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"Der Wohnraumbedarf der Stadt kann nicht ohne das Umland gedeckt werden"

Landrat Christoph Göbel warnt vor weiter auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich

Landrat Christoph Göbel. (Bild: Gemeinde Neuried)

Die Stadt München will neue Wege gehen, um den erwarteten Zuwachs zu bewältigen und schneller als bisher neuen Wohnraum zu schaffen. Doch ohne ihre Nachbarn im Umland kann die Stadt diese Herausforderung nicht bewältigen. Was kann das Umland tun, um bezahlbare Wohnungen zu schaffen? Johannes Beetz sprach mit  Landrat Christoph Göbel.

"Kommt nicht allein auf Bau neuer Wohnungen an"

München erwartet mehr als 200.000 zusätzliche Bürger bis 2030, sieht bis dahin aber nur Potential für 61.000 neue Wohnungen. Kann das Umland den Zuzug auffangen?

Christoph Göbel: Der Wohnraumbedarf der Stadt kann nicht ohne das Umland gedeckt werden. Die Umlandgemeinden sind sich ihrer hohen Verantwortung bewusst. Das Umland geht dabei aber weit über den Landkreis München hinaus. Es betrifft die gesamte Metropolregion München. Um die Herausforderung des großen Bevölkerungswachstums zu bewältigen, kommt es aber nicht allein auf den Bau neuer Wohnungen an. Die Verbesserung insbesondere des öffentlichen Verkehrs spielt hierbei zum Beispiel eine ganz entscheidende Rolle. Auch mit neuen Arbeitsformen müssen wir uns auseinandersetzen. Themen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Homeoffice- oder Co-Working-Modelle bieten hier ebenfalls Perspektiven, die konsequent weiterentwickelt werden müssen.

"Wir arbeiten eng zusammen"

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter setzt auf die Zusammenarbeit mit den Umlandgemeinden. Wie funktioniert die Zusammenarbeit in Sachen Wohnen? Was erwarten Sie von der Stadt?

Christoph Göbel: Die Schaffung von benötigtem Wohnraum ist eine Aufgabe, die alle Kommunen und Landkreise in der Metropolregion München betrifft und fordert. Von daher ist alles, was damit zusammenhängt, nur über einen stetigen Dialog zwischen den Beteiligten zu erreichen. Stadt und Landkreis(e) tauschen sich auf verschiedenen Ebenen aus und arbeiten eng zusammen. Das gilt zum Beispiel für infrastrukturelle Planungen wie den Schulbau oder auch für den öffentlichen Verkehr. Vertreter der Stadt beteiligten sich beispielsweise intensiv an dem unlängst stattgefundenen Workshop „Perspektiven im öffentlichen Personennahverkehr im Landkreis München“, der sich natürlich insbesondere auch mit den Verkehrsbeziehungen Stadt-Umland auseinandergesetzt hat. Darüber hinaus planen Stadt und Landkreis die erste Radschnellverbindung, die aus dem Münchner Stadtzentrum Richtung Garching und Unterschleißheim führen soll. Gerade bei den infrastrukturellen Planungen ist eine enge und kooperative Zusammenarbeit mit der Stadt und den umliegenden Landkreisen von größter Bedeutung.

"Teils dramatischen Situation"

Mit welchen Maßnahmen können die Umlandgemeinden selbst bezahlbaren Wohnraum schaffen? Wie begleitet sie der Landkreis bei dieser Aufgabe? Wurde der soziale Wohnungsbau vernachlässigt?

Christoph Göbel: Einerseits können Landkreis und Kommunen im Umland selbst sozial gebundenen Wohnraum schaffen. Das ist wichtig, weil immer mehr Sozialwohnungen im Bestand aus der entsprechenden Bindung entfallen und ersetzt werden müssen. Unabhängig davon übernimmt der Landkreis über das Instrument „Kosten der Unterkunft“ (KdU) die Miete derer, die berechtigt sind, im Rahmen der gültigen Mietobergrenzen.

Wesentlich problematischer ist die Gruppe derer, die zwar nicht hilfsbedürftig bzw. zuteilungsberechtigt sind, sich aber mit ihrem verfügbaren Einkommen die Mieten am freien Wohnungsmarkt nicht leisten können, beispielsweise Senioren mit geringer Rente, Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Niedriglohnempfänger etc. Hier sind vor allem Kommunen und Landkreis gefragt, mit eigenem Wohnungsbestand ein sozialpolitisches Korrektiv zu stellen, was wir mit unserer Baugesellschaft München-Land auch tun.

Angesichts dieser teils dramatischen Situation hat der Kreistag Ende letzten Jahres beschlossen, sein Förderprogramm zur Schaffung und Erhaltung von Mietwohnraum für Haushalte mit besonderer sozialer Dringlichkeit zu überarbeiten und attraktiver zu machen. Gleichzeitig entschieden die Kreisräte, das Bewusstsein für die Situation von Seiten des Landkreises zu schärfen und die Kommunen bestmöglich bei eigenen Vorhaben zu unterstützen. Den Auftakt zu dieser Initiative bildete eine Wohnungsbaukonferenz im Januar dieses Jahres, ein groß angelegtes Arbeitsgespräch, zu dem ich sämtliche Landkreisbürgermeister, Mitarbeiter der Kommunalverwaltungen, die Geschäftsführer kommunaler Baugesellschaften, von Baugenossenschaften und Wohlfahrtsverbänden eingeladen hatte.

"Verfahren vorantreiben"

Wie können bürokratische Verfahren und Auflagen gelockert werden, um den Wohnungsbedarf schneller decken zu können? Können Vorgaben und Standards aufgegeben werden?

Christoph Göbel: Als Landkreis müssen wir Baugenehmigungsverfahren schnellstmöglich vorantreiben und alle Möglichkeiten nutzen, die uns verfahrensrechtlich eingeräumt sind. Was die gesetzlichen Bestimmungen selbst anbelangt, haben wir aber keine Entscheidungskompetenz. Hier ist der Gesetzgeber gefragt.

"Gute Möglichkeiten"

Halten Sie "alternative" Modelle wie Baugenossenschaften für einen Weg, zügig Wohnraum zu schaffen?

Christoph Göbel: Es gibt ganz unterschiedliche Wege und Modelle, neuen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Baugenossenschaften sind da sicher eine denkbare Alternative. Auch „Einheimischenmodelle“ bieten gute Möglichkeiten, zielgerichtet zu agieren.

Die Mobilität verbessern

Wohnraum allein genügt nicht. Auch die Infrastruktur muss einem Zuwachs angepasst werden. Welche Projekte halten Sie für die wichtigsten? Sind diese überhaupt in einem sinnvollen Zeitraum umsetzbar?

Christoph Göbel: Mit am wichtigsten sind der Bildungsbereich und vor allem der öffentliche Verkehr. Während ich die ausreichende Versorgung mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen als machbar ansehe, ist der adäquate Ausbau des öffentlichen Verkehrs eine besonders schwierige, vor allem auch langwierige und kostenintensive Herausforderung. Hier ist Handlungsbedarf am schnellsten geboten. Denn nur verbesserte Mobilität im Raum nimmt dem Kern unserer Region – der Stadt und dem Landkreis München – den extremen Siedlungsdruck!

"Zutiefst menschliche Reaktion"

Bereits ansässige Bürger wehren sich gegen Nachverdichtung und oft gegen den Neubau von Wohnungen; sie fürchten den Verlust von Freiflächen. Wie können die Bürger mit ins Boot geholt werden. Wird der Zusammenhalt zwischen "schon lange da" und "neu hier" brüchig? Fürchten Sie eine Verdrängung von Bevölkerungsschichten?

Christoph Göbel: Die Angst vor Veränderung ist eine zutiefst menschliche Reaktion und zunächst überall zu spüren. Umso wichtiger ist ein steter und offener Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, in dem die Erfordernisse der Zukunft klar benannt werden, in dem man aber auch offen ist für konstruktive Kritik. Der Nachverdichtung im Inneren steht eine noch größere Flächenversiegelung in Randbezirken und damit oft in Gebieten mit einem großen Erholungswert entgegen. Auch heute ist der Bevölkerungszuwachs in unseren Kommunen zum Teil schon enorm. Das Zusammenleben funktioniert in einer weltoffenen Gesellschaft wie der unseren aber dennoch sehr gut. Befürchtungen hege ich vielmehr hinsichtlich einer noch weiter auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich, was nicht zuletzt etwas mit mangelndem bezahlbarem Wohnraum zu tun hat.


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