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"Die Politik darf die Eltern nicht bevormunden"

Staatssekretär Georg Eisenreich über den Ausbau der Ganztagesschulen

Die Münchner CSU verspricht mit ihrem OB-Kandidaten Josef Schmid eine "Ganztagsoffensive"; die SPD mit ihrem OB-Kandidaten Dieter Reiter nimmt für sich in Anspruch, dass in Sachen Ganztagsbetreuung die Landeshauptstadt ohnehin eine Vorreiterrolle einnehme. Vor drei Wochen gaben die Münchner Wochenanzeiger einen Überblick über die tatsächliche Lage in den einzelnen Stadtvierteln und Gemeinden. Ergebnis: Schulleiter bewerten Ganztagsklassen durchaus unterschiedlich. Manche wollen die Ganztagsschule ausbauen, andere haben den Ganztagsunterricht wieder aufgegeben.

Als Staatssekretär im Bildungsministerium ist Georg Eisenreich (CSU) seit Oktober für Bayerns Schulen zuständig. Mit ihm erörterte Johannes Beetz Aspekte der Ganztagsschule.

"Freistaat investiert seit Jahren"

Die Münchner CSU verspricht eine "Ganztagsoffensive". An den 132 Münchner Grundschulen sind im September aber gerade einmal zwei Ganztagsklassen neu eingerichtet worden. Woran hakt's?

Georg Eisenreich: Viele Schulen wollen Ganztagsangebote einrichten, es fehlen aber die notwendigen Räume dafür. Dies ist ein echtes Versäumnis von Rot-Grün in München, da die Stadt sowohl für die Sanierung von Schulen als auch für die Schaffung der notwendigen Räume an allen städtischen und staatlichen Schulen zuständig ist. Aufgrund der Raumnot kommt der Ausbau der Ganztagsangebote in München nur schleppend voran, obwohl viel Familien dringend darauf warten. Mit den zwei neuen Standorten gibt es im Stadtgebiet jetzt 41 staatliche Grundschulen mit Ganztagsschulangeboten. Der Freistaat Bayern investiert hier seit Jahren sehr viel und unterstützt auch die Kommunen mit einem Sonderförderprogramm, weil der Ausbau der Ganztagsangebote ein Schwerpunkt in der Bildungspolitik ist. Daher ist eine Münchner Ganztagsoffensive notwendig, damit die Stadt München ihre Aufgabe erfüllt und den Schulen endlich die benötigten Räume bereit stellt.

"Für uns ist die Wahlfreiheit sehr wichtig"

Ganztagsangebote gibt es in den verschiedenen Schularten und in verschiedener Form – offen und gebunden. Wo sehen Sie den höchsten Bedarf, wo setzen Sie Prioriäten beim Ausbau?

Georg Eisenreich: Für uns ist die Wahlfreiheit sehr wichtig. Das gilt auch für die Form, denn die Schulfamilie vor Ort weiß am besten, welches Ganztagsangebot zu ihr passt. Zur Auswahl stehen sowohl offene und gebundene Ganztagsangebote als auch Mittagsbetreuungen, die an 126 staatlichen und 17 privaten Grundschulen bestehen – und damit an 90% aller Grundschulen.

Mir ist wichtig, dass auch einige Schulen komplett auf Ganztagsbetrieb umstellen. Diese Möglichkeit wurde bislang von der Stadt München nicht genutzt.

"Wir haben Lehrer zur Verfügung gestellt"

An vielen Schulen fehlen Räume. An anderen fehlt Personal: In München gibt es nagelneue Horte mit Platz für vier Gruppen, die aber nur Kinder für eine einzige Gruppe aufnehmen können. Scheitert die Idee der Ganztagsbetreuung letztlich nicht am Platz-, sondern am Personalmangel?

Georg Eisenreich: Beide Themen müssen angepackt werden. Wir könnten in München viel mehr Ganztagsschulen einrichten, wenn Räume vorhanden wären. Im Gesetz ist es klar geregelt: Die Kommunen sind Schulaufwandsträger – das heißt: Es ist eine Aufgabe der Stadt, dass sowohl bei den staatlichen als auch städtischen Schulen die Schulgebäude saniert und wo nötig auch neue Räume oder sogar neue Schulen gebaut werden. Die Stadt muss hier einfach mehr als bisher investieren und auch ein Gesamtkonzept mit klaren Planungen vorlegen.

Die Staatsregierung kümmert sich dagegen um die Lehrkräfte. Wir haben in den letzten Jahren jeden Antrag auf Einrichtung von Ganztagsangeboten genehmigt und auch die Lehrer dafür zur Verfügung gestellt. Da wir einen bedarfsgerechten Ausbau der Ganztagsangebote möchten, werden wir das auch weiterhin tun. Außerdem haben wir die Geldmittel für die gebundenen Ganztagszüge an den Grundschulen augestockt und jetzt den Zuschuss für alle Ganztagsangebote um 10,2 Prozent erhöht.

Horte sind ein Angebot der Kinder- und Jugendhilfe. Und Träger der Kinder- und Jugendhilfeträger sind die Kommunen. Im Hortbereich ist der Mangel an Erziehern eine große Herausforderung. Ich halte einen Vorschlag des CSU-Oberbürgermeisterkandidaten Josef Schmid für sehr gut.

Er möchte ein Wohnungsprogramm der städtischen Wohnungsbaugesellschaften für die Angehörigen sozialer Berufe auflegen, damit sich diese eine Tätigkeit im teuren München leisten können und wir dadurch die Chancen erhöhen, ausreichend Fachpersonal zu gewinnen.

"Wir haben die notwenigen Ressourcen"

Schüler- und Lehrerverbände haben die Pläne, 829 Lehrerstellen zu streichen, scharf kritisiert – gerade auch im Hinblick auf den Ausbau der Ganztagsbetreuung. Wie passen die Streichung auf der einen und der Ausbau auf der anderen Seite zusammen?

Georg Eisenreich: Für die CSU ist und bleibt die Bildung ein Investitionsschwerpunkt. Die CSU hat daher klargestellt, dass die 829 Lehrerstellen nicht gestrichen werden. Außerdem haben wir festgelegt, dass auch die Lehrerstellen, die rechnerisch durch den Rückgang der Schülerzahlen in Bayern frei werden (sog. demographische Rendite), bis 2018 im Schulsystem bleiben. Damit haben wir für die geplanten Verbesserungen und Ziele, zu denen auch der bedarfsgerechte Ausbau der Ganztagsangebote gehört, die notwendigen Ressourcen. Ganz anders macht das übrigens das rot-grün regierte Baden-Württemberg, das mit der Streichung von Lehrerstellen bereits begonnen hat und insgesamt über 10.000 Lehrerstellen in den nächsten Jahren streichen möchte.

Durch Ganztagsangebote sollen auch schlechtere Schülern gefördert werden. Allerdings ist der Stundenausfall in "normalen" Schulen teils erheblich und wenn es Vertretungslehrer gibt, halten die nicht immer Unterricht. Wenn schon diese Lücken nicht überbrückt werden können, wie soll dann ein gutes pädagogisches Angebot ganztags auf die Beine gestellt – und finanziert – werden?

Georg Eisenreich: Der Freistaat unternimmt große Anstrengungen zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung. Das Kultusministerium stellt zur Reduzierung des Unterrichtsausfalls je nach Schulart mobile bzw. integrierte Reserven und Gelder für Vertretungslehrkräfte bereit. Wir konnten den Unterrichtsausfall in den vergangenen Jahren dadurch schon senken. Im Schuljahr 2012/13 lag der Anteil des ersatzlos ausgefallenen Unterrichts bei 1,6 Prozent. Drei Jahre zuvor waren es noch 2,3 Prozent. Für jedes genehmigte Ganztagsangebote werden wir auch die zugesagten inzwischen erhöhten Ressourcen zur Verfügung stellen.

"Für echte Wahlfreiheit braucht es mehr Angebote"

Ganztagesangebote sind für viele unverzichtbar, um Familie und Beruf zumindest notdürftig vereinbaren zu können. Aber es gibt auch Familien, in denen nicht beide Elternteile arbeiten müssen, und nach wie vor gibt es Kinder, die ihre Aufgaben sinnvoll zuhause bewältigen. Werden diese Familien durch den Fokus auf Ganztagesschulen nicht in ihren Möglichkeiten beschnitten?

Georg Eisenreich: Auch hier gilt für uns der wichtige Grundsatz der Wahlfreiheit. Wir wollen keine für alle verplichtende Ganztagsschulen. Die Eltern sollen zwischen Halbtags- und Ganztagsangeboten auswählen können. Darum sorgen wir dafür, dass es wohnortnah immer auch Halbtagsschulen gibt. In manchen Bundesländern haben die Eltern keine Wahlmöglichkeiten. Ich halte das für Bevormundung. Eltern wissen am besten, wie der Nachmittag ihrer Kinder aussehen soll. Ich sage aber auch ganz klar: Damit es echte Wahlfreiheit gibt, brauchen wir noch mehr Ganztagsangebote. Wenn eine Schule keine Ganztagsklassen einrichten kann, weil Räume fehlen, haben die Eltern keine Wahlfreiheit, sondern müssen in die Halbtagsschule.

"Eltern nicht bevormunden"

Wenn die Stadt München bei Bürgerversammlungen das Angebot an Ganztagsbetreuung aufschlüsselt, heftet sie fast 30 Prozent der Kinder das Etikett "ohne Betreuung" an – dabei treiben diese sich keineswegs auf der Straße herum, sondern genießen die bestmögliche Betreuung: die der Familie.

Nimmt uns Erwachsenen der Tunnelblick auf "Bildung" nicht das Gefühl dafür, was Kindheit sein sollte? Ein Kind, das bis 16 Uhr in der Schule ist, wird kaum noch Zeit für Musikstunden, Sportverein oder für das Spielen mit seinen Freunden finden.

Georg Eisenreich: Die Politik darf die Eltern nicht bevormunden, sondern hat die Entscheidung der Eltern zu respektieren. Wenn Eltern auf ein zweites Einkommen verzichten und ihre Kinder selbst betreuen möchten, dann ist das genauso gut, wie wenn Eltern, die beide beispielsweise arbeiten wollen oder müssen, für ihre Kinder Ganztagsangebote in Anspruch nehmen.

Auch die Kinder sind unterschiedlich. Ein Teil benötigt am Nachmittag mehr Freiraum, anderen tut dagegen ein strukturierter Ablauf und die zusätzliche schulische Förderung gut.

Kinder lernen nicht nur in der Schule. Die Familie ist mit entscheidend bei der Erziehung und der Vermittlung von Werten. Wir brauchen daher eine Partnerschaft der Familien und Schulen bei der Erziehung. Zusätzlich bieten beispielsweise auch Verbände, Vereine, Jugendeinrichtungen und Pfarrgemeinden großartige Möglichkeiten dafür, dass Werte und auch soziale Kompetenzen vermittelt werden.

Die unterschiedlichen Ganztagsangebote haben eine unterschiedliche Dauer. Es gibt Mittagsbetreuungen, die bis 14 Uhr dauern, und andere Ganztagsangebote bis 15.30 / 16 Uhr. Ganztagsangebote bieten optimale Möglichkeiten, schulische und außerschulische Angebote zu verzahnen und dabei mit Partnern außerhalb der Schule kooperieren. Diese Kooperationen müssen wir pflegen und noch weiter ausbauen. Ganztagsangebote werden vor allem dann gerne angenommen, wenn sie qualitätvoll sind.

"Wir sind  noch nicht am Ziel"

Die zwischen Staat und Kommunen geteilte Verantwortung für schulische Aufgaben ist für viele Eltern unverständlich. Sie wünschen sich, dass die Zuständigen trotz aller parteipolitischen Differenzen an einem Strang ziehen, damit ihre Kinder unter vernünftigen Bedingungen lernen können. Sehen Sie in München dafür nach der Kommunalwahl bessere Chancen als jetzt?

Georg Eisenreich: Staat und Kommune müssen zusammenarbeiten – das sehe ich auch so. Das Angebot des Freistaats dafür steht. In einer Großstadt, die so dynamisch wächst wie München, ist das besonders wichtig. Jeder hat in seinem Zuständigkeitsbereich auch genug zu tun. Raumnot und Sanierungsstau sind Aufgaben, um die sich die Landeshauptstadt kümmern muss. Und der Freistaat steht in der Verantwortung, dass gute pädagogische Konzepte und genügend Lehrkräfte vorhanden sind.

Der Freistaat hat Bildung zum Investitionsschwerpunkt gemacht. In den letzten Jahren haben wir 5.000 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen und den Etat das Kultusministeriums um 2 Milliarden Euro auf über 10,6 Mrd. gesteigert. Auch künftig werden wir weiter investieren. Der Ausbau von Ganztag ist dabei einer der Schwerpunkte. Wir sind auf einem guten Weg; kein Bundesland baut seine Ganztagsangebote so dynamisch aus wie Bayern. Aber ich sage auch ganz klar: Wir sind in München noch nicht am Ziel.


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