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„Azubis sind für ihre Betriebe ein kostbares Gut“

Florian Kaiser, Leiter Referat Bildungsberatung und Bildungsprojekte der Industrie- und Handelskammer (IHK) fÃ

Florian Kaiser, Leiter Referat Bildungsberatung und Bildungsprojekte der IHK)für München und Oberbayern. (Bild: privat)

Es ist unbestritten: das Corona-Virus hat Auswirkungen auf viele Ebene der Arbeits- und Berufswelt. Auch Auszubildende sind davon nicht ausgenommen, gerade auch, wenn man bedenkt, dass Präsenzveranstaltungen weitgehend ausgefallen sind. Florian Kaiser leitet das Referat für Bildungsberatung und Bildungsprojekte der IHK für München und Oberbayern und spricht im Interview unter anderem über die Folgen der Corona-Krise für die ausbildenden Betriebe, die Auswirkungen der Pandemie auf den Ausbildungsstart in diesem Jahr und über die Auswirkungen fehlender Praktika.

12Job: Wie gravierend sind die Folgen der Corona-Krise für die ausbildenden Betriebe?

Florian Kaiser: Trotz Corona läuft die berufliche Ausbildung in den IHK-Ausbildungsbetrieben nach Plan. Zwar leiden große Teile der Wirtschaft unter der Krise, ganze Branchen wie Gastronomie, Hotellerie, viele Einzelhandelsgeschäfte oder auch Reisebüros sind geschlossen, und Veranstaltungen sind gestrichen. Aber die Ausbildungsbetriebe haben sich bereits im ersten Lockdown auf die Situation eingestellt. Sie haben Konzepte entwickelt, wie sie unter Beachtung der vorgeschriebenen Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen ihren Azubis die vorgeschriebenen Lehrinhalte praxisgerecht vermitteln können. Diese Konzepte setzen sie auch im aktuellen Lockdown um. Alle Azubis sind für ihre Betriebe ein kostbares Gut. Sie sind die dringend benötigten Fachkräfte von morgen. Da setzen die Unternehmen nichts aufs Spiel

„Die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe ist weiterhin hoch“

Wie wird sich die Pandemie auf den Ausbildungsstart auswirken: Werden 2021 Azubis eingestellt oder halten sich die Betriebe zurück?

Grundsätzlich ist die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe weiterhin hoch. 2020 blieben allein in München über 1.200 Ausbildungsplätze unbesetzt, weil die Bewerber fehlten. Grund dafür sind vor allem die geburtenschwachen Jahrgänge, immer weniger potenzielle Bewerber verlassen die Schulen. Jedes Unternehmen, das sich zukunftssicher aufstellen will, wird auch 2021 ausbilden. Ausbildungswillige Unternehmen, die von der Krise schwer getroffen sind, können dafür auch staatliche Finanzhilfen in Anspruch nehmen. Womit wir aber durchaus rechnen müssen, ist, dass in den besonders gebeutelten Branchen Ausbildungsplätze nicht mehr in demselben Umfang wie bisher angeboten werden.

„Ziel: Ausbildung erfolgreich abschließen“

Wie wirkt sich die Pandemie insgesamt auf die Ausbildungsabschlüsse aus?

Egal ob mit oder ohne Coronakrise – in einer dualen Berufsausbildung ist es sowohl für Azubi als auch Ausbildungsbetrieb immer das Ziel, dass die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen wird. Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss ist das Bestehen der Abschlussprüfungen. Diese finden trotz Corona regulär statt. So wurden gerade erst die IHK-Abschlussprüfungen Winter 2020/2021 beendet. Die IHK München hat bereits im Frühjahr 2020 ein ausgefeiltes Hygienekonzept entwickelt und umgesetzt. So finden die schriftlichen Prüfungen mittlerweile in viel mehr angemieteten Räumen statt, um die erforderlichen Abstände zu gewährleisten und die Personenanzahl im Raum zu reduzieren. Prüflinge wie auch Prüfer müssen medizinische Masken tragen.

„Auf jungen Fachkräftenachwuchs setzen“

Wie beurteilen Sie die Ausbildungs- und Zukunftschancen der „Corona-Generation“?

Mit einer erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildung in der Tasche haben junge Erwachsene auch heuer beste berufliche Aussichten. Die Voraussetzungen für eine weitere erfolgreiche berufliche Karriere könnten nicht besser sein. Die bayerische Wirtschaft leidet bereits seit Jahren unter einem zunehmenden Fachkräftemangel. Immer mehr Fachkräfte gehen in Rente, während gleichzeitig die Anzahl an Auszubildenden abnimmt. Deshalb müssen die Unternehmen gerade auch nach der Krise auf jungen Fachkräftenachwuchs setzen. Die Auswahl an Ausbildungsplätzen wird deshalb auch 2021 groß sein. Wer jetzt die Initiative ergreift und Kontakt zu den Betrieben aufnimmt und seine Bewerbungsmöglichkeiten auslotet, hat sehr gute Chancen.

„Für die Zukunft absichern“

Befürchten Sie, dass aufgrund von Corona weniger Azubis übernommen werden als noch vor der Pandemie?

In der Regel steht einer beruflichen Zukunft der Azubis im Ausbildungsbetrieb nichts im Wege, denn über mindestens zwei Jahre hat das Unternehmen in die jungen Kollegen sehr viel an innerbetrieblichen Ressourcen investiert, man kennt sich, man vertraut einander. Mit der Entscheidung auszubilden, will sich ein Unternehmen für die Zukunft absichern und angesichts eines leer gefegten Arbeitsmarkts eigenen Fachkräftenachwuchs heranziehen. Nur bei sehr schwerwiegenden Differenzen wird daher ein Betrieb diese Partnerschaft aufgeben.

„Jeder einzelne Azubi ist für sie eine lohnende Investition“

Haben die „Not“-Prüfungen beziehungsweise „Corona“-Abschlüsse an den Schulen (Mittel-, Realschule, Gymnasium) aufgrund der Corona-Pandemie Auswirkungen bei den Einstellungen von Azubis in diesem Jahr? Werden die Abschlusszeugnisse der SchülerInnen eine „Corona-Makel“ haben?

Auch in diesem Jahr wird sich die Qualität der Prüfungen nicht von der der Prüfungen in den Vorjahren unterscheiden. Viele Betriebe werden auch heuer händeringend nach Azubis suchen. Zur Erinnerung: 1200 Lehrstellen konnten 2020 in München nicht besetzt werden! Wie auch in den Jahren vor Corona muss bei einer Bewerbung immer das Gesamtpaket passen. Der Mensch, der hinter der Bewerbung steht, ist das Entscheidende und wiegt deutlich mehr als das Tüpfelchen aufs I. Die Bewerbungsunterlagen einschließlich der Zeugnisse werden deshalb immer auch ein persönliches Gespräch mit einem Vertreter des Ausbildungsbetriebs ergänzen. Entweder vor Ort im Betrieb oder gegebenenfalls über eine virtuelle Plattform. Auf dieses Gespräch gilt es, sich optimal vorzubereiten. Auch wenn in vielen Betrieben die Bewältigung der Coronakrise noch lange den Alltag beherrschen wird, wissen Unternehmerinnen und Unternehmer sehr genau, dass sie sich nur mit eigenem Fachkräftenachwuchs gut für die Zukunft aufstellen können. Jeder einzelne Azubi ist für sie eine lohnende Investition.

„Werdet selbst aktiv“

Praktika zu machen ist aktuell kaum möglich und auch die Berufsorientierung in den Schulen kann nicht stattfinden. Das macht die ohnehin meist nicht einfache Berufswahl gerade noch schwieriger. Wie lautet diesbezüglich ihr Rat an die Jugendlichen?

Wichtig ist es, selbst aktiv zu werden und die Initiative zu ergreifen. Wenn euch ein Betrieb oder ein Ausbildungsangebot neugierig macht, dann traut euch, fragt im Betrieb nach, nehmt Kontakt mit der Personalabteilung oder dem Ausbildungsverantwortlichen auf und sucht den Austausch! Zwar können Ausbildungsmessen, Berufsinfotage oder auch die wichtigen Schnupperpraktika nicht stattfinden, aber es gibt einige digitale Angebote zur Berufsorientierung, vor allem der Arbeitsagentur und der Landeshauptstadt. Große Unternehmen bieten häufig auch Videos auf ihren Karriereportalen an, in denen gezeigt wird, wie die Ausbildung in einem bestimmten Beruf abläuft, was der Azubi lernt, wie sein Alltag aussieht.

Wie Ausbildung funktioniert, darüber berichten auch noch bis zum Sommer die bayerischen IHK-Ausbildungsscouts in zahlreichen Webinaren. Die Scouts sind Azubis im zweiten oder dritten Ausbildungsjahr, die direkt aus ihrem Betrieb über ihre Ausbildung und ihren Beruf berichten. Normalerweise gehen sie in die Schulklassen, jetzt trifft man sie eben via Internet. Ihnen kann man während des Webinars über den Chat auch Fragen stellen. Alle Webinare sind auf https://ausbildungsscouts.bihk.de/ unter Termine abrufbar.

Ein Anfang ist gemacht“

Wenn wir einen Blick in die Zukunft wagen: Was stimmt Sie optimistisch, dass Ihre Betriebe – und mit ihnen die Azubis – trotz der Pandemie positiv in die Zukunft schauen können?

Die Infektionszahlen sinken! Wenn alle weiterhin konsequent die auferlegten Maßnahmen zum Infektionsschutz umsetzen und diese im Alltag berücksichtigen, egal ob im privaten, schulischen oder beruflichen Bereich, dann werden sie weiter sinken. Darüber hinaus kommen wir in Bayern auch mit den Impfungen voran, zwar in kleinen Schritten, aber ein Anfang ist gemacht.


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