"Eltern sind die wichtigsten Lotsen"
Was - und wer - ist für die Berufswahl wichtig?
Die soziale Herkunft soll nicht automatisch den eigenen Lebensweg bestimmen - und auch nicht die Berufswahl. Die ist für Jugendliche aber gar nicht so einfach: Bei über 450 Ausbildungsberufen und mehreren Tausend Studiengängen fällt die Entscheidung für einen bestimmten Beruf schwer. Andererseits suchen immer mehr Branchen Fachkräfte und Auszubildende.
Wir fragten Politiker, Verbandsmenschen und Lehrer nach ihren Tipps - und danach, wie sie einmal ihre eigene Wahl getroffen haben:
„Wie können Schulen, Betriebe und Eltern Jugendliche bei der Berufswahl unterstützen? Erinnern Sie sich noch, was bei Ihnen selbst den Ausschlag für Ihre Berufswahl gegeben hat?“
MdL Florian von Brunn (SPD):
Jugendliche brauchen die richtige Ausbildung in einem Beruf, der ihnen Freude macht und ihnen eine Perspektive bietet. Das Wichtigste ist aus meiner Sicht, dass sie die richtige Stelle finden. Sie müssen wissen, was sie können und was ihnen Spaß macht. Dann klappt es auch.Deswegen muss die Schule bei den Stärken der Jugendliche ansetzen und sie dort fördern. Die Eltern können das unterstützen, indem sie sich die Zeit nehmen, den Weg mit den Jugendlichen gemeinsam zu entwickeln. Sie sollten nicht Zeit und Zuneigung durch Geld und Konsum ersetzen.
MdL Diana Stachowitz (SPD):
Ich bin gelernte Pädagogin, und ich habe damals meinen Traumberuf ausgewählt! Mein Vater hat es verstanden, Spielen und Lernen mit uns Kindern zu verbinden und mich so bei meiner Berufswahl unterstützt. Die meisten Kinder erleben heute den Beruf der Eltern im Alltag nicht mit und haben daher keine Vorstellung mehr von der Arbeitswelt. Hier müssen die Schulen viel stärker Bildung und Praxis verknüpfen. Weg vom reinen Bildungstrichter, hin zur Erkennung und Stärkung der Talente. Ideal sind Partnerschaften von Unternehmen und Schulen, mit regelmäßigen Praxistagen, um die immense Vielfalt der heutigen Berufsausbildungen greifbar zu machen. Den Eltern möchte ich sagen, "schauen Sie genau hin: wo liegen die Stärken Ihres Kindes?" Die gilt es zu fördern und zu unterstützen.
Josef Schmid, zweiter Bürgermeister München (CSU):
Ein breites und gutes Beratungsangebot „analog“ und digital“, wie das bereits jetzt besteht, ist wichtig. Auch die zahlreichen Kooperationen zwischen Schulen und Betrieben unterstützen bei der Berufswahl. Durch die Wahrnehmung von Praktika können Jugendliche ihren vielleicht künftigen Beruf praktisch erleben und erste Erfahrungen sammeln, ob die Arbeit auch für sie „passt“. Natürlich ist aber auch ein eigenes Engagement und Interesse erforderlich. Gespräche in der Familie, mit Freunden und Bekannten tragen auch zur richtigen Wahl bei.
Ich selber habe durch zahlreiche Praktika während des Studiums meinen Entschluss gefasst, Wirtschaftsanwalt zu werden.
Hubert Schöffmann (IHK für München und Oberbayern, stv. Bereichsleiter Berufsbildung):
Entscheidend für mich waren meine Eltern, zum einen mein Vater, der mir durch Einblicke und Berichte aus seiner täglichen Arbeit wertvolle Impulse für meine Berufswahlentscheidung gegeben hat, und zum anderen mein generelles Interesse für Technik. Ergänzt und verfestigt wurde meine Entscheidung dann noch durch unterschiedliche Praktika und so kam es zu einer ersten Berufsausbildung in der Elektrotechnik, der weitere Fortbildungen und ein berufsbegleitendes Studium folgen sollten.
Dies zeigt und das belegen aktuelle Studien deutlich, für Jugendliche sind die Eltern nach wie vor die wichtigsten Ratgeber und Lotsen, wenn es um die Berufswahlentscheidung und -orientierung geht. Eltern muss es bewusst sein, dass sie bei dieser für ihre Kinder ersten sehr wichtigen Weichenstellung neben Schulen, Unternehmen, Freundeskreis und Internet in einer ganz besonderen Erziehungs- und Bildungsverantwortung stehen. Entscheidend dafür ist es, dass sich Eltern aktiv in diesen Prozess einbringen, als Ratgeber und Begleiter, aber nicht als "Bestimmer" die Entscheidung vornehmen. Es geht vielmehr darum, Chancen und Möglichkeiten, aber auch Risiken aufzeigen.
Dies schließt nicht aus, dass sich Eltern in dieser Phase über den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ein Update verschaffen. Selbstverständlich müssen auch alle anderen Bildungsakteure in ihren jeweiligen Aufgaben und Funktionen den Jugendlichen mit Rat und Tat zur Seite stehen und Verantwortung übernehmen. Allgemeinbildende Schulen haben die Berufsorientierung fest in ihren Lehrplänen verankert und vermitteln das den Jugendlichen sehr strukturiert und systematisch.
Entscheidend ist, dass die Lehrpläne in der tagtäglichen Schulpraxis auch umgesetzt werden. Dazu gehört u.a. die Stärkung des Praxis-, Lebens-, und Wirtschaftsbezugs in den Unterrichtsfächer, sowie Verzahnung von Theorie und Praxis in der Lehreraus- und -fortbildung. Aber auch hier gilt, Schule und Eltern müssen gemeinsam die Bildungsverantwortung wahrnehmen. Ein weiterer wichtiger Verbündeter sind die Betriebe, sie sind ein zentrales Element in der Berufswahlentscheidung, sie können aktuell und authentisch aus der Praxis berichten, sie können mit dem Angebot von Praktika den Jugendlichen erste und hautnahe Einblicke in die Arbeitswelt von heute und morgen bieten und ganz nebenbei mit Blick auf den künftigen Fachkräftemangel exklusives Ausbildungsmarketing in eigener Sache betreiben.
Aber auch die Jugendlichen selbst sind gefordert bei dieser Frage, sie können sich nicht ausklinken. Sie müssen deutlicher als bisher Verantwortung für ihr Leben übernehmen, ihre eigenen Kompetenzen realistischer einschätzen, sich auch selbst um die Kontaktpflege mit den Unternehmen bemühen und sich generell stärker mit Berufsorientierung und Berufswahl auseinandersetzen. Die Berufswahlentscheidung ist keine kurzfristige, alleinige und am Schreibtisch bzw. Internet getroffene Entscheidung. Gemeinsam mit viel Praxisinput zum Erfolg lautet die Devise!
Bildungsstaatssekretär Georg Eisenreich (CSU):
Die Berufswahl ist eine der wichtigsten Entscheidungen im Leben. Dafür brauchen die jungen Menschen eine gute und praxisnahe Orientierung für die Vielfalt der Ausbildungs-, Studien- und Berufsangebote. Schulen, Hochschulen, Betriebe und Arbeitsagentur geben hier professionelle Hilfestellung: Online-Informationen, persönliche Beratung, Selbsttests, Orientierungsseminare, Praktika, Betriebserkundungen und vieles mehr. Auch die Eltern sind wertvolle Ratgeber für ihre Kinder.
Ich selbst wusste am Ende meiner Schulzeit, dass ich Rechtsanwalt werden wollte; andere in Rechtsfragen zu beraten, zu vertreten und zu ihrem Recht zu verhelfen, fand ich einen spannenden Beruf.
MdL Andreas Lotte (SPD):
Die Schule ist allzu oft wie ein Gewächshaus, das vor den rauhen Unbilden der realen Arbeitswelt abschirmt. Ich habe die Ferienjobs während meiner Schulzeit dazu genutzt, mich umzusehen. Was gefällt mir? Was kann ich mir - auch längerfristig - vorstellen, zu tun? Bei der Berufswahl zählt Praxis, Praxis, Praxis. Natürlich auch Gespräche mit Schulabgängern, Studenten, Auszubildenden, möglichen Vorgesetzten, erfahrenen Erwachsenen. Aber das wichtigste ist: Der Beruf muss Spass machen.
Heinrich Hofmann (Bürgermeister von Planegg):
Meiner Beobachtung nach geben besonders Schulen und Betriebe heute viel Hilfe bei der Berufswahl. Es werden Praktika angeboten und es gibt viel Infomaterial. Auch die Berufsberatung, so man sie denn intensiv genug nutzt, ist heutzutage wesentlich anspruchsvoller aufgebaut als das früher noch der Fall war.
Zu meinen beiden Ausbildungsberufen, die ich allerdings schon lange nicht mehr ausübe, bin ich eigentlich durch „Vorbilder“ gekommen. Einmal war durch den Wirtschaftszweig auf der Realschule die Richtung schon mal vorgezeichnet. Entscheidend war allerdings ein zwei Jahre älterer Nachbarjunge und ein mich schwer beeindruckender Bankbesuch mit der Schule. Natürlich haben mir meine Eltern auch sehr dazu geraten.
Auch meine zweite Ausbildung war durch „Vorbilder“ geprägt. In der katholischen Jugendarbeit waren hauptberuflich Sozialpädagogen als sogenannte Jugendpfleger in Zusammenarbeit mit Jugendkaplanen tätig. Da ich all die Jahre ehrenamtlich engagiert war und mit den Hauptberuflichen eng zusammenarbeitete nahm ich mir diese als Vorbild und machte mein Freizeitengagement – nach einer sozial-pädagogischen Ausbildung - zu meinem zweiten Beruf.
Michael Streit (Elternbeiratsvorsitzender der Grundschule an der Peslmüllerstraße, Pasing):
Ich halte Zeit und individuelle Förderung für sehr wichtig. Dabei spielen die Eltern, Familie und Freunde aber natürlich auch eine Betreuung durch die Schule eine große Rolle. Weg von der reinen Betrachtung der Noten ist dabei die Beobachtung und Auswertung der persönlichen Neigung und Fähigkeiten der Schüler, z.B. in Lernentwicklungsgesprächen, ein wesentliches Kriterium. In die Beurteilung ist vor allem die Persönlichkeit und die Neigungen des Schülers einzubinden.
Praktika oder individuelle Förderung in und neben der Schule sind dazu notwendig, genauso wichtig sind aber die außerhalb der Schule, durch Verein, Hobby, soziale Kontakte Familie oder sonstige persönliche Erlebnisse gesammelten Erfahrungen.
Hierzu ist aber Zeit nötig: Zeit für die Suche zu haben, Zeit um die Möglichkeiten aufgezeigt zu bekommen, Zeit um sich selber eine Meinung bilden zu können, Zeit zur Erlangung einer „Ausbildungsreife“ die durch eine immer kürzere Schulzeit gar nicht mehr vorgesehen ist.
Ich selber hatte mich erst in der Schlussphase der damals noch üblichen Wehrdienstzeit für eine Ausbildungsart, dem Studium, entschieden. Der Anstoß zur Studienwahl kam durch Gespräche im Freundeskreis und die Entscheidung war eher kurzfristig
Georg Schlagbauer (Metzgermeister und Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern):
"Wichtig ist, dass sich Jugendliche vor der Berufswahl mithilfe ihrer Eltern gründlich informieren. Dazu gehört auch, sich selbstkritisch zu hinterfragen. Welche Berufe könnten mir Spaß machen und zu mir passen? Der nächste Schritt ist dann, diese Berufe über ein Praktikum näher kennenzulernen. Ich z.B. habe meinem Opa als 14-, 15-jähriger Schüler in den Sommerferien das erste Mal beim Wurstmachen geholfen. Anschließend war für mich klar: Ich will Metzger werden."
Christine Borst (1. Bürgermeisterin, Krailling):
Die wichtigste Unterstützung bei der Berufswahl von Jugendlichen sehe ich in der Möglichkeit, verschiedene Praktika absolvieren zu können. Manch ein Traumberuf stellt sich in der Realität dann als „Alptraumberuf“ dar. Ich selbst habe schon als Kind gerne „Büro“ gespielt und ein Praktikum bei einer Bank hat mich dann davon überzeugt, dass eine kaufmännische Ausbildung eine gute Grundlage für meine weitere berufliche Laufbahn sein könnte. Diese Grundlagen helfen mir noch heute, einen guten Überblick über die Verwaltungsabläufe im Rathaus zu behalten.
Werner Fiebig (Schulleiter am Gymnasium Fürstenried):
Als ich 1972 mein Abitur geschafft hatte, hatte ich keinerlei Vorstellungen davon, was ich einmal werden sollte. Ich wollte studieren und zwar in München. Regensburg erschien mir zu provinziell, als gebürtiger Niederbayer hatte ich von der Provinz einfach genug. In der Schule war das Thema Berufswahl nicht vorgekommen. Ein Besuch bei der Berufsberatung des Arbeitsamtes hatte sich als fruchtlos erwiesen. Meine Eltern, selbst keine Akademiker, träumten davon, dass ihr Sohn den Arztberuf ergreifen würde, was für mich Grund genug war, diese Option nicht ernsthaft zu bedenken, wohl weil ich zu einer Generation gehörte, die allen elterlichen Vorschlägen grundsätzlich mit einer gewissen Skepsis begegnete.
Also: auf nach München, aber, was tun? Drei Dinge hatten bis dato irgendeine Neugier in meinem jungen Leben geweckt: Fußball, Musik und Journalismus, mit dem ich als Schülerzeitungsredakteur in Berührung gekommen war. Ich war selbstkritisch genug zu wissen, dass mein Talent weder für eine Karriere als Fußballer noch als Musiker ausreichend war. Immerhin konnte ich diesen Interessen dadurch nachgehen, dass ich in München unmittelbar den permanenten Leidensweg des TSV 1860 verfolgen konnte und mir die Nächte in den Örtlichkeiten um die Ohren schlug, in denen die führenden Jazz- und Rockbands gastierten. Blieb der Bereich Journalismus - und so schrieb ich mich für das Studium der Kommunikationswissenschaften ein. Dass man dazu verpflichtend Englisch belegen musste, stellte kein Problem dar, da mir die Sprache durch das intensive Studium englischer Songtexte durchaus geläufig war. Leider stellten sich dieser Studiengang für mich schnell als Enttäuschung heraus. Die Vorlesungen waren theorieüberlastet und realitätsfern, die wenigen Praktika heillos überlaufen, Jobs bei den Zeitungen oder im Bayerischen Rundfunk waren nur über Beziehungen zu bekommen. Und so reifte in mir der Entschluss, auf ein Lehramtsstudium umzuschwenken. Englisch studierte ich bereits, von den Kommunikationswissenschaften zur Sozialkunde war es nicht weit und überhaupt hatte ich die Lehreridee schon seit der Schulzeit immer im Hinterkopf gehabt. Nicht, weil es mir in der Schule so gut gefallen hätte, sondern weil ich immer dachte, Schule müsste doch auch anders gehen ....
Sprung in die Gegenwart: Das Thema "Berufe und Berufswahl" wird am heutigen Gymnasium in vielfacher Weise aufgegriffen, am intensivsten im Rahmen des Faches Wirtschaftslehre ab der 9. Jahrgangsstufe. Am Gymnasium Fürstenried werden die Schüler dazu ermuntert, in der 10. Klasse ein Berufspraktikum zu machen, das sogar während der Schulzeit absolviert werden kann. Dies soll auf das Projekt-Seminar in der Qualifikationsphase vorbereiten, das ausdrücklich der Studien- und Berufsorientierung dient. Hinzu kommt eine Vielzahl von Berufsinformationsveranstaltungen in der Oberstufe.
Sind die Abiturienten von heute also besser auf die Zeit nach der Schule vorbereitet? Theoretisch ja, doch sie stehen einer solchen Vielfalt von Berufs- und Studienangeboten gegenüber, dass die Orientierung möglicherweise schwieriger ist als je zuvor. Zudem müssen sie grundsätzlich davon ausgehen, dass in unserer schnelllebigen Zeit eine Berufsentscheidung alles andere als endgültig sein wird. Lebenslanges Lernen ist angesagt, Flexibilität ist die Grundkompetenz, Mobilität ist das Gebot der Stunde. Man wird sich in seinem Berufsleben ständig mit neuen Situationen auseinandersetzen müssen, was allerdings keine Schreckensvision sondern eine durchaus reizvolle Perspektive darstellt.
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