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Erfahrung trumpft auf

Was verbindet ideenreiche Schüler, Vanillekipferl, hilfsbereite Nachbarn, einen Griechischlehrer und geschrie

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war 1992 bis 1996 sowie 2009 bis 2013 Bundesjustizministerin. Heute ist sie stv. Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung. (Bild: FNF_Tobias Koch)

Geteilte Freude ist doppelte Freude: Ist das nicht ein etwas blauäugiges Versprechen? Sich zu ärgern geht ohnehin viel leichter als sich herzlich zu freuen. Kann man sich in einem schwierigen Jahr wie dem zu Ende gehenden überhaupt freuen - und sei es nur über Kleinigkeiten? Was ist "Freude" überhaupt? Wir haben unsere "Trümpfe" gebeten, "mit Freude" zurück und nach vorne zu sehen:

 

"Freude hat keine Altersgrenze"

Ulrike Mascher:

Freude hat keine Altersgrenze und keine Mindestgrößenangabe. Zugegeben, Kinder sind vielleicht spontaner – auch beim Freuen. Ich kann mich dafür auch über kleine Momente freuen. Im Herbst zum Beispiel, beim Blick aus meinem Küchenfenster, über das goldgelbe Laub, das in der Sonne aufleuchtet. Und jedes Jahr im Advent freue ich mich auf das gemeinsame Backen mit meiner Schwester: Honiglebkuchen und Vanillekipferl! Das Backen gehört für mich einfach zu einer schönen Weihnachtszeit. Optimismus und Freude sind für mich eng verknüpft.

Wenn ich ans nächste Jahr denke, dann hoffe ich auf ein „gut geimpftes“ Pfingstwochenende. Am liebsten würde ich mich auf einer Radltour an der Donau sehen. Freude, am besten geteilte Freude, wirkt auch nachhaltig. Es ist immer schöner, etwas gemeinsam mit Freunden zu unternehmen. Ich freue mich zum Beispiel über die Fotos, die dann entstehen, und weiß, dass ich damit auch viel später noch viele schöne Erinnerungen und Freude haben werde, die wir miteinander teilen können. Nörgeleien liegen mir grundsätzlich nicht. Ich finde es viel angenehmer, jemanden zu loben oder mich bei jemandem zu bedanken. Das schafft eine freundliche Grundstimmung und ein gutes Miteinander.

"Freude erlebe ich erst richtig in der Begegnung"

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:

Freude macht zufrieden und gehört zum sich Wohlfühlen dazu. Freude im stillen Kämmerlein ist auch ganz schön, aber Freude erlebe ich erst richtig in der Begegnung mit anderen Menschen. Wenn andere Menschen sich freuen und wenn ich etwas dazu beitragen kann – mit einem Rat, mit Hilfe, mit dem Reden über aktuelle Probleme, dann fühle ich mich auch wohl und freue mich.

Ab März 2020 gab es immer weniger Gelegenheiten zur Begegnung. Die Corona-Pandemie hat uns besonders in unseren Kontakten sehr stark eingeschränkt. Sie hat unser tägliches Leben verändert, manche Menschen einsam gemacht, manche müssen sich um ihre wirtschaftliche Existenz sorgen und besonders Alleinerziehende müssen Unglaubliches im Home Office mit Home schooling leisten. Sorge, Angst und Unsicherheit über die Zukunft und darüber, wann die Pandemie überwunden ist, geben im Moment wenig Anlass zur Entspannung.

Und dennoch gibt es Anlass zur Freude. Darüber, dass in der Nachbarschaft die gegenseitige Hilfsbereitschaft groß ist. Darüber, dass es kreative Musikangebote gibt – im Freien und mit Abstand. Darüber, dass sich junge Menschen so toll auf die ständigen Veränderungen im Schulbetrieb einstellen und digital voranpreschen. Darüber, dass sich der Gastwirt um die Ecke immer wieder neue Gerichte zum Abholen einfallen lässt. Darüber, dass sich Ärzte und Pflegekräfte so aufopferungsvoll um Erkrankte kümmern. Darüber, dass im harten Lockdown die Buchhändlerinnen und Buchhändler alle Formen der telefonischen und digitalen Bestellung sowie Abhol- und Bringservice nutzen. Ihre Beratung macht mir Freude und überzeugt mich immer wieder, dass es auch ohne Online-Einkauf geht.

Die positive Seite der Beschränkungen ist, dass es mehr Zeit zum Lesen und für die Musik gibt, wenn auch zuhause und nicht in einem vollen Konzertsaal. Krimis ohne allzu lange Unterbrechung in sich reinzuziehen, lässt die Spannung intensiv geniessen und macht Freude, wenn die Lösung in die Nähe der eigenen Vorstellungen kommt. Das klassische Musikangebot im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist beeindruckend und rechtfertigt angemessene Rundfunkgebühren. Beethoven erfreut hoffentlich sehr viele Menschen nach einem stressigen beruflichen Tag mit seiner "Ode an die Freude" und gibt ihnen viel Kraft.

"Schon schwierig, aber erreichbar"

Dr. Walter G. Demmel:

Die Freude ist schwierig, könnte man in Anlehnung an Sokrates (469-399 v. Chr.), einen der bedeutendsten Philosophen des griechischen Altertums sagen. Sokrates vertrat die innere Freude, die Eudaimonia, also dass menschliches Glück aus innerer Freude resultiert und nicht aus dem Genuss äußerer Lustbarkeiten besteht.

Freude ist aber auch schwierig, wenn wir Epikur (341-270 v. Chr.), den griechischen Begründer der hedonistischen Lehre zu Hilfe nehmen. Er predigte den Rückzug aus der verderbten politischen Öffentlichkeit in den eigenen Garten, also ins Private. Gelassenheit ist für ihn die höchste Lust und Freude.

Das scheint Theorie zu sein. Wie schaut für uns in diesen besonderen Zeiten die tägliche Praxis aus? Um es für mich vorwegzunehmen, ich bevorzuge die Gelassenheit, die Eutaraxia. Für mich ist Freude nicht schwierig, wenn ich gelassen und zufrieden bin, aber ich orientiere mich auch an Beispielen.

Mein Großonkel mütterlicherseits war Prior der Benediktinerabtei Metten b. Deggendorf. Er war auch als Lehrer, den ich in der 10. Klasse des dortigen Gymnasiums in Griechisch hatte, nie aus der Ruhe zu bringen, Er ruhte durch seine Selbstbeherrschung in sich selbst und strahlte souveräne Gelassenheit und stille Freude aus, wenn es ihm in den Schulstunden gelang, uns mitzunehmen auf den Weg zur humanistischen Bildung.

Ganz anders mein zweites Beispiel, das zeigen soll, dass man nicht humanistischer Bildung bedarf, um ein zufriedener und freudevoller Mensch zu sein. Es ist ein Beispiel aus unserer besonderen Zeit, in der die innere Freude und Gelassenheit notwendig scheint. Es trifft mich ganz besonders, weil es nicht nur zeit-, sondern auch altersnah ist.

Als ich vor einigen Tagen einen 88-jährigen Bewohner unserer Allacher Waldkolonie fragte, wie er die aktuelle Diskussion um die Panzer-Teststrecke sehe, sagte er: „Wenn ich manchmal auf das tiefe Brummen hinhöre, könnte ich mich ärgern, wenn ich aber daran denke, dass mich früher die nahe Eisenbahnlinie und das Jaulen der in der Nähe untergebrachten Schlittenhunde von Gerd Bittl störten, bin ich mit der heutigen Situation sehr zufrieden. Wenn man sich ärgert, wird man nicht alt. Ich freue mich auf jeden Tag, der mir noch geschenkt ist.“

Ich kann nur für mich darauf rekurrieren: Auch Augenblicke der Freude sind schon schwierig, aber erreichbar.

"Es ist etwas zutiefst Elementares"

Winfried Bürzle:

„Fühle Dich umarmt!“ Ich weiß nicht, wie oft ich diese kurze Botschaft am Ende einer Mail an entfernt lebende Angehörige, Freunde und gute Bekannte seit diesem Frühjahr geschrieben oder auch in Botschaften von ihnen gelesen habe. Gefühlt so oft wie ich das zweimalige „Happy Birthday“ im Geiste gesungen habe, als zeitliche Gedankenstütze für die Empfehlung von Hygienefachleuten, sich in Coronazeiten regelmäßig die Hände für rund 20 bis 30 Sekunden zu waschen.

Die Frage, warum wir uns das jetzt so oft schreiben, beantwortet sich gleich selbst: weil wir es vor Corona ganz einfach getan haben! Und getan haben wir es deswegen, weil es normal ist, im besten Sinne „menschlich“. Schließlich sind wir Menschen Gemeinschaftswesen. Und dazu gehört auch, andere Menschen mit allen Sinnen wahrzunehmen. Sie zu sehen, hören, riechen und eben auch spüren.

Der körperliche Kontakt, die Berührung, ist etwas zutiefst Elementares in der Beziehung zwischen Menschen. Und genau der aber ist es, der in diesen Zeiten von Corona aber auch eine potenzielle Gefahr darstellt. Daher die Empfehlung nach „social distancing“. Wobei dieser Begriff aus meiner Sicht komplett falsch ist. Nicht sozial sollen wir uns entfernen, sondern lediglich rein körperlich sollen wir Abstand halten, um die Gefahr einer Ansteckung zu verringern. Denn zugleich spüren wir doch, wie wir nach Ersatzhandlungen suchen, um diese soziale Distanz nicht zuzulassen oder zumindest möglichst klein zu halten. Und da bedienen wir uns eben des gesprochenen oder auch geschriebenen Wortes.

Welch ein schönes Zeugnis für unser Menschsein. Zusammen bleiben, sich festhalten. Und wenn es gerade körperlich nicht sein darf, dann eben mit Worten. Meine schöne Erkenntnis aus dem Corona-Jahr 2020. Verbunden mit einem vorsichtig optimistischen und vorfreudigen Blick nach vorne ins nächste Jahr. Wenn ich jemandem aus dem Kreis meiner Lieben nicht mehr schreibe „Fühl Dich umarmt“, sondern wenn ich auf sie oder ihn wieder zugehe und sage: „Sei umarmt!“.

"Ich war völlig überwältigt"

Ingrid Appel:

Weihnachten 2020 stellte mich als Vorsitzende der „Mieterinitiative Haderner Stern e.V.“ vor ein großes Problem. Jedes Jahr hatten wir in der Weihnachtszeit eine Veranstaltung für unsere Mitglieder angeboten oder kleine Geschenke verteilt. Dieses Jahr hatte ich viele Pläne, aber alle sind den Einschränkungen zum Opfer gefallen.

Zuletzt hatte ich Essensgutscheine für finanziell schwache Senioren bei der Stiftungsverwaltung beantragt, damit sie sich Weihnachten ein festliches Essen „to go“ leisten könnten. Alleinstehende, insbesondere Senioren, leiden sehr unter der Einsamkeit und finanziellen Not. Sie haben meist keine Möglichkeiten, digital zu kommunizieren oder im Netz günstig einzukaufen.

Da bekam ich eine Mitteilung von einer mir unbekannten Lehrerin aus der Lukas-Schule mit folgendem (verkürzten) Inhalt:

"Die Schülerinnen und Schüler der privaten Lukas-Grundschule München haben sich in der aktuellen Situation damit beschäftigt, dass es für viele Menschen nicht einfach ist, viel alleine sein zu müssen. Die Idee, für Menschen einen Gruß zu basteln, zu malen oder zu schreiben um zu zeigen 'Wir halten zusammen!' weckte Begeisterung bei den Schülerinnen und Schülern und es entstanden unzählige Kunstwerke, von denen Sie heute eines in Händen halten dürfen. Die Kinder der Lukas-Schule wünschen Ihnen hiermit eine gesegnete und behütete Weihnachtszeit!"

Ich freute mich schon sehr, dass ich wenigstens Einigen einen aufmunternden Gruß schicken durfte. Da brachte mir die Lehrerin ca. 300 gebastelte, gemalte und kreativ gestaltete Grüße der Schüler. Ich war völlig überrascht von der Vielzahl und vom Ideenreichtum der Schüler: viele aufmunternde Grüße, manche zum Schmunzeln, immer jedoch liebevoll.

Mit einem gemeinsam mit der Lehrerin, Frau Rosemarie Feck, verfassten Rundschreiben, konnte ich die 300 Grüße an die Nachbarn in die Briefkästen einwerfen. Ich hatte noch gar nicht alle verteilt, da kamen schon die ersten Anrufe und Mails. Ich war völlig überwältigt davon, wie die Nachbarn die Grüße der Schüler aufgenommen haben. Mehrere Nachbarn haben den Schülern geantwortet, ein Geschäftsmann hat den Gruß in sein Schaufenster gehängt.

Noch nie habe ich bei Weihnachtsgeschenken oder Veranstaltungen eine dermaßen euphorische, freudige Resonanz bekommen wie auf diese kleinen Grüße an unbekannte Mitmenschen. Ein wahrer Lichtblick in dieser dunklen Zeit und Hoffnung auf eine bessere im nächsten Jahr.

Unsere Trümpfe

Ulrike Mascher ist Landesvorsitzende des Sozialverbandes VdK Bayern, der sich für Rentner, Behinderte, chronisch Kranke, Pflegebedürftige, ältere Arbeitnehmer und Arbeitslose stark macht.

Winfried Bürzle blickt auf 40 Jahre Radio-Erfahrung zurück (u.a. beim Bayerischen Rundfunk). Er ist als Dozent, Lehrbeauftragter und Trainer und Coach für Rhetorik und den öffentlichen Auftritt tätig.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war von 1992 bis 1996 sowie von 2009 bis 2013 Bundesjustizministerin. Heute ist sie die stv. Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung.

Walter G. Demmel promovierte in Bayerischer Landesgeschichte und gründete 2008 die Geschichtswerkstatt Allach-Untermenzing. Als Stadtteilhistoriker dokumentiert er die Geschichte dieses Viertels.

Ingrid Appel ist Seniorenbeirätin in Hadern. Sie engagiert sich u.a. in der Mieterinitiative Haderner Stern, organisiert Sicherheitsberatungen für Senioren und Lesepatenschaften mit der Guardinischule.


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