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Ein Untermenzinger im KZ Dachau

Stadtteilhistoriker Walter G. Demmel berichtet

Johann Fischer war im niederbayerischen Großköllnbach, jetzige Marktgemeinde Pilsting, am 19.12.1879 geboren. Als Eltern findet man im Stadtarchiv München Georg und Therese Reithmeier angegeben. Fischer arbeitete schon als junger Mann in München, wo er seit 1899 wohnhaft und seit 1908 Bürger war, als Kutscher, Diener, Heizer und Maschinist. Laut Mitgliedsbuch des Sozialdemokratischen Vereins München Stadt und Land wurde er unter der Buch-Nr. 9191 mit dem 1. Januar 1907 Mitglied der SPD, nach seiner Verwundung im Ersten Weltkrieg bei seiner Gewerkschaft als Kassier in der Münchner Pestalozzistraße angestellt und von 1919 bis 1933 Geschäftsführer des „Zentralverbandes der Maschinisten, Heizer und Berufsgenossen".

Das Wohnungsproblem der Fischers war typisch für eine Arbeiter-Großfamilie in München. Mit acht Kindern fand man nicht leicht eine Wohnung, weshalb der Vater, wie der älteste Sohn Hans erzählte, nie mit der ganzen Familie in eine Wohnung ziehen konnte. Man zog zunächst nur mit weniger Kindern ein, während die restlichen beim Großvater auf dem Land waren, holte diese aber dann nach einiger Zeit nach. Waren endlich alle beisammen, setzte es nach wenigen Wochen die Kündigung. So zog man die Jahre hindurch auf der Schwanthaler Höhe herum. Anfang der 20er Jahre zog dann die Familie nach Untermenzing in die Rupprechtstr. 14, die heutige Waldhornstraße). Ein Familienfoto aus dem Jahr 1923 (Bild 1) zeigt nur eine achtköpfige Familie unterm Weihnachtsbaum, weil inzwischen zwei Geschwister gestorben waren. Ganz links ist der älteste Sohn Hans, der uns mit einer besonders geschichtsträchtigen Tat im Jahr 1933 noch beschäftigen wird.

Schon „im März 1933", erzählt Hans Fischer, „wurde er (der Vater, Anm. der Redaktion) dann sofort verhaftet, bekam einen Hochverratsprozeß an den Hals, weil als Kassierer er angeblich Mitgliedsbeiträge unterschlagen hätte. Ich war in der Verhandlung, er mußte freigesprochen werden, man konnte ihm nichts nachweisen, die Bücher waren einwandfrei. Nach der Verhandlung ging ich raus und wartete an der Treppe auf ihn, aber er kam nicht. Wir wußten dann ein Vierteljahr überhaupt nichts von ihm, wo er war und was er tat, erst nach einem Vierteljahr kam eine vorgedruckte Karte, die er lediglich unterschrieben hatte: ‚Befinde mich zu meinem persönlichen Schutz in Dachau. Ich bin gesund.' Da wußten wir wenigstens, dass er lebt und dass er in Dachau war."

Für die Verhaftung war die BPP verantwortlich, die neben ihm auch weitere SPD- und KPD-Mitglieder in Allach und Untermenzing wegen politischer Betätigung verfolgte. Die Bayerische Politische Polizei (BPP) war eine von 1933 bis 1936 bestehende politische Polizei, die im Gebiet des Landes Bayern mit der Bekämpfung „politischer Staatsfeinde" beauftragt war. Sie bildete den institutionellen Ausgangspunkt der Machtstellung von Heinrich Himmler und der Schutzstaffel (SS) innerhalb des nationalsozialistischen Staatsapparates. Mit dem 02.07.1933 beginnt Johann Fischer mit einer eng beschriebenen Postkarte (Bild 2) eine Serie von 37 kontrollierten Karten und Briefen aus dem KZ Dachau, die er an seine Frau Maria in Untermenzing b./ Allach, Rupprechtstr. 14/0 (jetzige Waldhornstr. 49) richtet. Sie befinden sich im Familienarchiv und wurden dem Autor in Kopie zur Verfügung gestellt. So schreibt Fischer an seine Frau und die Kinder mit obigem Datum, dass er ein Hemd, ein Paar Socken, die kurze Pfeife, zwei Taschentücher, Zahnpasta, die schweren Schuhe und die Hausschuhe bräuchte. Lebensmittel dürften nicht gesendet werden, was auch aus dem gedruckten Text als Auszug aus der obigen Lagerordnung hervorgeht. Er lautet: „Schutzgefangene dürfen im Monat 1 Paket mit Wäsche bis zu 10 Pfd. (Lebensmittel, Rauchwaren etc. ausgenommen) empfangen, desgl. einen Brief und eine Karte. Bei Nichtbeachtung erfolgt Annahmeverweigerung. Sprecherlaubnis ist nicht gestattet. Der Lagerkommandant." Da das KZ Dachau erst 1938 fertig gestellt wurde, ist anzunehmen, dass Fischer, wie alle anderen Häftlinge der Zeit vorher, in den notdürftig hergerichteten Betriebs- und Fabrikgebäuden der vormaligen Munitionsfabrik untergebracht waren.

Was er in einem Brief vom 22.1.34 angekündigt hatte, wurde erst am 7.2.1934 wahr. Er wurde endlich entlassen und durfte wieder heim zu seiner Familie. Im Jahr 1949 erhielt Fischer von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in Bayern den Mitglieds-Ausweis Nr. 00934 (Bild 3) und die Bestätigung, dass er vom 30.6.33 bis 7.2.34 aus politischen Gründen inhaftiert war.

Der Vorsitzende dieser Vereinigung in Bayern, Ernst Lörcher (1907-1991), war ein bekannter Münchner Widerstandskämpfer gegen das Naziregime. Hier einige interessante Anmerkungen zu seinem Leben: Ernst Lörcher stammte aus einer sozialdemokratischen Münchner Handwerkerfamilie. Bildungshungrig und begabt, besuchte er Kurse und Vorträge der sozialistischen Arbeiterorganisationen, um neben seiner Lehre als Mützenmacher auch intellektuell weiterzukommen. 1929 legte er ein sog. „Arbeiterabitur" ab und begann in Frankfurt ein Studium, dann trat er aus der SPD aus und der radikaleren KPD bei. Doch die nationalsozialistische Machtergreifung machte seine politischen Pläne zunichte. Er mußte nach München zurückkehren. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Albert beschloß er nun, mit Flugblättern gegen das neue Regime anzuschreiben und den zerschlagenen "Kommunistischen Jugendverband Deutschlands" in München wieder aufzubauen. Als er 1936 verhaftet wurde, warf er sich vor einen Lastwagen, um niemanden unter der Folter verraten zu müssen. Trotz bleibender Schäden wurde er zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt und entging er in den Gefängnissen und im KZ nur knapp dem Tode. Unmittelbar nach dem Krieg wurde er Vorsitzender der VVN (Bild 4).

Auch Johann Fischer trug als Folge des KZ-Aufenthalts bleibende gesundheitliche Schäden davon, trennte sich aus nicht bekannten Gründen von seiner Familie und zog nach Schlossberg/Rosenheim in die Moosstraße 10/I. Er starb dort am 16.05.1958. Seine Kinder Hans, Franz, Georg, Ludwig, Klara und Maria lebten noch lange in Untermenzing, wo der Sohn Hans sich ein Haus mit Schreinerwerkstätte gebaut hatte.

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