"Das A und O ist zuhören und immer wieder das Gespräch suchen"
Wie Eltern ihre Kinder bei der Berufswahl unterstützen können
Die Berater der Agentur für Arbeit stellen immer wieder fest, dass Jugendliche an wenigen Trendberufen festhalten und die Alternativen nicht ausreichend prüfen. Ulrike Sommer, Bereichsleiterin U 25 und stellvertretende Geschäftsführerin Operativ der Agentur für Arbeit München, über die Schwierigkeiten, Trends und Möglichkeiten bei der Berufswahl.
Welche typischen Probleme können für Jugendliche bei der Studien- und Berufswahl auftreten?
Eines der häufigsten Probleme ist die enorme Auswahl an Studiengängen und Ausbildungsberufen welche die Jugendlichen ergreifen können. Was natürlich auch eine Schwierigkeit darstellt sind fehlende oder widersprüchliche Informationen über die Berufsmöglichkeiten.
Die Schüler des G8 müssen viel Zeit und Kraft in die Schule investieren, so dass häufig Energie fehlt, sich während der Schulzeit intensiv mit der Berufswahl zu beschäftigen. Hinzu kommt auch die Angst vor der Arbeitswelt, welche den Teenagern trotz Praktika immer noch fremd ist. Eine weitere zentrale Frage, mit der sich Jugendliche auseinandersetzen müssen, ist, wie sie ihr Leben als Erwachsene gestalten wollen. Die Wahl des richtigen Berufs setzt die Kenntnisse der eigenen Stärken und Schwächen sowie der eigenen Wünsche und Ziele voraus. Leider sind teilweise Defizite bei der Selbsteinschätzung bei den Jugendlichen vorhanden (Was sind meine Stärken? Welcher Beruf passt zu mir?).
"Entscheidung aufschieben"
Welche Gefahren und Hindernisse können auf die Jugendlichen zukommen?
Eine große Gefahr ist es vor allem, die Entscheidung der Berufswahl vor sich her zu schieben, was dazu führen kann, das man die Schule beendet und nicht weiß, welchen Beruf man ergreifen soll.
Viele Jugendliche lassen sich auch nicht von ihren Eltern helfen, weil sie oftmals nicht denselben Beruf ergreifen oder sich selbstständig entscheiden wollen. Die zu hohen Ansprüche der Eltern an die Jugendlichen (Du musst studieren!) stellen eine weitere Gefahr da.
Was erwähnenswert ist, ist das Festhalten an wenigen Trendberufen. Die Alternativen werden nicht ausführlich geprüft, die Teenager orientieren sich dabei oft an Ratschlägen Gleichaltriger („der Beruf ist cool“).
Welche Rolle sollten die Eltern in der Begleitung dieses Entscheidungsprozesses einnehmen?
Das A und O ist „zuhören“ und immer wieder das Gespräch suchen. Eltern sollten auf Grundlage einer guten Informationslage den Prozess der Entscheidung bis hin zu Realisierung aktiv und unterstützend begleiten.
Wichtig ist auch als Elternteil der Gefahr zu widerstehen, unerfüllte Wünsche (die eigene Biografie betreffend) auf ihre Kinder zu übertragen.
Eltern können in folgenden Kriterien wichtige Unterstützung leisten.
• Unterstützung bei der Sichtung/Bewertung berufs- und studienkundlicher Informationen (im Gegensatz zu den Berufswählern haben sie Erfahrungen im Arbeitsleben gesammelt)
• Unterstützung bei der Selbsteinschätzung (Persönlichkeit, Talente, Schwächen)
• Unterstützung bei der Erarbeitung relevanter Berufswahlkriterien (Prestige)
• Unterstützung bei der Abwägung von Chancen/Risiken von Berufen/Studiengängen
Die Rolle des Trostspenders und des Motivators bei Entmutigung oder Fehlschlägen (beispielsweise: Berufsziele lassen sich nicht oder nicht in naher Zukunft realisieren, geforderter Numerus Clausus, Schulabschlüsse, Mangel an Ausbildungsplätzen in Mainstream-Berufen) ist von entscheidender Bedeutung.
Welche Kriterien zur Studien- und Berufswahl sind erfahrungsgemäß sinnvoll?
Wichtig ist, dass der Beruf zum Jugendlichen passt; sprich die Übereinstimmung mit seinen persönlichen Stärken, Neigungen, Haltungen.
Der Jugendliche sollte sich die Frage stellen: Wie sicher ist mein Arbeitsplatz?
Jugendliche die studieren möchten, sollten sich vor allem nach alternativen Studienorten umschauen.
"Viele neue Studiengänge"
Welche Chancen in Berufen gibt es, die Eltern erfahrungsgemäß „nicht auf dem Schirm“ haben?
Über die letzten Jahre sind viele neue und interessante Studiengänge hinzugekommen (bspw. Bioinformatik, medizinische Dokumentation oder Technische Redaktion). Außerdem sollte man Facharbeiterberufe nicht aus den Augen verlieren, weil es einen Arbeitskräftebedarf bei Fachkräften auf der Ebene der Berufsausbildung gibt.
Unterschätzen sie die Möglichkeiten zum Beispiel des Handwerks?
Aus meiner Sicht unterschätzen sowohl Eltern als auch Schüler die Möglichkeiten des Handwerks. Die neue Durchlässigkeit nach oben findet zu wenig Beachtung (Beispiel: Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte „vom Meister zum Ingenieur")
Weniger Nachfrage nach Bankberufen
Gibt es eine "Top Ten" der Berufswünsche heute und eine von vor 20, 30 Jahren? Was hat sich hier verändert?
Im Mainstream sind derzeit die Medienberufe, Berufe im Eventmanagement oder in der Immobilienbranche. Einen Rückgang der Nachfrage können wir nach Ausbildungen/Studiengängen für einen Ansatz in der Bank feststellen. Im Vergleich zu den Berufswählern die in den 80-er bis 2000-er Jahren im Trend lagen, ist ein Rückgang der Nachfrage nach Physiotherapie, Logopädie zu beobachten und deutlich geringere Nachfrage nach Berufen wie Goldschmieden, Tischler (mit dem Fernziel Innenarchitekt).
Wie bewältige ich einen Ausbildungsabbruch, wenn ich merke, dass ich angesichts der unüberschaubaren Fülle von Berufen aufs falsche Pferd gesetzt habe? Gibt es da Hilfestellungen der Agentur?
Die Agentur für Arbeit bietet intensive Beratungen zur Neuorientierung (Vermittlung, Bewerbungscoaching, Einstiegqualifizierung, finanzielle Leistungen) an. Jugendliche wissen dann schon mal, was sie nicht wollen und haben damit schon einen großen Schritt hin zum passenden Beruf gemacht, so dass ich es gar nicht so schwierig finde, mit Ausbildungsabbrechern bzw. Studienabbrechern Berufsalternativen zu erarbeiten. Zum Teil werden Studienabbrecher von vielen Unternehmen heftig umworben.
Flexibilität und Mobilität
Haben Jugendliche Angst, sich zu früh auf einen - immer weiter spezialisierten - Beruf festzulegen? Und wie sind die Wechselmöglichkeiten innerhalb eines Berufsfeldes?
Meines Erachtens kann dies nicht generalisiert werden. Es sind unterschiedliche Spielräume für Flexibilität; jedoch sind Wechselmöglichkeiten in jedem Beruf vorhanden. Absolventen geistes- und gesellschaftswissenschaftlicher Studiengänge stellen dies tagtäglich unter Beweis. Viele Beispiele gibt es aber auch aus andern Berufszweigen, zum Beispiel wechseln Mediziner zum Ressortjournalismus im Bereich Medizin/Gesundheit oder Maler (Berufsfeld Handwerk) werden Fachberater in einem Baumarkt (Berufsfeld Einzelhandel). Bereitschaft zu beruflichen Flexibilität und räumlichen Mobilität werden vermutlich in der Zukunft noch stärker eingefordert werden.
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