"Das soll digitale Versäumnisse überdecken"
Lehrerschaft sieht in Streichung der Faschingsferien nichts Positives
Um die Bildungschancen aller Schüler in diesem Jahr zu sichern, werden die Faschingsferien (15. bis 19. Februar) durch eine Unterrichtswoche ersetzt. Diese Entscheidung hat der bayerische Kultusminister Michael Piazolo am 7. Januar bekanntgegeben. "Mein Ziel ist es, die hohe Qualität der bayerischen Schulbildung zu erhalten und die Chancengerechtigkeit für unsere Schülerinnen und Schüler zu erhalten – auch mit Blick auf die Abschlussprüfungen", begründete er dies. Bei der Lehrerschaft stieß er mit der Ferienstreichung auf wenig Begeisterung. Die Lehrerverbände verweisen darauf, dass auch die Lehrer in den vergangenen Monaten erheblich belastet waren. Anstelle einer Zusatzwoche Unterricht drängen sie darauf, die Schulen endlich technisch so auszustatten, dass Distanzunterricht funktionieren kann.
"Distanzunterricht ist eine höhere Belastung"
Der Bayerische Realschullehrerverband (brlv) meint, die Feriendiskussion komme zur Unzeit und solle digitale Versäumnisse überdecken. "Die Zeit bis zur Präsenz an den Schulen sind keine Ferien, sondern Unterricht. Unterricht findet statt – ob in Distanz, im Wechsel oder in Präsenz", sagte brlv-Vorsitzender Jürgen Böhm. "Man kann über die Verschiebung unterrichtsfreier Tage nachdenken – aber elf Wochen Unterrichtszeit am Stück belasten Schüler und Lehrkräfte, zumal Distanzunterricht für beide Gruppen eine höhere Belastung darstellt. Hier ist mehr pädagogisches Fingerspitzengefühl gefragt gewesen."
"Enttäuschung und nicht zielführende Maßnahme"
Der Verband der Lehrer an beruflichen Schulen in Bayern (VLB) sagt, dass der Wegfall der Faschingsferien von vielen Lehrkräften als Enttäuschung und nicht zielführende Maßnahme empfunden werde, weil sie in den zurückliegenden Monaten bereits extrem belastet waren. Darüber hinaus benötigen die Lehrer die unterrichtsfreie Zeit für die Vor- und Nachbereitung insbesondere des arbeitsaufwendigen Hybrid- und Distanzunterrichts. Nicht zu vergessen seien die Schüler, die Erholungsphasen brauchen. Außerdem gebe es immer noch Schüler, die nicht über geeignete Endgeräte verfügen, um am digitalen Unterricht teilnehmen zu können.
"Ein Gefühl fehlender Wertschätzung"
Die GEW Bayern (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) sagt, dass der Distanzunterricht vielerorts nach wie vor nicht reibungslos verlaufe, u.a. weil die digitale Lernplattform Mebis immer noch nicht ausreichend funktioniere. Den Lehrkräften dürfe in ohnehin sehr fordernden Zeiten nicht noch mehr zugemutet werden. „Den Lehrkräften vor Ort stieß es sehr sauer auf, dass sie trotz großer Anstrengungen und Mehrarbeit seit Beginn der Corona-Pandemie für die zwei unterrichtsfreien Tage vor Weihnachten zum Dienst verdonnert wurden", sagte die neue GEW-Vorsitzende Martina Borgendale. "Dass der Arbeitgeber nun so einfach eine Woche Ferien streicht, die die Lehrkräfte ja in der Regel zum Aufarbeiten dessen nutzen, für das im Schulalltag keine Zeit bleibt, ruft völliges Unverständnis und ein Gefühl fehlender Wertschätzung hervor. Viele Lehrkräfte arbeiten seit Monaten am Limit und das bringt das Fass zum Überlaufen!"
"Ich kann jeden verstehen, der sagt: Jetzt reicht’s langsam!"
Auf den Bayerischen Philologenverband (bpv) wirkt die Streichung der Ferien als "Maßnahme, die Tatkraft und Entschlossenheit suggeriert und die privaten Ausflüge in den Ferien eindämmen soll". Im Gegensatz dazu warten die Lehrer immer noch auf positive Nachrichten aus München, dass sie den vorbereiteten Distanzunterricht - der keine Erholung, sondern aufwändiger und anstrengender als Präsenzunterricht sei - technisch sicher durchführen können. „Anstatt handstreichartig Erholungsphasen zu kassieren, muss Bayern endlich besser technisch gerüstet für den Distanzunterricht sein. Die Kolleginnen und Kollegen haben oftmals in der Freizeit Fortbildungen besucht, sich auf private Kosten Hardware angeschafft und Konzepte erstellt", sagt bpv-Vorsitzender Michael Schwägerl. "Sie wissen am Freitag nicht, ob und wie die Plattformen am Montag funktionieren, sie werden angewiesen, mebis nur zu bestimmten Zeiten zu benutzen, sie werden ermuntert, für Schülerkontakte das Telefon zu benutzen, und dann wird ihnen auch noch gesagt, dass in den Ferien Unterricht nachgeholt werden muss. Ich kann jeden verstehen, der sagt: Jetzt reicht’s langsam!"
Elf Wochen Lehren und Lernen am Stück seien für alle eine unpädagogische Härte. Deshalb solle die unterrichtsfreie Woche im Februar nicht gestrichen, sondern verschoben werden.
"Der chronische Lehrermangel schlägt jetzt voll durch!"
Der Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverband (MLLV) spricht sich klar gegen die Streichung der Winterferien aus: Die Entscheidungsträger unterliegen dem Irrglauben, dass während der Durchführung von Wechsel- bzw. Distanzunterricht weniger Arbeitsaufwand für die Lehrer anfällt. "Gegenteil ist der Fall!" unterstreicht MLLV-Vorsitzender Martin Schmid. Wechsel- und Distanzunterricht seien pädagogisch und didaktisch enorm aufwändig. "Dass unsere Kolleginnen und Kollegen ebenso wie andere 'normale Eltern' im Homeoffice, dort gibt es nämlich privates W-Lan, auch die eigenen Kinder betreuen und noch Notbetreuung ani hrem Arbeitsplatz Schule in Präsenz leisten sollen, wird völlig vernachlässigt!"
Für den Kultusminister sei es "wohl selbstverständlich, dass die Kollegen das 'Homeschooling' auch noch unter erschwerten Bedingungen, ohne W-Lan mit privaten 'Endgeräten' vom Rotstift bis zu Smartphone und Multimedia-PC erledigen müssen. So etwas ist 'im richtigen Leben' außerhalb der Schule absolut undenkbar!"
Der chronische Lehrermangel insbesondere an Grund- und Mittelschulen schlage gerade jetzt voll durch, da neben dem „Distanzunterricht“ auch noch in erheblichem Umfang die „Notbetreuung“ gestemmt werden muss. Wo auch noch die letzten Differenzierungs- und „DeutschPLUS“-Stunden umgewidmet werden müssen, kommen gerade diejenigen Kinder und Jugendlichen unter die Räder, die am dringendsten eine intensive Begleitung und Förderung bräuchten, so Schmid. "Daran wird auch das Hoffen auf Präsenzunterricht in den Faschingsferien so gut wie nichts ändern."
Der MLLV fordert einen Ausgleich für die Schüler: Gezieltes, nachhaltiges und durchdachtes Handeln, das bei den wirklich Beteiligten, nämlich Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und Eltern, ankommt, wäre notwendig - etwa mit einer deutlichen Reduzierung der Lehrplaninhalte, einer Verringerung der Anzahl von Prüfungen oder mit einer Aussetzung des Übertrittsverfahrens.
"Die Maßnahme des Ministerrats wirkt für alle am Bildungssystem Beteiligten demotivierend und zusätzlich belastend", so Martin Schmid zur Streichung der Faschingsferien.
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