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Die Angerlohsiedlung

Stadtteilhistoriker Dr. Walter G. Demmel berichtet über eine Werksiedlung von Krauss-Maffei in Untermenzing

In Allach begann der Bau von Siedlungen schon bald nach Beginn des 20. Jahrhunderts, schließlich wurde der Ort mit der Eröffnung der Eisenbahnlinie München – Ingolstadt 1867 und der Aufnahme des Personenverkehrs 1892 ein aufblühender Industriestandort, in dem der Bedarf an Wohnraum entsprechend wuchs.

Wenn man nun in unserem Stadtbezirk nach Siedlungen sucht, wird man schnell fündig. Beginnen wir vom Norden her, fällt uns zunächst die Gerberau (1936) an der Grenze zu Karlsfeld ein, am Lochholz die Junkerssiedlung (1936), dann folgt am Allacher Forst die Waldkolonie (1910), im Osten die Hackersiedlung (?) an der Storchenstraße, im Allacher Westen die Kinderreichensiedlung (1936, Gleichsiedlung), nahe dem Bahnhof die Krauss-Siedlung (1924/25). In Untermenzing kennen sicher viele nicht im Westen die Nordwest-Siedlung (1936-39), östlich der Bahn die Siedlung Neulustheim (1919), die Beersiedlung (Einfamilienhäuser, 1937), die Angerlohsiedlung (Werksiedlung, 1951) und die Flaksiedlung (1955). Die Siedlungen weisen z.T. erhebliche Unterschiede auf. Näheres dazu bei Rudolph in seinem Stadtteilbuch.

Im Hinblick auf die Entwicklung der Industrie in unserem Stadtbezirk ist die Angerlohsiedlung von besonderem Interesse. Südlich der Beersiedlung, also zwischen Rueß- und Allacher Straße (Bild 1, heute) entstand ab 1952 in Kooperation mit der Wohnungsbaugesellschaft „Alte Haide" die Angerlohsiedlung mit rund 1132 Wohnungen. Sie nahm viele Flüchtlinge auf, die bisher in den einstigen Zwangsarbeiterlagern (Lager I, II, III) oder sonstigen Quartieren notdürftig untergebracht waren. Diese Siedlung fand auch Aufnahme in die Dissertation von Leo Krause mit dem Titel: „Münchner Geschoßsiedlungen der 50er Jahre", der ich viele Informationen und Zeichnungen verdanke und entnehme.

Ausgesprochene Werksiedlungen wurden nur von wenigen Industrieunternehmen, in diesem Fall Krauss-Maffei, gebaut. Bereits 1918 kam es durch Industriebetriebe in den umgebenden Gemeinden Münchens und in München zur Gründung einer Wohnungsbaugesellschaft mit Namen „Alte Haide", die dem Zweck der Errichtung von Wohnraum für deren Betriebsangehörige dienen sollte. Zu den Anteilseignern zählten neben der damaligen Lokomotivfabrik J. A. Maffei und den Bayerischen Motorenwerken fünf andere Betriebe. Zunächst war das Grundstück „Alte Heide" unweit des Nordfriedhofs zu bebauen, was in drei Bauphasen von 1919 bis 1930 ablief. Der Architekt, nach dem auch eine Straße in Untermenzing benannt ist, war der TH-Professor Theodor Fischer.

Nun zur „Wohnsiedlung Angerloh". 1951 begann man in München-Allach mit der Auflösung der Flüchtlingslager II und III. Da seit 1945 ein erheblicher Teil der Heimatvertriebenen bei Krauss-Maffei einen Arbeitsplatz gefunden hatte, begann man mit dem Bau der „Wohnsiedlung Angerloh", deren Grundstücke die Firma zur Verfügung gestellt hatte und als deren Bauträger die Baugesellschaft „Alte Haide" auftrat. Das zur Bebauung vorgesehene Gelände zwischen Allacher-, Von-Reuter-, Rueß- und Hitlstraße (Bild 2) war ca. 200.000 qm groß. So wurden nun in einem ersten Bauabschnitt 1952/53 an die 256 Wohneinheiten erstellt. Krause erklärt Bild 2 wie folgt: Die im Bild schwarz gezeichneten Bauten wurden in den 50er Jahren errichtet und die schwarz umrandeten in den 60er Jahren bis 1972. Gebaut wurde, wie zu erkennen ist, nicht bis zur Von-Reuter-Straße im Westen, bis zur Herbert-Schober-Straße im Süden, nicht ganz bis zur südlichen Hiltlstraße.

Deutlich sind die „Vierspänner-Haustypen", die nach den Plänen des Münchner Architekten Max Unglehrt realisiert wurden, mit ihren Innenhöfen in Zeilen zu erkennen. Die sonstigen Bauten der Siedlung entwickelte nach dem Tode von Unglehrt (1953) der Architekt Rudi Kranz, womit sich die insgesamt etwas uneinheitliche Bebauungsstruktur erklärt. Interessant für den Betrachter ist das Erschließungssystem, dem ein recht ausgefallenes Symmetrieschema zugrunde liegt. Krause beschreibt das so: „Drei nahe beieinander liegende (50-60 m Abstand), parallele Ost-West-Straßen (Peter-Winter-, Manzo-, Josef-Führer-Straße) werden in ihrer Mitte von einer zentralen Nord-Süd-Straße (Korbinian-Beer-Straße) gekreuzt. Von den zur Manzostraße parallel verlaufenden Straßen sind weitere Verbindungswege zu den Siedlungsrandstraßen im Norden und Süden geführt. So ergaben sich beiderseits der zentralen Haupterschließungsachse, der Manzostraße, vier ostwestlich-rechteckige Grundstücke, während die im Süden und Norden anschließenden Areale fast ausschließlich nordsüdlich-rechteckiges Format aufweisen."

Interessant sind vor allem die „Vierspänner-Haustypen" von Unglehrt, die sieben Nord-Süd-Zeilen des 1. Bauabschnitts von 1952/53. Sie stellen einen für München ausgefallenen und viel beachteten Versuch dar, in den jeweils zwei Geschoßen pro Haus acht Wohneinheiten unterzubringen (Bild 3). Die für Münchner Architekten höchst aufschlussreiche Betrachtung dieses Konzepts soll hier weiter nicht verfolgt werden. Für den Anwohner machten die Bauten einen breit hingelagerten Eindruck und deutlichen Akzent im Stadtteil, für den ehemaligen Bewohner der Zweizimmer-Einfachwohnungen klafften Wohnwunsch und Wohnwirklichkeit vermutlich weit auseinander.

Wenn vorhin vom 1. Bauabschnitt (BA) die Rede war, in dem zweigeschossig gebaut wurde, so plante und baute man im 3.-12. BA (1954-62/63) dreigeschossig, im 13.-16.BA (1963/64-67) viergeschossig und im 17.-19. BA (1969-72) fünfgeschossig.

Von den Vierspännern bestehen heute noch – allerdings inzwischen umgebaut und modernisiert – die Gebäude in der Schönleutnerstraße und an der Drachenfelsstraße nördlicher Abschnitt.

Als Beispiel aus dem 10. Bauabschnitt sei das Gebäude an der Josef-Führer-Straße 17-21 angeführt. Wie dieses waren auch alle anderen für die Unterbringung von Angehörigen des Betriebes der Firma Krauss-Maffei in München-Allach bestimmt. In diesem Fall handelt es sich um R. K., einen Dreher der Firma, der mit seiner Frau am 1. April 1966 den Vertrag für die Wohnung 902 a, Eingang 19, im II. Stock für eine ermäßigte Miete von DM 188.60 unterzeichnete. Es ist davon auszugehen, dass alle Wohnungen des Bauabschnittes den gleichen Wohnungsplan hatten (Bild 4) und heute z.Z. noch haben. Inzwischen hat die Augsburger Immobilienfirma Patricia alle Häuser aufgekauft, manche mehr, manche weniger renoviert und als Eigentumswohnungen verkauft. Nur noch wenige ursprüngliche Mieter leben dort.

 

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