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„Die Menschen möchten wissen, was drin ist“

Bewusste Ernährung: Welchen Stellenwert hat unser Essen?

Was essen wir? Woher kommen unsere Lebensmittel, wie werden sie produziert? "Verbraucherkompetenz beginnt da, wo nachgefragt wird", sagt Marianne Wagner von unser Land. (Bild: Anika Hartmann / pixelio.de)

Bio, regional, vegan: Immer mehr Menschen machen sich Gedanken darüber, was in ihrem Kochtopf landet. Während die einen damit bewusst ein Zeichen für nachhaltige Produktionsbedingungen setzen, folgend andere dem Zeitgeist einer trendbewussten Generation. Bewusstes Schlemmen ist jung, hip und in. Zudem sprießen in München vegane und vegetarische Restaurants an jeder zweiten Ecke aus dem Boden. Die Entscheidung darüber, was auf dem Teller landet, scheint von immer größerer Bedeutung. Welche Motive stehen hinter einer bewussten Ernährungsweise und muss diese immer auch gleich teuer sein? Findet tatsächlich ein nachhaltiger Wandel statt oder liegt Ernährungsbewusstsein schlichtweg im Trend? Vitalköstler und Teilzeitvegetarier, Fleischesser und Veganer sprachen im Rahmen der Sommergespräche der Münchner Wochenanzeiger über die Frage "Was lassen wir uns Essen kosten?"

"'Geiz ist geil' ist vorbei"

"In München sehe ich den klaren Trend, dass die Geiz-ist-geil-Mentalität vorbei ist", so Daniela Krehl von der Verbraucherzentrale Bayern e.V. Ein prägender Faktor für diese Entwicklung sei die Nähe zur Landwirtschaft in Bayern. Für viele Konsumenten rücke die Frage nach Herkunft und Qualität der Lebensmittel dadurch immer mehr in den Mittelpunkt. Vor allem zwei richtungsweisende Trends würden unter den bayerischen Konsumenten immer mehr Anklang finden. Zum einen fleisch- und tierfreie Kost, also vegetarisch und vegane Ernährungsformen; zum anderen das Gütesiegel Regionalität. Letzteres stehe bei vielen Kunden sogar noch vor dem Qualitätsmerkmal Bio. Bewusst Genießen ist, wenigstens in München, also klar im Trend.

99 Prozent aus Massentierhaltung

Doch woher kommt der Wandel? Die Gründe, die hinter der Entscheidung für eine bewusste Auseinandersetzung mit Lebensmitteln stehen, sind vielseitig. Wer Vegetarier ist, also fleischfrei schlemmt, oder vegan lebt und damit gänzlich auf den Verzehr und Konsum tierischer Produkte verzichtet, trifft Entscheidungen meist aus Gründen des Tierschutzes. Besonders die industrielle Massentierhaltung, aus der noch immer bis zu 99 Prozent der gesamten Fleischproduktion stammt, stößt immer häufiger auf scharfe Kritik unter Konsumenten. Wer mit reinem Gewissen genießen will greift zur Tofuwurst statt zum Schweineschnitzel. Christine Schorling vom Tierschutzbund ist, wie sie sagt, relativ spät zum Veganismus gekommen, dafür mit umso mehr Leidenschaft und Überzeugung. Schnitzel und Spiegeleier sind für sie ebenso tabu wie Honigbrot und Lederjacke. Sie hofft, andere für ihre Lebensweise begeistern zu können. Missionieren will sie jedoch nicht. "Ich will nicht das Fleischessen verbieten, sondern die Art der Haltung."

"Mir als Mutter macht das Angst"

Zwar sei der Tierschutzgedanke ihre stärkste Motivation hin zu einer rein pflanzlichen Lebensweise gewesen, doch auch der gesundheitliche Aspekt spiele eine entscheidene Rolle. "Multiresistente Keime, Angsthormone, Antibiotika im Fleisch – mir als Mutter macht das Angst." Sie ist froh, dass sich ihre Tochter aus eigenem Willen dazu entschieden hat, auf Fleisch zu verzichten. Doch während die einen die Entscheidung für eine natürliche Ernährungsweise bewusst treffen, müssen sie andere aus der Not heraus fällen. Denn immer mehr Menschen leiden an Lebensmittelunverträglichkeiten. Sogar Grundnahrungsmittel wie Brot und Käse können aufgrund nicht deklarierter Inhaltsstoffe zum Verhängnis werden. "Naturlieferantin" Katrin Schüler produziert und vertreibt Produkte für Menschen die, wie sie sagt, "durch Ernährung kaputt gemacht wurden": frische Lebensmittel aus der Region.

"Ehrliches und gesundes Essen"

Zu ihrer Kundschaft zählen jedoch nicht nur Allergiker. Immer mehr Verbraucher stellen die Frage, was wirklich in ihrem Essen steckt. "Die Menschen möchten zu 100 Prozent wissen, was drin ist. Sie wollen ehrliches und gesundes Essen, chargenrein", erklärt sie. Doch das alleine reicht vielen Konsumente nicht mehr aus. Denn ein bewusster Umgang mit sich selbst und der Umwelt hört eben nicht beim Essen auf. In ihrem Laden "Plastikfreie Zone" bietet Katrin Schüler deshalb kunststofffreie Produkte aller Art an. Marianne Wagner von Unser Land bestätigt: Verbraucher müssen sich immer mehr mit den Auswirkungen ihres Konsumverhaltens auseinandersetzen. "Wir werden im positiven Sinne in die Knie gezwungen. Unser Konsum hat ganz viel mit unserer Lebensqualität zu tun. Nicht nur im Bezug auf Ernährung."

Transparenz schaffen

Das Netzwerk Unser Land bietet Konsumenten seit 20 Jahren Transparenz im Supermarkt. Alle mit dem Unser-Land-Logo versehenen Produkte stammen von bayerischen Erzeugern, die faire Preise für ihre Waren erhalten. Marianne Wagner erklärt, dass die Bewusstseinsbildung unter den Konsument von zentralem Stellenwert sei. "Nur wenn ich Informationen habe, kann ich ein Bewusstsein bilden und verantwortlich konsumieren." Zwar seien die Produkte im Schnitt etwa zehn Prozent teurer als konventionelle Supermarktware. Doch Wagner erkärt: "Die Menschen sind bereit mehr für Lebensmittel zu zahlen, wenn sie wissen, woher diese kommen."

Das Label "regional" alleine reiche da jedoch nicht aus, mahnt Boris Schwartz von den Markthallen München: "Man muss vorsichtig sein bei der Wortwahl. Viele Menschen kaufen regional ein, machen sich aber keine Gedanken darüber, wie regional produziert wird." Denn regional ist eben auch das Schnitzel aus dem ansässigen Massentierhaltungsbetrieb. Marianne Wagner kann da nur zustimmen. "Verbraucherkompetenz beginnt da, wo nachgefragt wird."

"Hauptsache, der Bauch ist voll"

Zwar sei in der Region rund um München durchaus zu beobachten, dass viele Konsumenten vermehrt nach der Herkunft ihrer Lebensmittel fragen, von einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung könne jedoch nicht die Rede sein, so Schwartz. "Wir reden über Trends einer Minderheit. Die meisten Menschen kaufen ganz konventionell ein. Hauptsache, der Bauch ist voll." Und genau hier liege der Fehler, da sind sich alle Gesprächsteilnehmer einig. "Wir geben in Deutschland sehr wenig für Lebensmittel aus. Dieses Umdenken muss in Deutschland statt finden", mahnt Daniela Krehl. Denn was wir bereit sind, zu zahlen, wirkt sich auch auf die Qualität der nach Deutschland importierten Waren aus, erklärt Schwartz. Hochwertige Lebensmittel würden es gar nicht erst in die deutschen Supermarktregale schaffen, sondern dorthin gehen, wo Verbraucher bereit seien, für ihre Lebensmittel zu zahlen, wie etwa in Frankreich oder Skandinavien. "Je weniger der Deutsche bereit ist für gute Qualität zu zahlen, je weniger Qualität bekommt er auch," so Schwartz.

"Vegan: günstiger, einfacher, schneller"

Muss ein gesunder und abwechslungsreicher Speiseplan also immer auch gleich teuer sein? Von Christine Schorling kommt bei dieser Frage ein klares Nein. Zwar würde sie im Biomarkt für die einzelnen Artikel mehr zahlen. Doch das Warenangebot dort würde viele Versuchungen gar nicht erst aufkommen lassen. Die vegane Lebensweise ist damit "unterm Strich günstiger, einfacher und schneller als jede andere Ernährung", so Schorling. Auch Florian Repper kauft inzwischen ausschließlich ökologisch erzeugte Ware. "Anfangs habe ich den Unterschied im Geldbeutel schon gemerkt, aber inzwischen funktioniert es trotzdem, obwohl ich nur ein Ausbildungsgehalt beziehe. Es kommt eben auf die Prioritäten an, die man setzt." Repper spiegelt damit den Zeitgeist der Generation 25+ wider. Denn das Sprichwort "Du bist, was du isst" findet vor allem bei jungen, bildungsnahen Konsumenten vermehrt Anklang.

"Haben noch lange Strecke vor uns"

Auch Katrin Schüler setzt ihre Hoffnung auf die nachfolgenden Generationen. "Wir sind Trendsetter, Visionäre, im besten Sinne des Wortes. Wir unterstützen Menschen auf ihrem Weg und dann wird es die nächste oder übernächste Generation sein, die diesen Weg geht," sagt sie.

Boris Schwartz hingegen ist mit seiner Prognose zurückhaltender. "Wie es in 20 Jahren aussieht? Ich weiß es nicht. Ich wünsche mir nur, dass Menschen wieder auf den Geschmack guter Lebensmittel kommen."

Für Marianne Wagner steht die Richtung fest: "Der Verbraucher ist in der Lage, sich zu entwickeln. Bio, regional und fair: Wenn wir das in die Ernährung umsetzten, das ist der Königsweg. Aber wir haben aber noch eine lange Strecke vor uns."

 

Unsere Gäste

Bei unserem Sommergespräch diskutierten:

Daniela Krehl (Fachberaterin Lebensmittel und Ernährung, Verbraucherzentrale Bayern e.V.)

Florian Repper (Vitalköstler und Veganer)

Christine Schorling (Tierschutzverein München e.V.)

Katrin Schüler (Inhaberin Naturlieferant / Plastikfreie Zone)

Boris Schwartz (Zweiter Werkleiter der Münchner Markthallen)

Marianne Wagner (Netzwerk Unser Land)

Was denken Sie?

Welche Meinung vertreten Sie? Diskutieren Sie mit! Schreiben Sie uns: Münchner Wochenanzeiger, Redaktion, Fürstenrieder Str. 5-9, 80687 München, leser@muenchenweit.de. Wir veröffentlichen Ihren Standpunkt.

Alles auf einen Blick

Mit dem Thema "Bewusste Ernährung" enden unsere diesjährigen Sommergespräche. Alle bereits veröffentlichten Beiträge in Sendlinger Anzeiger / Werbe-Spiegel bzw. Samstagsblatt können Sie online nochmals nachlesen:

"Ich denke täglich an den Spender"

Organspende und Typisierungen

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 74531)

"Wir müssen uns dem Thema stellen"

Demenz und Schlaganfall: Was kommt da auf mich zu?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 74532)

"Da ist noch Luft nach oben!"

Junge Lehrer: Start ohne Perspektiven?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 74533)

"Man verliert schnell den Überblick"

Wie schick sind Schulden?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 74534)

"Wir brauchen unverplante Zeit"

Ist Zeit wirklich Geld?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 74535)

"Wir stoßen häufig an unsere Grenzen"

MiTa und Ganztag: Wem gehört mein Kind?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 74536)

"Sie machen das Hundertfache daraus"

Flüchtlingshilfe in Sportvereinen

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 74537)

"Nicht ausreichend an die Hand genommen"

Die Qual der Wahl: Wie finden junge Menschen ihren Beruf?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 74538)

"Ich darf Fehler machen"

Brüche im Leben - und wie man damit umgehen kann

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 74539)


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