Ein letzter Blick
Warum der Abschied am offenen Sarg so wichtig ist

"Die Verabschiedung am offenen Sarg hilft zu begreifen, dass ein Mensch wirklich tot ist", sagt Florian Rauch. (Foto: tab)
"Nun liegt sie aufgebahrt in der Wohnstube, die Alte; umgeben von blühenden Stöcken, umspielt von dem flackernden Schein der Kerzen. Ernste Männer trinken den Totenschnaps, jammernde Basen knien in der Stube, schnaufen hart in dem süßlichen Geruch, der die qualmende Luft erfüllt, und beten für die arme Seel der Heimgegangenen. Dann trägt man sie aus dem Haus, hinunter zur ewigen Ruhstatt im Freithof zu Schönau." So schildert Lena Christ (1888-1920) in ihrem Roman "Die Rumplhanni" den Tod und die Aufbahrung einer Bäuerin wie es zu ihrer Zeit üblich war. Getragen von der Gemeinschaft, wurde gemeinsam Abschied genommen – die Verstorbene im Mittelpunkt.
Von der Klinik in die Kühlung
Heute wird anders gelebt als früher. Und auch anders gestorben. Wurde früher bei einem Verstorbenen noch Totenwache gehalten und am offenen Sarg Abschied genommen, werden heute das Sterben und der Tod gerne aus dem Haus geschafft. Gestorben wird oftmals in medizinischen Einrichtungen, dann geht es auch schon in die Kühlung. Dass ein Sarg vor der Beerdigung nochmals geöffnet wird – eine beinahe schon gruselige Vorstellung für manche Menschen. Man solle doch den Verstorbenen so Erinnerung behalten, wie er zu Lebzeiten war, heißt es dann schnell. Aber ist das wirklich der richtige Weg?
Den Tod begreifen
Das bewusste Abschiednehmen von einem Verstorbenen ist ein wichtiges Ritual im Trauerprozess. Es geht um das Begreifen, dass ein geliebter Mensch wirklich nicht mehr am Leben ist. Florian Rauch, Geschäftsführer von Aetas Lebens- und Trauerkultur, bringt das in seinem Buch "Das letzte Fest. Neue Wege und heilsame Rituale in der Zeit der Trauer", das er gemeinsam mit Nicole Rinder, stellvertretende Geschäftsleiterin von Aetas, verfasst hat, auf den Punkt: "Das wichtigste Ritual in den Tagen zwischen Tod und Beerdigung ist das Ritual des Abschieds von dem Verstorbenen, den wir geliebt haben. Es ist der Dreh- und Angelpunkt der Trauer: der Abschied am offenen Sarg, von Angesicht zu Angesicht mit dem Toten. Zum ersten Mal nach seinem Tod sehen wir den Verstorbenen wieder und können begreifen und spüren, dass der Tod da ist", heißt es da. Weil Florian Rauch weiß, wie wichtig das Abschiednehmen ist, ermutigt er die Hinterbliebenen, sich dafür Zeit zu nehmen und den Verstorbenen ein letztes Mal zu sehen. In seinem Bestattungsunternehmen bietet er dafür die Möglichkeit in zwei Abschiedsräumen. "Wenn die Angehörigen zu uns kommen, ist der Abschiedsraum noch durch eine Schiebetür abgetrennt", sagt er. "Wir erklären ihnen, was sie erwartet und erst wenn wir sicher sind, dass sie bereit sind, zu ihrem Verstorbenen zu gehen, öffnen wir die Tür", so Florian Rauch. Die meisten Menschen würden dieses Angebot annehmen. "Aber es möchte nicht jeder. Das akzeptieren wir selbstverständlich."
Eine sterbliche Hülle
Für Ralf Hanrieder, Geschäftsführer von Hanrieder Bestattungen, ist die Verabschiedung am offenen Sarg ebenfalls ein sehr wichtiges Ritual im Trauerprozess. "Dadurch begreift man, dass das, was vor einem liegt, wirklich eine sterbliche Hülle ist", sagt er. "Wir haben damit schon viele positive Erfahrungen gesammelt. Die Verabschiedung ist ein zentrales und wichtiges Element im Trauerprozess." Auch bei Hanrieder Bestattungen wird viel Wert darauf gelegt, den Angehörigen in einem geschützten Raum die Möglichkeit zu geben, einem verlorenen Menschen das letztemal Lebewohl zu sagen. Ralf Hanrieder empfiehlt den Angehörigen, den Verstorbenen nochmal zu sehen, zu spüren. Ja, den Toten zu fotografieren könne ebenfalls helfen, das scheinbar Unbegreifliche zu verstehen.
Die eigene Kleidung
Doch schon bevor der Verstorbene im Sarg verabschiedet wird, können Angehörige miteinbezogen werden in die Vorbereitungen zur Bestattung. So können sie die Kleidung des Toten mitbringen, in der er beerdigt werden soll. "Das kann die Lieblingskleidung sein, manchmal hat der Verstorbene vor seinem Tod auch selbst festgelegt, in welchen Kleidungsstücken er bestattet werden möchte", so Ralf Hanrieder. Vielen Angehörigen helfe dieses Ritual ebenso wie das gemeinsame Waschen des Leichnams.
Das Ende vom Film
Auch bei Aetas Lebens- und Trauerkultur ist das möglich. "Selbstverständlich kann die eigene Kleidung mitgebracht werden", sagt Florian Rauch. "Wichtig ist, dass sie aus Naturfasern ist." Durch dieses Ritual wüssten die Angehörigen ihren Verstorbenen gut versorgt. "Für viele Hinterbliebene ist es beruhigend zu sehen, dass ihr Verstorbener gut eingebettet ist, wie sie es wollen." Dann können sie am offenen Sarg Abschied nehmen. "Der offene Sarg, das ist wie das Ende vom Film", sagt Florian Rauch.
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