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Einer, der hinter die Fassade schaute

Im August wäre Sigi Sommer 100 Jahre alt geworden

Am 23. August wäre Sigi Sommer 100 Jahre alt geworden. An den in Sendling aufgewachsenen Schriftsteller erinnert nicht nur eine Skulptur in der Innenstadt, sondern auch der Platz vor der "großen grauen Zinsburg", seinem früheren Wohnhaus an der Bruderhofstraße, der seit 2009 "Sigi-Sommer-Platz" heißt. Die Münchner Wochenanzeiger fragten Zeitgenossen und Nachgeborene: "Wie erinnern Sie sich an Sigi Sommer? Welche Bedeutung hat er für Sie?"

Helga Lauterbach-Sommer, Cousine Sigi Sommers aus Sendling

Hellwach, lebendig, neugierig und frech - das sind die Eigenschaften, die mir spontan einfallen, wenn ich mich an den Cousin Sigi Sommer erinnere. Er nahm sich kaum die Zeit, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, wenn er bei uns zu Besuch in der alten Wohnung war. Stattdessen störberte er ungeniert durch die Zimmer um nachzuschauen, ob sich etwas verändert habe. Allerhand musste ich mir von ihm anhören, als ich es ungefragt gewagt habe, für meinen kleinen Sohn das hölzerne Kinderspieltischen von Sigi in der Farbe rot zu streichen. Auweia!

Auf meinem Weg durchs Leben begleitet mich die beruhigende Erkenntnis meines Cousins Sigi Sommer, dass sich hinter der Fassade einer jeden noch so hoch gestellten Persönlichkeit auch nur ein kleines Menschenkind mit seinen alltäglichen Sorgen verbirgt.

Dieter Reiter, Münchner Oberbürgermeister

So einen wird es nicht mehr geben, so einen wie den Sigi Sommer. Den ewigen Spaziergänger, der seine Geschichten am Schreibtisch erfunden haben soll und doch den Münchnerinnen und Münchnern so gekonnt ins Leben geschaut hat. Ein ewiger Grantler, aber ein sympathischer, typisch münchnerisch eben. Seinen Blasius habe ich immer gern gelesen. Sigi Sommer war ein scharfer Beobachter und amüsanter Chronist seiner Zeit. Immer mit seiner ganz eigenen Art von Humor. Er hat auch viele Bücher geschrieben, Gedichte, Theaterstücke. Dass ihn die Münchner  heute noch lieben, dafür gibt es ein schönes Bild: Im Winter hat jemand seiner lebensgroßen Bronzefigur am Roseneck einen Pullover angezogen – damit er nicht friert.

Klaus Wohlmann, Leiter der Grundschule am Gotzinger Platz

Am 17. Juli feierte die Grundschule am Gotzinger Platz den 100. Geburtstag eines seiner prominentesten Schüler: Sigi Sommer (verstorben 1996) – ehemals Autor und AZ-Journalist („Blasius, der Spaziergänger“). Von 1920 bis 1928 besuchte er dort die Volksschule, die er als einer der Besten abschloss, bevor er eine Elektriker-Lehre und anschließend eine Journalistenausbildung absolvierte. Bei einer Besichtigung seiner alten „Einmaleins-Werkstätte“ in den 70-er Jahren erinnerte ihn der „herbe Duft nach Bodenöl, Mädchenklassen und frisch gebackenen Pausebrotscherzeln“ wieder an seine Schulzeit. 1984 kam er ein weiteres Mal an die Gotzinger Schule, wo anlässlich seines 70. Geburtstags ein großes Fest für ihn veranstaltet wurde.

Markus Lutz, Vorsitzender Bezirksausschuss Sendling

Da meine Eltern „Abendzeitung-Leser“ waren und ich schon mit zehn Jahren angefangen habe, Zeitung zu lesen, konnte ich immer mal wieder vom Sigi Sommer etwas in dieser lesen, auch wenn er seine „Blasius-Kolumne“ schon 1987 eingestellt hatte. Später ist einem natürlich seine „Spaziergänger-Statue“ aus Bronze am Roseneck aufgefallen. Für uns jüngere Generation ist Sigi Sommer gerade heute besonders Vorreiter bzw. Wiederentdecker des Spazierengehens und des Radlfahrens. Erst letztes Jahr war er Patron der „Walk 21 Konferenz“ in München, bei der es explizit um das zu Fuß Gehen in der Stadt und seine Vorteile ging. Auch wenn man nicht ganz so schnell ist, ist es doch stressfreier und angenehmer, manche Strecken in dieser Stadt zu Fuß zurückzulegen, besonders weil man dann wieder viel entdecken kann. Das gleiche gilt natürlich beim Fahrradfahren. Also nehmen wir uns ein Beispiel an ihm. So wirkt er also noch heute!

MdL Andreas Lotte

München ist voller Denkmäler! Wichtige Leute allesamt; Männer zumeist. Einige von ihnen stehen, viele sitzen. Oft kommen Sie auf hohem Ross daher oder auf Thronsesseln. Bisweilen hat's nur für die Köpfe gereicht. Vorbilder sollen sie sein. Darum hat man sie auf hohe Sockel gehoben. Auf Augenhöhe begegnet man ihnen nie. Nur freche Tauben getrauen sich und hocken sich hin und wieder auf ihre Köpfe.

Ein Denkmal ist anders. Der Dargestellte kommt zu Fuß. Einen Sockel braucht er nicht. Darum kann man ihm auch direkt in die Augen schauen. Diese sind lustig und wach, wie von einem liebevollen, aufmerksamen Beobachter. Manches Mal steckt eine Zigarette in seinem immer lächelnden Mund. So schlendert er zwischen den Münchnerinnen und Münchnern am Roseneck – ein Spaziergänger halt. Denk mal: Der Sigi Sommer!

Medea Schmitt, Leiterin der Stadthalle Germering

Sigi Sommer ist wohl das, was man getrost als „Münchner Original“ bezeichnen kann. Sein gespitzter Blick auf die Vorkommnisse in der Stadt, seine pointierte Art, diese wiederzugeben – das ist wirklich einmalig. Er hatte eine bemerkenswerte Gabe, beim Beobachten der Menschen und Geschehnisse eben nicht nur das Oberflächliche zu sehen, sondern auch die kleinen und feinen vermeintlichen Nebensächlichkeiten aufzudecken, die seine Geschichten ja erst so besonders machten. Das Bild von München, das er dadurch mit Worten zeichnete, ist ein großartiges Vermächtnis, welches ein Stück Zeitgeschichte für die Ewigkeit porträtiert hat.

Prinz Luitpold von Bayern

Er war eine bemerkenswerte Person, die München mitgeprägt hat. Wir brauchen mehr solche Leute, die sagen und schreiben, was sie denken!

MdB Peter Gauweiler, MdB, stv. Parteivorsitzender der CSU

Wir sind gleich alt, nicht Sigi Sommer, aber Blasius der Spaziergänger und ich – Geschöpfe von München und seiner Nachkriegszeit. „Blasius“ trat erstmals in meinem Geburtsjahr „1949“ in Erscheinung. Als Jüngling bin ich ihm immer wieder „literarisch“ gefolgt und lernte durch Sigi Sommer, der ihm die Feder führte, manche Geschichte meines lieben Münchens kennen, die ich nicht kannte. Beim Lesen des „Spaziergängers“ heute steigt die versunkene Welt meiner Jugend wieder auf, jenes sehr verletzten und gleichzeitig wunderbaren Millionendorfs, das gerade zwei fürchterliche Weltkriege überstanden hatte, das wieder zum Leuchten begann und dem Blasius sich bei aller Spottlust eng verbunden fühlte. „Dass sich mein bayerisches Herz an seinen Spaziergängen erholt“, hat sich Joseph Ratzinger noch als Münchner Kardinal gewünscht. Wie recht er hat. Sei herzlichst gegrüßt, Blasius. Oder wie der Altbayer sagt: Happy Birthday!

Josef Schmid, Wirtschaftsreferent und zweiter Bürgermeister Münchens

Mit Sigi Sommer verbinde ich seine amüsant-freche Kolumne „Blasius der Spaziergänger“, die im Laufe der Zeit über 6.000 Mal erschien. Dort hat er als kritischer Geist, als scharf beobachtender Chronist Geschichten aus dem Alltagsleben der „kleinen Leute“ in München ganz groß erzählt. Das Alltagsleben in seiner gesamten Bandbreite, in echt Münchnerisch, mit philosophischem Grant. Allein diese Kolumne hat ihm einen dauerhaften Platz im Herzen Münchens verschafft, auch weil sie den zeitgeschichtlichen Wandel in München dokumentiert. Sigi Sommer ist aber mehr als eine Schreiberlegende, er ist ein Unikum, ein Münchner Original.

Antonia Heigl, Stadtbereichsleitung Süd der Münchner Volkshochschule

So richtig schätzen und lieben gelernt habe ich Sigi Sommer erst durch die Verfilmung seines Romans „Und keiner weint mir nach“. Seine genaue Beobachtungsgabe, gerade was die Sorgen, Nöte und Sehnsüchte der kleinen Leute betrifft, hat mich fasziniert. Mit seinen bildhaften Beschreibungen und indem er kein Blatt vor den Mund genommen hat, ließ er mich in das Leben einer Gesellschaft eintauchen weit vor meiner Zeit.

Uwe Kullnick, "zugroaster" Schriftsteller in Obersendling

Vor der Apotheke habe ich Siggi Sommer, naja, leider nur sein „Denk-mal!“ getroffen und während ich dort las, wer da stand, war es mir, als müsse ich ihn kennenlernen. Ein moderner Schriftsteller / Journalist mit Denkmal, soso? Seitdem habe ich ihn und über ihn gelesen, versucht ihn und seine Verehrung bei den Münchnern zu verstehen, sein Leben, seine Erfolge kennenzulernen und es ihm sogar mit einer kleinen Kolumne über die „Neuen Münchner“ und ihr Leben nachzumachen. Kurz: Er wurde zum Mann im Ohr, der mich dazu bringt, den Menschen in München bei ihrem Leben zuzuschauen, es nachzufühlen und darüber zu schreiben. Danke.

Florian von Brunn, Landtagsabgeordneter

Sigi Sommer war ein großer Journalist und Schriftsteller. Und ein echter Sendlinger, Sohn eines Möbelpolierers in der Bruderhofstraße, der am Gotzinger Platz in die Schule gegangen ist. Er hat die Münchner in vielen Geschichten satirisch und liebevoll beschrieben. Auch die Schattenseiten der Stadt: "Im Verkehr kann man täglich ein Leben retten, nämlich sein eigenes", so Sommer. Seinem Viertel ist er immer treu geblieben. Das zeigen die gerade erschienen "Sendlinger G'schichten". Da geht es um den Flaucher, die Großmarkthalle, das tägliche Leben. Dass er wirklich ein Großer war, zeigt sein Roman "Und keiner weint mir nach", die Chronik eines Münchner Mietshauses. Bert Brecht nannte ihn den "besten Roman, der nach dem Krieg in Deutschland geschrieben wurde".

Max Spiegl, Seelenverwandter

Die persönliche Beziehung zum Sigi waren seltene Begegnungen, wie z.B einmal im Bratwurstglöckl am Dom, über das er schrieb: „Im Glöckl bekommt man alles, was das Herz begehrt. Nur keinen Platz. Aber der steht auch nicht auf der Speisenkarte.“ Und als er einst im alten Gassl meinte: „Was woasst den du junger Dutterer vom alten München“, gab er sich auf eine Erklärung hin geschlagen. Die hieß nämlich: „Da drüben, da war amoi die Wirtschaft Zum Oiden Toni, und da bist du bestimmt auch schon mal mit einem kleinen Räuscherl raus und nach Hause gewackelt.“ Darauf sagte er nur: „Guit scho.“ Und weg war er.


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