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"Ein ganz schön cooler Laden"

"Infofon": Beratung von Jugendlichen für Jugendliche

Sanne (l.) und Marina engagieren sich gerne für Gleichaltrige. An einem Abend nehmen sie dem jugendlichen Anrufer Ängste, an einem anderen wird nur nachgehakt, welcher Münchner Club gerade angesagt ist. (Bild: iab)

"Einmal hatte ich einen Jungen dran, der wissen wollte, woher er einen Gurkenschäler für seine Mama bekommt – als Geschenk zum Muttertag", lacht Sanne. Das sei definitiv einer der eher skurrilen Anrufe gewesen. "Oder die Oma, die sich erkundigt hat, ob sie ihrem Enkel unsere Nummer weitergeben darf", ergänzt Marina, Sannes Kollegin. Die beiden Mädchen sitzen in den Büroräumen des gemeinnützigen Vereins "Infofon" neben Geschäftsführer Ernest Hodzic. Die Oma-Geschichte scheint allgemein bekannt, alle drei müssen schmunzeln.

"Infofon" startete bereits vor zwanzig Jahren als Beratungs- und Informationstelefon für Jugendliche. Seit zehn Jahren betreibt der Verein außerdem gemeinsam mit dem Jugendinformationszentrum ein Online-Portal. Junge Menschen können sich unter der Telefonnummer (089) 1215000 jeden Abend von 18 Uhr bis 22 Uhr an die Mitarbeiter wenden, 365 Tage im Jahr. Außerdem ist von 19.30 Uhr bis 21.30 Uhr unter www.info4mux.de/ der "Infofon"-Online-Chat besetzt. Zudem gibt es im Internet die Option der Einzelberatung: Wer in- oder außerhalb der Dienstzeiten unter www.info4mux.de/einzelberatung online geht und an "Infofon" schreibt, bekommt garantiert innerhalb eines Tages eine Antwort.

Von gleich zu gleich

"Infofon" bedient alle Themen, der Verein berät bei generellen Schwierigkeiten in Schule, Familie oder der Liebe, bei akuten Problemen und schlimmen Katastrophen, aber auch, wenn es nur um die Wahl der richtigen Club-Location für den Abend mit Freunden geht.

Gearbeitet wird getreu dem Motto "von gleich zu gleich" – Jugendliche beraten Jugendliche. An den Telefonen der Beratungshotline sitzen Ehrenamtliche im Alter von 16 bis 21 Jahren. Die Altersbegrenzung garantiert, dass sich die Lebenswelten der Helfer und der Anrufer ähneln; anders ausgedrückt: Ein 18-Jähriger versteht den Liebeskummer eines 16-Jährigen mitsamt WhatsApp-Streitereien und Facebook-Anfeindungen. Ein älterer Berater würde sich hingegen vermutlich bereits in den ersten fünf Gesprächsminuten im Social-Media-Chaos verlieren.

Eine weitere Besonderheit bei "Infofon": Die Jugendlichen organisieren sich selbst. Einmal im Jahr wählen die Vereinsmitglieder den Vorstand, bestehend aus fünf Ehrenamtlichen im Alter von 16 bis 26 Jahren. Diesem Vorstand sind auch Geschäftsführer Hodzic und sein Kollege Thomas Grashei verantwortlich. Die beiden Sozialpädagogen teilen sich die einzige hauptamtliche Stelle im Verein. "Wir beraten nicht selbst, sondern tragen die Verantwortung für die gesamte Verwaltung, das Personal und die Organisation der Ausbildung", erklärt Hodzic.

Ausbildung ist Pflicht

Eine Ausbildung ist Pflicht bei "Infofon". Einmal jährlich werden neue Ehrenamtliche in insgesamt zirka 80 Stunden geschult und vorbereitet, bevor sie an die Telefone dürfen. Die "Lehre" dauert zirka ein halbes Jahr und umfasst ungefähr 15 Einheiten mit je drei bis vier Stunden Unterricht. Montagabend kommen die "Infofon-Azubis" zusammen und lernen, was wichtig ist: Erfahrene "Infofon"-Jugendliche und Referenten aus spezialisierten Einrichtungen halten Vorträge, die auf die Beratertätigkeit vorbereiten. Themenblöcke sind unter anderem Drogen, Gewalt, Jugendschutz, interkulturelle Kommunikation, aber auch "Wie telefoniert man richtig". Es gibt das komplette Rüstzeug für fundierte Ratschläge. Die Ausbildung wird laufend an aktuelle Entwicklungen angepasst. "In den letzten zwei, drei Jahren hatten wir viele Telefonate, in denen es um psychische Erkrankungen ging, außerdem haben Gespräche über Extremismus und Radikalisierung im linken und rechten Spektrum zugenommen", erläutert Hodzic. "Natürlich stimmen wir die Themen auf die Gegebenheiten ab, wir wollen, dass unsere Jugendlichen top vorbereitet sind."

"Alle sind hier sehr fair"

Wer die Ausbildung abgeschlossen hat, erhält ein Zertifikat und darf loslegen. Einmal monatlich treffen sich die "Infofon"-Berater und teilen Abenddienste für die nächsten vier Wochen ein. Der Plan folgt keinen festen Regeln, jeder darf sich für jeden Dienst melden, jeweils zwei Jugendliche erledigen eine Abendschicht. "Klar kommt es vor, dass sich zu viele Leute für einen Tag melden, aber wir arrangieren uns schnell, alle sind hier sehr fair", berichtet Sanne. Sie muss es wissen, die 22-Jährige ist seit fünf Jahren bei "Infofon", inzwischen im Vorstand. "Wenn möglich besteht ein Dienst aus einem Jungen und einem Mädchen – gerade Sex oder Liebe bespricht eine Anruferin – wenn sie die Wahl hat – lieber mit mir, als mit dem männlichen Berater", sagt Sanne. Begonnen wird jedes Telefonat mit der Begrüßung: "Was kann ich für dich tun?" Hodzic: "Wir haben uns für diese Formulierung entschieden, weil das nicht impliziert, dass wir die überlegenen Hilfe-Geber sind. Der Satz ist unaufdringlich, das war uns wichtig."

Anstoß zur Selbsthilfe

Die meisten Gespräche verlaufen produktiv, die Berater hören zu, gehen vorurteilsfrei und einfühlsam auf Probleme ein und vermitteln ihre Anrufer gegebenenfalls an zuständige Stellen weiter. "Infofon", so ist es auch auf der Vereinshomepage unter http://1215000.de/ zu lesen, will keine perfekten Lösungen präsentieren, sondern Anstoß zur Selbsthilfe geben. Der Verein bietet leicht zugänglichen Erstkontakt und nimmt eine Brückenfunktion ein.

Professioneller Hintergrunddienst

Manchmal jedoch geraten Anrufe aus dem Ruder. "Ich habe einmal mit einer deutlich alkoholisierten Mutter telefoniert, deren Tochter sich in ihrem Zimmer eingeschlossen hatte", berichtet Sanne. "Dann kam auch noch ein aggressiver Vater dazu, das wurde mir zu viel." Für solche Fälle ist "Infofon" gerüstet: Alle Abenddienste werden von einem ehrenamtlich tätigen Sozialpädagogen oder Psychologen begleitet. Wenn der jugendliche Berater sich überfordert fühlt oder nicht mehr weiter weiß, besteht jederzeit die Möglichkeit, an die Profis, den sogenannten Hintergrunddienst, abzugeben. "Manche Abende sind intensiv, es ist schön, dass wir uns dann auf den Hintergrunddienst verlassen können", bestätigt Marina. "Der Dienst bespricht schwierige Telefonate im Nachgang außerdem immer mit uns." Auch Sanne ist bei "Infofon" noch nie alleine gelassen worden: "Ich bin eher zart besaitet, aber ich kann das hier trotzdem gut machen, denn alle sind für einen da."

"Einsichten aus unterschiedlichen Perspektiven"

Zwischen den Zeilen ist leicht zu lesen, wie viel Spaß Sanne und Marina an der Arbeit haben, "Infofon" steht für mehr als Beratertätigkeit in Abenddiensten. "Es ist der perfekte Ort, um andere Menschen kennenzulernen. Dadurch, dass die Teams wechseln, trifft man viele neue Leute", freut sich Marina. "Alle sind nett, deswegen klappt das so gut." Sanne: "Verschiedenste Jugendliche arbeiten hier und Meinungen prallen aufeinander. Durch das freundliche Miteinander können wir diskutieren ohne zu streiten." Jeder verlasse seine kleine Welt und lerne andere Lebensansichten kennen. "Ich habe super viele Einsichten aus unterschiedlichen Perspektiven bekommen und gelernt, dass andere Ansichten zu akzeptieren sind." Geschäftsführer Hodzic bringt es schließlich auf den Punkt: "Wir sind ein ganz schön cooler Laden."

Die nächste Ausbildungsrunde bei "Infofon" startet am Montag, 6. März. Noch bis Ende Februar können sich interessierte Jugendliche zwischen 15 und 21 Jahren unter E-Mail team@1215000.de oder unter Telefon (089) 12150017 anmelden. Außer der Altersbegrenzung gibt es keine Aufnahmekriterien – Schulzweig, Hobby oder Hintergrund sind völlig unwichtig. Mitzubringen sind nur Motivation und Offenheit.


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