Die Bonbonfabrik Kalfany
Stadtteilhistoriker Dr. Walter Demmel berichtet
Bei meinen Recherchen zur „Porzellan Manufaktur Allach“ stieß ich bei vielen Bürgern immer wieder auf eine „süße Erinnerung“ an die Zeit zwischen 1948 und 1970. Die mittlere und die alte Generation berichteten mir von einer Bonbonfabrik in der Reinhard-von-Frank-Straße 8 hinter Krauss-Maffei. Das stimmte insoweit, als meines Wissens dort ein Unternehmer ab 1952 eine neue Produktionsstätte aufbaute. Meine Neugierde war geweckt, weil ich wußte, dass dies nur auf dem Gelände mit den Hausnummern 8-10, also dem ehemaligen Manufakturgelände, gewesen sein konnte.
So erfuhr ich aus dem Stadtarchiv München, dass ein Karl Berger, geb. 1908 in Linz und bei der Allacher Diamalt AG in den 30er Jahren ausgebildeter Bonbonmeister, am 24.09.1948 das Unternehmen „Berger Bonbons“ beim Gewerbeamt München angemeldet hatte.
Zu seiner Diamaltzeit wohnte er mit seiner Frau Fanny, geb. 1907 in München, in der Eversbuschstraße in einem Haus in der Nähe der Mariensäule. Berger erhielt ein tolles Angebot von „Burkbraun Schokoladen“ in Cottbus, ging mit seiner Frau dorthin, mußte aber 1944 vor den Russen fliehen, kam als Flüchtling wieder zurück und wurde bei Feinkost Ziegler in der Vesaliusstr. 31 zwangseinquartiert.
Herr Ziegler erzählte mir, dass die Produktion von Bonbons in einem Holzhaus an der Ecke Vesalius-/Untere Mühlstraße begann und das erste, unter einfachen Verhältnissen hergestellte Produkt der „Echt Münchner Blockmalzzucker“ war. Aus den kleinen Anfängen begann das Geschäft gut anzulaufen und natürlich unerwartet kam auch gleich eine Konkurrenz mit gerichtlichen Drohungen wegen des Namens „Berger-Bonbons“. Hier lag damals ein Warenzeichen einer gleichnamigen Bonbonfabrik in der damaligen Ostzone vor, so dass Karl Berger und seine Ehefrau Franziska „Fanny“ aus der Not eine Tugend machten, indem sie aus ihren Vornamen den Firmennamen „KALFANY“ prägten. Ihr Sohn Erhard, der zunächst in Cottbus geblieben war, wurde nach München geholt, machte eine kaufmännische Ausbildung und ging, wie mir berichtet wurde, mit dem inzwischen verstorbenen Gerd Bittl in Dachau in die Schule.
Im Jahr 1952 vollzog Berger den Schritt zur industriellen Produktion, mietete zunächst als Produktionsstätte Grund und Gebäude der ehemaligen Porzellan Manufaktur Allach an und erwarb sie von einem noch unbekannten Verkäufer zu einem noch nicht bekannten Zeitpunkt und Preis. Zugleich zog er mit seiner Familie, seiner Frau Fanny und seinem kleinen Sohn Eberhard, in das dort befindliche Wohngebäude in der Reinhard-Frank-Straße ein, das hier im heutigen Zustand gezeigt wird.
Der Markt forderte immer größere Produktionsmengen und verschiedene Produkte, die nicht mehr, wie bisher ungewickelt und in große Gläser verpackt, sondern gewickelt und maschinell hergestellt waren. Die Liste reichte, daran erinnern sich einige Bürger noch dunkel, von den „Heilkräuter Brustkaramellen“, den „Schwarzwälder Kräuterle“ bis zu den „Sauren Zitronies“ und „Sommer Früchten“. Diese Bonbons wurden auch in kleinen Mengen an Privatpersonen verkauft und galten als die süße Versuchung dieser Zeit in Allach und Untermenzing.
Karl Berger war im bekannten Untermenzinger „Café Steger“ in der Angerlohstr. 19, in dem vor allem am Samstagabend alle damaligen Münchener Musiker und Sänger von Rang und Namen auftraten, Stammgast beim Sonntag-Tanz-Tee. Einheimische schilderten ihn als kleinen, immer bestens gekleideten Mann mit guten Manieren, höflichem Auftreten und schnellem Blick für schöne Frauen. Er organisierte aber auch Firmenausflüge, z.B. nach Garmisch und Ettal.
Sein Sohn Erhard heiratete 1960 in St. Peter und Paul in Allach das Flüchtlingsmädchen Christa Kleiber aus der Peter-Winter-Str. 36 in der Angerlohsiedlung. Die Damen Berger waren, wie eine damalige Friseurin berichtete, bald ständige Kundinnen im „Friseursalon Bettina“ in der Rueßstr. 22.
Seit 1968 wurden bei Kalfany Bonbons auch in Dosen verpackt hergestellt, eine deutschlandweit einmalige Einführung. Durch die gute Konjunktur und schnelle Absatzsteigerung waren die Produktions- und Erweiterungsmöglichkeiten auf dem Allacher Gelände bald erschöpft.
Am 18.08.1970 meldete Berger in München seinen Betrieb ab, da der Neubau in Müllheim im Schwarzwald bereits bezugsfertig und produktionsbereit war, und begann am neuen Produktionsstandort sofort mit modernster Technologie mit der Herstellung von täglich 4 bis 5 Tonnen Süßigkeiten. Die Firma heißt heute „Kalfany Süße Werbung GmbH & Co. KG“ und macht, wie in Allach, auch Fabrikverkauf.
Eine Allacher Mitbürgerin erzählte mir, dass ihr Vater, der bei Krauss-Maffei Prokurist und wegen der Verkaufsgespräche öfters Besucher bei der Familie Berger war, in ihrer Kindheit von einem zahmen Reh sprach, das dort seine Unterkunft gefunden hatte. Es lief frei im Garten umher, trippelte ganz normal ins Haus und hatte dort auch sein Plätzchen zum Schlafen.
1970 verkaufte Karl Berger sein etwa 2300 qm großes Gelände in der Reinhard-von-Frank-Str. 8-10 mit verschiedenen Gebäuden um ca. 440.000 DM an die Firma Krauss-Maffei, die damals Unterbringungsmöglichkeiten für ihre neu einzustellenden Fremdarbeiter suchte und deshalb dort 100 Betten aufstellen wollte. Diesen Vorgang konnte ich über das Bayerische Wirtschaftsarchiv erfahren. Der Bedarf an Betten für die vier Quartale für 1970 wurde in einem Schreiben vom 09.12.1969 mit 1.220 beziffert und der Kauf des Objektes Reinhard-von-Frank-Str. 8-10 eingeplant: „ZV 5 verhandelt seit gut 14 Tagen mit dem Eigentümer, Herrn Berger. Das Objekt liegt sehr günstig.“
Der im August 1970 erfolgte Umzug nach Müllheim war für den langjährigen Allacher Bürger Berger zum vollen Erfolg geworden. Im Dezember 1979 wurde Erhard Berger von seinem Vater, wie das Unternehmen berichtet, die Geschäftsleitung übertragen und 2002 tritt er, nach erfolgreicher Integration seiner Firma in die Zertus-Gruppe, in den Ruhestand. Nach mehreren Übernahmen fusioniert die neue Firma mit der „Süße Werbung GmbH“, womit wir wieder bei der „süßen Erinnerung“ in unserem Stadtteil wären.
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