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"Du musst ja irgendwie Leistung bringen"

Pillenkick - Schmerzmittelmissbrauch im Fußball

Im Amateurfußball werden bergeweise Schmerzmittel genommen. (Bild: Jonathan Sachse/ CORRECTIV)

Der Amateurfußball hat ein Schmerzmittelproblem. Das ist das Ergebnis einer Befragung unter 1.142 Amateurfußballern, die das gemeinnützige Recherchezentrum CORRECTIV mit der ARD-Dopingredaktion durchgeführt hat. Der DFB-Präsident ist „schockiert“

"Es ging gar nichts mehr ohne"

Über Monate haben die Journalisten zum Thema „Schmerzmittelmissbrauch im Fußball“ recherchiert. Über 100 Profifußballer berichteten, wie alltäglich sie zu Schmerzmitteln greifen. „Wenn man drauf angewiesen ist zu spielen, dann ist es einfach nicht realistisch, ohne Schmerzmittel weiterzumachen“, sagt Dani Schahin, der für mehrere Bundesliga-Teams spielte, darunter Greuther Fürth und Fortuna Düsseldorf. „Wenn Du ein gewisses Level halten möchtest, musst du schmerzfrei sein, du musst ja irgendwie Leistung bringen.“

Schahin, 30, beendete 2018 seine Karriere. Er sagt über die letzten Jahre seiner sportlichen Laufbahn: „Die letzten drei, vier Jahre ging eigentlich gar nichts mehr ohne Schmerzmittel.“ Selbst wenn es ihm gut gegangen sei, habe er prophylaktisch Tabletten genommen.

Etwa die Hälfte nimmt welche

CORRECTIV und die ARD-Dopingredaktion berichten auf der Internetseite pillenkick.de darüber, wie Fußballer und Fußballerinnen von der Kreisliga bis in die Champions League durch Schmerzmittelmissbrauch ihre Gesundheit riskieren. Dabei blickten die Reporter nicht nur auf den Profisport. Sie befragten auch mehr als tausend Amateurfußballerinnen und -fußballer zum Thema.

Das Ergebnis der nicht repräsentativen Online-Erhebung: Etwa die Hälfte der Teilnehmer nehmen mehrmals pro Saison Schmerzmittel, 21 Prozent gaben an, einmal pro Monat oder öfter Schmerztabletten einzuwerfen. Für einige hat der regelmäßige Griff zu den Tabletten gesundheitliche Folgen. So können bei übermäßigem Konsum Schmerzmittel Magen, Herz und Nieren schaden.

„Leberwerte, die durch die Decke gehen“

Einige Amateurspieler schilderten in der Befragung, was sie erlebten. Von „Abhängigkeit“ und „ständigem Verlangen“ schrieben sie, von „Blut im Stuhl“ und „chronischen Entzündungen“, von „hohem Blutverlust bei offenen Wunden“ oder „Leberwerten, die durch die Decke gehen“ und „Darmbluten“. Andere gaben an, nicht nur zu den klassischen Schmerzmitteln wie Ibuprofen und Aspirin gegriffen zu haben, sondern zu synthetischen Opioiden wie Tilidin und Tramadol. Beide Medikamente können süchtig machen.

Mit Pillen Einfluss auf Leistung nehmen

Als Grund für ihren Schmerzmittelkonsum gaben die Amateurfußballer nicht nur die Bekämpfung von akuten Schmerzen an. Fast 42 Prozent der Teilnehmer wollen mit den Pillen Einfluss auf ihre Leistung nehmen. Konkret wollen sie durch die entspannende Wirkung der Medikamente ihre Belastbarkeit erhöhen. Für den Kölner Dopingforscher Hans Geyer sind deswegen Schmerzmittel im Sport Doping. Auf der Liste der Welt-Antidoping-Agentur (WADA) stehen die Tabletten aber nicht.

"Sensibilisierung hinkriegen"

Der DFB-Präsident Fritz Keller zeigte sich „schockiert“, als ihm das Ergebnis der Befragung gezeigt wurde – und kündigte eine Reaktion an: „Da müssen wir unbedingt an unsere Landesverbände gehen und über Trainer eine Sensibilisierung hinkriegen.“ Der Sport im Amateurbereich, so Deutschlands ranghöchster Fußball-Vertreter, sei „zur Gesunderhaltung gedacht und nicht dafür, dass man sich kaputt macht.“

 

Die „Pillenkick“-Recherche im Internet

CORRECTIV und die ARD-Dopingredaktion haben über Monate zum Schmerzmittelmissbrauch im Amateur- und Profifußball recherchiert. Einen Überblick mit allen Ergebnissen zu dieser Recherche finden Sie auf der Internetseite: pillenkick.de.

Auf der Internetseite können Sie eine ARD-Dokumentation zum Thema anschauen, sowie eine interaktive Übersicht mit Hinweisen zu Ibuprofen, Aspirin und anderen Schmerzmitteln.

Was ist Correctiv?

CORRECTIV ist ein gemeinnütziges, unabhängiges und vielfach ausgezeichnetes Recherchezentrum. Die Journalisten recherchieren langfristig zu Missständen in der Gesellschaft und fördern Medienkompetenz. Mehr Informationen erhalten sie unter correctiv.org.


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