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Der Todesmarsch der Dachauer KZ-Häftlinge am 26. April 1945

Stadtteilhistoriker Dr. Walter G. Demmel berichtet (Leider konnte dieser Artikel aus Corona-Gründen nicht ter

Bild 1: Pilgrim-Mahnmal vor dem Feuerwehrhaus (Bild: Demmel)

Wer des Öfteren an der Allacher Feuerwache Ecke Eversbusch/Höcherstraße vorbeikommt, wird sicher auch nachdenklich bei der dortigen Figurengruppe, einer Arbeit des Pullacher Bildhauers Hubertus von Pilgrim, stehen geblieben sein (Bild 1). Er sollte aber auch wissen, dass es sich hier nicht um ein einmaliges, zentrales Denkmal in Allach handelt, sondern um eine der vielen Stationen in unserer Gegend, die auf den Todesmarsch von KZ-Häftlingen aufmerksam machen. 22 Figurengruppen säumen den Weg des Todesmarsches in den Süden, das 23. Exemplar der Skulptur steht in Yad Vashem in Jerusalem, das 24. im NS-Dokuzentrum in München. Der Text lautet: „Hier führte in den letzten Kriegstagen im April 1945 der Leidensweg der Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau vorbei ins Ungewisse." Für unseren heutigen Stadtbezirk führte der Todesmarsch im April 1945 durch die damalige Horst-Wessel- und anschließende Adolf-Hitler-Straße nach Süden. Die Häftlinge schleppten sich also an den Allacher und Untermenzinger Wohnhäusern, Geschäften und Wirtschaften vorbei, wurden von den entsetzten Frauen und Kindern unseres Stadtteils gesehen und von bangen Blicken begleitet.

Aber warum bekam man nun die Häftlinge zu sehen, von denen immer hinter vorgehaltener Hand geredet worden war? Man wußte von Dachau, aber viele wollten es nicht wissen. Es konnte nicht sein, wie es war. Nun aber sah man einen Teil der 40.000 Häftlinge, die die Nazis in den vergangenen Tagen von überall her in Dachau zusammengepfercht hatten, um sie vor den herannahenden amerikanischen Truppen gegen Süden auf einem letzten Marsch zu entführen. Kein Häftling sollte, nach einem Befehl des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, in die Hände der Alliierten fallen.

Im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau findet man die „Erinnerungen der ehemaligen Häftlinge Franz Scherz, Heinrich Pakullis und Herman Riemer, von denen Scherz zum Aufbruch für den langen Marsch zitiert sein soll: „Um etwa 21 Uhr kam Bewegung in sie. Die Mannschaften marschierten in endlos scheinenden Kolonnen ins Lager, schwer bewaffnet mit Karabinern und Pistolen, Handgranaten griffbereit vorne in der Koppel. In bestimmten Abständen waren Hundeführer eingeteilt, die die dressierten Bluthunde an der Leine führten.“ Nachts begann der Abmarsch aus Dachau, die Häftlinge waren ausgestattet mit einem Proviant für etwa drei Tage: eine Konserve, Brot, etwas Käse und Margarine. Viele der total Ausgehungerten hatten ihren Reiseproviant schon vor dem Aufbruch verschlungen und marschierten nun mit leeren Händen und noch immer leeren Magen los. Erst am späten Abend begann endlich der Abmarsch in eine für alle ungewisse Zukunft. Man zählte ca. 4.000 russische Häftlinge, über 1.500 jüdische Frauen und Männer und 1.200 Österreicher und Deutsche, die von allen Seiten von den schwer bewaffneten SS-Angehörigen und ihren Hunden begleitet und bewacht wurden.

Bald erreichte man Karlsfeld und die Münchener Stadtgrenze, kam über die alte Dachauer Straße und spätere Eversbuschstraße nach Allach (Bild 2) und auf der oben genannten Horst-Wessel-Straße nach Untermenzing.

Eine notwendige Erinnerung für unsere alte und sicher keine überflüssige Information für unsere jüngere Generation: Horst Wessel (1907-1930) war als Sturmführer der SA von KPD-Mitgliedern ermordet worden und wurde von der NS-Propaganda zum „Märtyrer der Bewegung“ hochstilisiert. Er verfasste den als Text zu einer bis dahin wenig bekannten Melodie „Die Fahne hoch“.

Bild 3 zeigt die Situation mit der Schwaige im rechten Hintergrund in den 30er Jahren. Die Untermenzinger Adolf-Hitler-Straße – eine Erklärung ist hier nicht notwendig – führte damals noch an vielen Bauernhöfen, freiem Feld und alten Bäumen, wie aus diesem Bild ersichtlich, vorbei. Bei genauerem Hinsehen ist rechterhand die damalige Gaststätte „Zur Schwaige“ erkennbar. Ein genaueres Bild aus diesen Tagen sei beigefügt (Bild 4).

Der Häftling Pakullis berichtete später, dass die gesamte Strecke 135 km betragen sollte und in vier Tagen bewältigt werden müsse. Was dies für chronisch Unterernährte, Pakullis wog wie so viele andere ca. 172 cm große Männer lediglich 48 kg, ist kaum zu ermessen. In Untermenzing ging es am Kriegerdenkmal, an der damaligen Gaststätte „Zur Schwaige“, der Kirche St. Martin und dem „Wellenbad und Einkehrhaus Inselmühle“ vorbei immer weiter und ohne Rücksicht auf Verluste. Viele starben schon nach den ersten 50 km an Entkräftung, Hunger und Kälte oder wurden von den begleitenden SS-Männern brutal ermordet.

Der weitere Weg in der für uns näheren Umgebung führte an der Blutenburg vorbei über Obermenzing nach Pasing, Gräfelfing, Planegg, Krailling über Gauting durch das Würmtal weiter Richtung Süden nach Percha. Der damals 24-jährige Benno Gantner, sein Sohn ist heute ein im Ort hochgeschätzter Kunsthistoriker (64) und Kunsthändler, hat vom Balkon seines Elternhauses am 28. April 1945 insgeheim ein Foto gemacht, das den Durchzug der Gequälten dokumentiert. Mein Bild 5 ist Ersatz für das inzwischen kostenpflichtige Bild des Benno Gantner. Der bereits genannte Häftling aus dem Lager Allach, Hermann Riemer, berichtete zum weiteren Weg: „Mühselig kroch die graue, endlose Schlange der Häftlinge über das bergige Land. Immer wieder fielen Schüsse. Endlich erreichten wir Bad Tölz. Unsere Wachmannschaften waren jetzt so nervös, daß sie nicht einmal unter den Augen der Bürger vor kaltem Mord zurückschreckten.“ Auf dem weiteren Weg musste die inzwischen auf ca. 3.000 Menschen dezimierte Häftlingskolonne in eiskalter Nacht bei Waakirchen in einer Kiesgrube übernachten. Am 2. Mai 1945 trafen die Häftlinge ohne ihre inzwischen geflohenen Peiniger in Waakirchen auf die in ihren Panzern anrückenden amerikanischen Soldaten. Die Häftlinge endlich frei, frei, frei! Aber vermutlich über 2.000 hatten die Strapazen nicht überlebt. Für die Verbliebenen ein Todesmarsch ins Leben.

Zuletzt stellte mir der geborene Allacher Markus Dosch ein Gedicht „Der Allacher Nußbaum“ (Bild 6) zur Verfügung, das er seiner Mutter widmete, die vorbeiziehenden Häftlingen unter Lebensgefahr Brot und Äpfel zugesteckt hat.

 


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