"Auch immer mehr junge Menschen sind gefährdet"
Hörgeräte-Industrie bietet breite Palette zusätzlicher Funktionen

Dr. Stefan Zimmer, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Hörgeräte-Industrie. (Foto: BVHI)
Am 13. Mai findet zum fünften Mal in Folge der "Tag des Hörens" statt. Ziel des Aktionstags ist die Sensibilisierung der Gesellschaft für das Thema Hören. Dr. Stefan Zimmer, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Hörgeräte-Industrie, beantwortet Fragen zu Hörgeräten und zum Hören.
Bundesgesetz legt Standards fest
Gerade beim ersten Hörgerät haben Patienten oft Probleme bei der Anpassung. Woran erkennt man einen guten Hörgeräteakustiker?
Stefan Zimmer: Eine Qualitätskontrolle ist bei den Hörgeräteakustikern als Handwerksberuf mehrfach vorgesehen. Nicht jeder, der gerne mit Hörsystemen arbeitet, kann einfach ein Akustikergeschäft eröffnen. Die Handwerksordnung, ein Bundesgesetz, definiert hier genaue Qualitätsstandards (wie den Meisterbrief). Die Bundesinnung der Hörgeräteakustiker und die Fachverbände bieten ihren Mitgliedern darüber hinaus Fort- und Weiterbildungen an, um stets auf dem Laufenden zu bleiben. Außerdem schulen die Hersteller die Akustiker regelmäßig im Bezug auf Produktneuheiten.
Unauffällig im Brillenbügel
Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen für Hörgeräte Festbeträge. Welche Eigenleistungen sind daneben sinnvoll?
Stefan Zimmer: Das kommt ganz auf den individuellen Bedarf an, beispielsweise auf das individuelle Hörverhalten, und sollte ausführlich mit dem Hörgeräteakustiker besprochen werden. Das Spektrum des möglichen Zusatznutzens, den ein modernes Hörsystem stiften kann, ist groß und reicht von A wie Autophonie (der automatischen Aktivierung des Telefonprogramms) über I wie Impulsschall-Unterdrückung, N wie Nano-Coating bis W wie Wireless-Anbindung, um nur vier mögliche Zusatzfunktionen zu nennen. Für Brillenträger gibt es übrigens die äußerst attraktive Option, sich das Hörgerät individuell und unauffällig in den Brillenbügel integrieren zu lassen.
Wieviel Prozent der Hörgeräteträger kommen mit einem Festbetragshörgerät aus?
Stefan Zimmer: Zwei aktuelle Befragungen zu diesem Thema legen nahe, dass über die Hälfte der Hörgeräteträger zusätzliche Leistungen in Anspruch nehmen.
Hörscreening ab dem 50. Lebensjahr
Immer häufiger sind junge Menschen von Schwerhörigkeit betroffen. Im Schnitt gehen Patienten zehn Jahre zu spät erstmals zum HNO-Arzt. Was raten Sie zur Vorsorge?
Stefan Zimmer: Gemeinsam mit den HNO-Ärzten streben wir ein gesetzliches Hörscreening ab dem 50. Lebensjahr an. Sofern nicht schon früher Probleme mit dem Gehör auftreten, sollte man spätestens dann einen Hörtest machen. Bleibt eine Hörminderung unentdeckt, möglicherweise sogar über Jahre, ist das Gehirn so stark mit deren Ausgleich beschäftigt, dass es andere wichtige Funktionen nicht mehr ausreichend wahrnehmen kann. Dann wächst das Risiko von Folgeerkrankungen. Umgekehrt ist erwiesen, dass hörgeminderte Menschen, die ein Hörsystem tragen, eine höhere kognitive Leistungsfähigkeit aufweisen, ein geringeres Depressions- und Demenzrisiko haben und allgemein eine höhere Lebensqualität besitzen. Gerade ältere Menschen, bei denen die häufigste Unfallursache Stürze sind, sollten ihre Hörminderung durch Hörgeräte ausgleichen. Denn deren Träger haben einen besseren Gleichgewichtssinn und ein geringeres Sturzrisiko.
Aber auch immer mehr junge Menschen sind gefährdet: Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass etwa jeder zweite junge Mensch in den Industrieländern über MP3-Player oder das Handy zu laut Musik hört und so sein Gehör schädigt. Der behutsame Umgang mit Lärm sowie Hörtests sind daher die beste Vorsorge. Am besten so früh wie möglich.
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