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"Das ist eine Verschleierung der Realität"

Unterrichtsausfall: Gibt es wirklich keine Probleme?

In unseren vorigen Ausgaben haben wir mit anderen Verlagen bundesweit das Thema Unterrichtsausfall aufgegriffen und Schulleiter, Eltern, Schüler und Verbände nach ihrer Meinung gefragt. Dazu schreibt Michael Streit (Elternbeiratsvorsitzender Grundschule an der Peslmüllerstraße und Vorsitzender Gemeinsamer Elternbeirat der Grund und Mittelschulen in der LH München):

"Nahezu alle Beiträge in den letzten Ausgaben des Wochenanzeigers zum Thema Unterrichtsausfall hatten eine Kernaussage: Es fallen keine Unterrichtsstunden aus, alle sind mehr oder weniger zufrieden,  wie die Schule mit dem Thema Unterrichtsausfall umgeht. Alle (!) befragten Vertreter der Schulen sagen fast unisono, dass es irgendwie funktioniert. Die Zahlen von Ministerium und von Schulamt stellen offensichtlich dar, dass so gut wie keine Unterrichtsstunden ausfallen. Das ist jedoch schlicht eine Verschleierung der Realität!

Tatsächlich fallen kaum Unterrichtsstunden aus, wenn man nur darauf abzielt, wie viele Stunden letztendlich ersatzlos abgesagt wurden und nicht durch Vertretungen, Aufteilungen der Klassen, mobile Reserven, Ersatzlehrer anderer Schulen, Doppelklassen (ein Lehrer mit mehreren Klassen) aufgefangen wurden.

Statistiken verraten nicht alles

Es ist klar, dass die zuständigen Behörden diese Zahlen nicht oder nur ungern nennen. Denn darin enthalten sind nicht nur die Stunden, die tatsächlich ausgefallen sind, sondern auch die Stunden, die durch Doppelbelastungen der Lehrkräfte oder Ersatzlehrer aufgefangen werden. Wieso eigentlich werden diese Statistiken nicht genannt?

Ist es so schwer, festzustellen wie viele Lehrkräfte an einem Tag gesundheitlich bedingt, wegen Fortbildung, zur Prüfungsaufsicht in anderen Schulen, z.B. Abitur, oder aus sonstigen Gründen nicht da sind?

Das sind die ausgefallenen Unterrichtsstunden, die nur dann gehalten werden können, wenn die verbleibenden Kollegen und Kolleginnen oder eine der wenigen Ersatzlehrkräfte einspringen. Werden diese in Relation zu den zu leistenden Stunden gemäß Lehrplan gesetzt, kommen andere und vermutlich die Realität besser treffende Statistiken zustande.

Ist es wirklich positiv, dass ...?

Ist es daher wirklich als positiv zu werten, dass durch Doppelbelastung der Lehrkräfte das vorgegebene Ziel 'kein Unterrichtsausfall' erreicht wird?

Ist es so positiv, wenn Lehrkräfte statt der berechneten Stundenanzahl gemäß Lehrplan die im Extremfall doppelte Anzahl von Unterrichtsstunden leisten müssen?

Ist es wirklich als positiv zu werten, wenn Lehrkräfte statt der als Teilungsgrenze vorgesehene Klassenstärke nun 40 und in extremen Ausnahmefällen mehr Schüler unterrichten müssen - und das über Wochen?

Ist es wirklich als positiv zu werten, wenn in den Klassen zwei oder mehr unterschiedliche Klassenstufen unterrichtet werden und so eine individuelle Förderung, Intensivierung, Beobachtung, fachliche Betreuung von Kindern nicht mehr möglich ist?

Ist es wirklich als positiv zu bewerten, dass mangels guter Betreuung und Förderung das Lernen und Aufgaben erledigen auf die Nachmittagsstunden nach Hause verlagert wird, weil durch die Be- und Überlastung der noch vorhandenen Lehrkräfte keine ausreichende fachliche Betreuung der Kinder oder Vorbereitung mehr möglich ist?

Ausstattung reicht nicht aus

Richtig ist doch vielmehr: Es wird alles versucht, Unterrichtsausfall, d.h. tatsächlicher Ausfall von Unterrichtstunden, zu vermeiden. Dies geht zu Lasten der Schüler und der Lehrkräfte.

Lehrkräften, zumindest die weitaus größte Anzahl, die ihren Lehrauftrag ernst nehmen, die versuchen die Kinder möglichst individuell zu fördern, so wie es unser Bildungssystem fordert. Das setzt jedoch voraus, dass Ihnen die Zeit sowohl im Unterricht als auch zur Vorbereitung gegeben wird.

Beides kann zurzeit nicht umfassend erfüllt werden. Das liegt nicht an den Qualitäten der Lehrkräfte, sondern an der quantitativ nicht ausreichenden Ausstattung der Schulen mit Lehrkräften, die schnell und außerhalb der Reihe kurzfristig einspringen können, so wie es z.B. durch Präsenzstunden an den höheren Schulen möglich ist.

Nicht haltbare Situation

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass alle, die hier sagen, es gibt keine Probleme, es geht alles seinen Gang und das ist normal, verkennen, dass der Lehrplan nicht dafür ausgelegt ist, dass über längere Zeit Lehrkräfte ausfallen und diese durch Kollegen und nicht durch Ersatzlehrkräfte, 'vertreten' werden müssen. Diese haben ja selber ihre vorgegebenen Stunden abzuhalten!

Und dann weiß und erkennt man, dass zwischen den Zeilen und mit dem Gesagten sich die stille Hoffnung ausdrückt, dass sich diese eigentlich nicht haltbare Situation schnellstmöglich ändert!"


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