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"Dinge, die in Print erscheinen, sind dem Gehirn näher"

Hirnforscher Hans-Georg Häusel erklärt, wie uns "Digital" und "Print" beeinflussen

"Der Mensch tendiert naturgemäß zu einer geistigen Faulheit", weiß Hans-Georg Häusel. (Bild: BVDA / Bernd Brundert )

iPad oder Buch? Smartphone oder Zeitung? Wie nimmt unser Gehirn Informationen besser auf? Isabella-Alessa Bauer stellte Dr. Hans-Georg Häusel diese Fragen. Der Münchner Dipl.-Psychologe (Gruppe Nymphenburg) ist ein Vordenker des Neuromarketings. Das von ihm entwickelte Limbic® Modell gilt heute als das wissenschaftlich fundierteste Instrument zur Erkennung bewusster und unbewusster Verhaltensmuster. Sein Buch „Brain View – Warum Kunden kaufen“ wurde zu einem der 100 besten Wirtschaftsbücher aller Zeiten gewählt.

"Es löst unterschiedliche Reaktionen aus"

Die Frage "digitaler" oder "analoger" Mediennutzung ist fast ein Glaubenskrieg. Beeinflussen Printmedien unser Gehirn anders als digitale Kanäle?

Hans-Georg Häusel: Die Medien werden völlig unterschiedlich genutzt und lösen unterschiedliche Reaktionen im Gehirn aus. Wenn Sie in die digitale Welt wandern, gehen Sie relativ schnell in einen "Ziel-Modus". Sie wollen schnell ein Ziel erreichen, schnell zu einer Belohnung kommen. Das Gehirn ist digital aufgeregt.

Das Gegenteil ist der Fall, wenn man einem Menschen eine Zeitung oder Zeitschrift in die Hand gibt. Da schaltet das Gehirn in den "Flanier-Modus". Man blättert die Zeitschrift durch und lässt sich ein bisschen treiben.

Es git da ganz andere unbewusste Einstellungen zu den jeweiligen Medien.

"Man hat zwei Möglichkeiten"

Wie haben Sie diese Zusammenhänge untersucht?

Hans-Georg Häusel: Man hat zwei Möglichkeiten: Die eine ist, mit Hirnscannern zu arbeiten; besser sind gleichzeitige EEG- und elektrothermale Messungen (von Herzschlag, Hautwiderstand, Gesichtsmuskulatur). Die zweite Möglichkeit sind psychologische Tiefeninterviews.

Beides kommt zu den gleichen Ergebnissen. Die Leute sagen: "Wenn ich eine Zeitung habe, bin ich entspannt." Geben Sie Ihnen ein iPad in die Hand, wollen sie spielen und sehen, was passiert. es gibt deutliche Unterschiede!

"Beide haben Vor- und Nachteile"

Print spricht mehr Emotionen an als Digital ...

Hans-Georg Häusel: Es sind andere Emotionen. Digital und Print haben beide Vor- und Nachteile. Die Welt spricht nicht nur für Print. Wenn Sie etwas suchen, hat Digital schnell eine Antwort. Digital ist individuell.

Aber Print ist haptisch: Wir haben etwas in der Hand. Dinge, die in Print erscheinen, sind dem Gehirn näher.

"Beim Lernen ist Print stärker"

Gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersstufen?

Hans-Georg Häusel: Ja natürlich. Es ist so, dass ein junges Gehirn sowieso extrem neugierig und auf schnelle Belohnung aus ist. Das sieht man auch am Suchtverhalten: Jüngerer Leute sind suchtanfälliger, weil das Belohungssystem im Gehirn  von jungen Leuten immer etwas Neues, etwas Schnelles sucht. Dem entsprechen digitale Medien etwas mehr.

Je älter wir werden, umso länger brauchen wir, um Informationen aufzunehmen, und desto mehr sehnen wir uns nach ein bisschen Ruhe. Da verändert sich etwas.

Wenn es allerdings um das Lernen komplexer Inhalte geht, ist Print stärker - außer bei Inhalten, die räumlich sind. Wenn Sie zum Beispiel als Medizinstudent lernen müssen, dass der Nucleus Accumbens hinter der Amygdala liegt, tun Sie sich mit 3D in digitaler Form leichter.

Aber: Wenn Sie komplexere Informationen brauchen, ist Print eindeutig im Vorteil - auch bei Jugendlichen.

"Beides intelligent kombinieren"

Welchen Einfluss haben Print- und Digitalmedien auf die Bildung? In Schulen wird immer mehr Wert auf digitale Medien, Lernplattformen etc. gelegt.

Hans-Georg Häusel: Ich bin da etwas gemischter Meinung. Auf der einen Seite ist es eine Modeerscheinung: Alles schreit "dgital" und man rennt einfach in diese Richtung. Natürlich kann ein digitales Programm individuelle Lernfortschritte besser tracken als Print.

Wenn es aber um das eigentliche Lernen geht - darum, nachmittags die Hausaufgaben zu machen oder mal einen Text zu lesen - ist Print im Vorteil. Etwas zu wiederholen, Lernfortschritte zu messen - das kann man digital. Wie immer gilt: Nicht "ja" oder "nein", sondern beides intelligent kombinieren!

"Die Zeit rennt nicht"

Lesen - und Vorlesen - brauchen Zeit. Daran fehlt es Familien offenbar immer mehr.

Hans-Georg Häusel: Ja, das ist das Problem. Die digitale Welt ist immer etwas schneller zugänglich. Das Handy haben Sie immer dabei, wenn Sie unterwegs sind - die Zeitung liegt zuhause. Das liegt ein bisschen an der Verfügbarkeit der Medien und an der Hektik.

Nur: Die Zeit rennt ja nicht. Wenn ein durchscnhnittlicher Haushalt zweieinhalb Stunden am Tag vor der Glotze sitzt, wäre eigentlich auch genug Zeit zum Lesen da.

Sich mit Dingen auseinanderzusetzen ist für unser Gehirn eben immer mit Arbeit verbunden und der Mensch tendiert naturgemäß zu einer geistigen Faulheit. Da sind natürlich alle Medien, bei denen man gar nichts denken muss, immer besser als die, bei denen man sein Hirn ein bisschen einschalten muss.


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