Welt – in die man jederzeit eintauchen kann.

"Es geht fast überall"

Als Hobby ist Lesen ideal. Die meisten Freizeitbeschäftigungen muss man gut planen. Ob Sport, Theater oder Cafébesuch: Man muss sich möglicherweise umziehen, meist aus dem Haus gehen, mit dem Auto fahren, Eintritt bezahlen – nicht so beim Lesen. Das geht fast überall, nur Zeit und Lust muss man haben. Und natürlich ein gutes Buch. Das kann für mich ein spannender Roman sein, aber auch ein gut geschriebenes Sachbuch.

Lesen ist aber viel mehr als ein Hobby. Eines der wichtigsten Dinge, die man Kindern und Jugendlichen mitgeben muss, ist die Schlüsselkompetenz Lesen. Sie ist die absolut notwendige Voraussetzung für beruflichen Erfolg. Viele junge Leute verlassen leider unsere Schulen, ohne richtig lesen und schreiben zu können. Irgendwie kommen sie als Erwachsene schon zurecht, aber eben nur „irgendwie“ und nicht so optimal, wie es sein könnte.

Das ist für den Einzelnen fatal und ein großer gesellschaftlicher Verlust. Gerade wer kein deutschsprachiges Elternhaus hat, braucht jede Unterstützung. Also Förderung in Kindergarten, Schule oder von ehrenamtlichen Lesepaten. Ich bin überzeugt: Wer selber liest, statt sich nur passiv Fernsehen, Internet & Co. zu widmen, hat bessere Chancen, einen kritischen, wachen und lebhaften Geist zu entwickeln.


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