"Wir wollen der FC Bayern im Singen sein"
Christian Fliegner und Clemens Haudum sind die Künstlerischen Leiter des Tölzer Knabenchores
Sie stehen für den Generationenwechsel im Tölzer Knabenchor und sind der Institution gleichzeitig seit langem verbunden: Die Stimmbildner und Chorleiter Christian Fliegner und Dr. Clemens Haudum haben im September 2014 gemeinsam die Künstlerische Leitung des weltbekannten Chores übernommen und damit die Nachfolge des Gründers und langjährigen Chordirektors Prof. Gerhard Schmidt-Gaden angetreten. Kein leichtes Erbe – gilt es doch, die Tradition des Chores zu bewahren, den typischen "Tölzer Klang" zu sichern und dies mit veränderten Lebensgewohnheiten und einem noch engeren Zeitfenster der Kinder in Einklang zu bringen.
In wenig Zeit viel erreichen
Eine gewisse Lockerheit und Unverkrampftheit ist so einer Aufgabe sicherlich nicht abträglich, und die vermittelt das Tandem an der Spitze nicht nur im Gespräch, sondern auch in den Chorproben. "Je besser der menschliche Kontakt ist, desto mehr kann man in den wenigen Stunden erreichen, die wir zur Verfügung haben", erklären Fliegner und Haudum übereinstimmend. Die "Nürnberger-Trichter-Methode" (eine rein mechanische Weise des Lehrens und Lernens, Anm. d. Red.) sei da nicht zuträglich.
Die Chorleiter setzen stattdessen auf eigenverantwortliches Lernen und Vor- und Nachbereitung des musikalischen Stoffes. Bei zweimal zwei Stunden Chorprobe und einer Solostunde in der Woche könnten nur durch effektive Arbeit und konzentrierte Herangehensweise solche Erfolge erzielt werden, wie sie der Tölzer Knabenchor vorweisen kann, stellt Christian Fliegner fest. Und Clemens Haudum fügt hinzu: "Es ist eine Gratwanderung zwischen Leistung und Motivation." Und irgendwann müsse die Motivation vom Kind kommen.
In die Wiege gelegt
Dem gebürtigen Linzer war die Motivation, Musik zu machen und zu singen, schon in die Wiege gelegt worden. Seine Großmutter komponierte Lieder, er selbst fing mit fünf Jahren an, Akkordeon zu spielen, sang im Schulchor und trat schon früh mit der Großmutter auf. "Für mich war immer klar, dass ich was mit Musik mache", sagt er. Clemens Haudum studierte Latein fürs Lehramt und Musikerziehung mit Zusatz Chorleitung und Gregorianik am Salzburger Mozarteum, gab ein zweijähriges Gastspiel als Lateinlehrer an einem Gymnasium, arbeitete zeitweise als Realschullehrer und war musikalischer Mitarbeiter bei den Kinder- und Jugendchören am Salzburger Dom. Daneben war er als Musiker und Sänger in Ensembles und als Solist aktiv und leitete verschiedene gemischte Chöre.
2006 schlug ihm ein Bekannter vor, der damals selbst beim Tölzer Knabenchor gearbeitet hatte, sich doch dort vorzustellen – Clemens Haudum machte es und fing als Stimmbildner und Chorleiter an. Sein Fachwissen und seine breite Ausbildung am Mozarteum überzeugten. "Beim Tölzer Knabenchor muss man universell einsetzbar sein und alles auf einmal können – singen, dirigieren, begleiten und Stimme bilden", konstatiert er. Schon nach einem halben Jahr dirigierte er sein erstes Kurkonzert in Bad Tölz.
Einmal Tölzer - immer Tölzer
Während Clemens Haudum "erst" vor zwölf Jahren mit 28 Lenzen Teil der Tölzer wurde, ist Christian Fliegner sozusagen ganz und gar ein Kind des Chores. Mit sechs Jahren wurde er 1982 ein Tölzer Sängerknabe – und seither ist der Chor ein Schwerpunkt in seinem Leben. Zwar habe er ganz am Anfang im Chor 4 ein paarmal das Handtuch werfen wollen, weil seine Freunde viel mehr Freizeit hatten, doch dann habe es ihn gepackt, erzählt er. "Ich wollte ein toller Solist werden." Die Ausbildungsstufen 3 und 2 hat Christian Fliegner in jeweils nur einem halben Jahr durchlaufen und schon mit achteinhalb Jahren sang er im Chor 1, dem Konzertchor. In seiner ersten Zauberflöte trat er im Alter von neun Jahren und drei Wochen auf. "Weltrekord", wie ihm Prof. Schmidt-Gaden damals bestätigte. Er wurde zu einem der international gefragtesten Knabensolisten seiner Zeit und sang unter bedeutenden Dirigenten wie Herbert von Karajan und Sir Simon Rattle.
Nach seiner Mittleren Reife erhielt Christian Fliegner eine Privatausbildung bei Gerhard Schmidt-Gaden. "Speziell die Knabenstimmbildung hat mich interessiert", berichtet er. Bereits mit 16 Jahren übernahm er die Chorleitung für die Jüngsten bei den Tölzern, den Chor 4. Auch seine eigene künstlerische Ausbildung verfolgte er weiter. Engagements als Tenor – u.a. bei den Salzburger Festspielen – ließen nicht auf sich warten. "Irgendwann musste ich mich entscheiden – entweder der Chor oder eine Karriere als Sänger", fasst Christian Fliegner zusammen. Die Liebe zum Chor und der Wunsch, den Kindern die tolle Musik zu vermitteln, erwiesen sich als stärker. "Es ist hier anders, als wenn in einem gemischten Chor ein paar Liedchen geträllert werden", betont er.
Der "Tölzer Klang"
Wenn die Künstlerischen Leiter des Tölzer Knabenchores erklären müssen, was den typischen "Tölzer Klang" ausmacht, so kommen sie auf die Art und Weise der Stimmbildung zu sprechen. Bei anderen Chören ist nur der Gesamtklang wichtig, bei uns ist es jede einzelne Stimme", erläutert Clemens Haudum. "Die Stimmen klingen nicht nur homogen, sondern auch voller." Und Christian Fliegner ergänzt: "Kein anderer Chor hat so viel Einzelunterricht." In ihm könne man Probleme beseitigen, ohne die einzelne Stimmfärbung zu zerstören. "Die Stimmen sind so ausgebildet, dass sie den gleichen Standard, die gleiche Qualität und die gleiche Technik aufweisen. Wir wollen der FC Bayern im Singen sein."
Seit vielen Jahren leitet Clemens Haudum den Ausbildungschor 3, Christian Fliegner ist für den Chor 2 zuständig. Als die Künstlerischen Leiter gilt ihr Hauptaugenmerk jedoch dem Konzertchor, dem Chor 1. Sie begleiten ihn auf fast allen Chorreisen. Der eine singt vor den Auftritten den Chor ein, der andere kümmert sich um die Solisten. Das Einsingen dauere oft eine dreiviertel Stunde. Es sei sehr wichtig zum Zusammenbringen der Stimmen, sozusagen das A und O, betonen sie und fügen hinzu: "Da ist es gut, wenn man sich aufeinander verlassen kann. Wir verstehen uns blind."
Viele schöne Momente
Eine 40-Stunden-Woche gehört bei den vielen Auftritten und Chorreisen nicht wirklich zum Berufsbild der beiden Chorleiter. Dafür aber werden sie, wie sie sagen, "durch viele schöne Momente entschädigt". Und überhaupt sei es ja die Freude und Leidenschaft am Singen, die sowohl die Lehrer als auch die Schüler im Tölzer Knabenchor antreibe.
In diesem Jahr stehen noch einige große Projekte an, wie eine China-Tour am Ende der Sommerferien, im November das Magnificat in Lausanne und im Dezember die Aufführung der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach in Shanghai und Paris. Und 2019 sind Gastspiele mit der Komischen Oper Berlin mit Mozarts "Die Zauberflöte" in Neuseeland, Australien und New York geplant. "Da wird uns bestimmt nicht langweilig."
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