"Wir müssen hier grundsätzlich umdenken"
MdL Michael Piazolo sieht ein grenzenloses Wachstum und eine immer dichtere Bebauung skeptisch
In München fehlen Wohnungen. Zugleich fürchten die Bürger, durch Neubauten und Nachverdichtung an Lebensqualität zu verlierern. Wie will MdL Michael Piazolo (Freie Wähler) Konflikte lösen und die Weichen stellen? Johannes Beetz sprach mit ihm darüber.
"Es muss auch die Infrastruktur angepasst werden"
Wenn neue Wohnungen gebaut werden, führt das meist zu Konflikten und großen Ängsten bei Nachbarn. Wie lösen wir diese Konflikte, die im Zuge der nötigen Nachverdichtung entstehen? Oder besser: Wie vermeiden wir sie?
Michael Piazolo: Konflikte und Ängste könnten aus meiner Sicht nur mit deutlich mehr echter Bürger- und Anwohnerbeteiligung und vor allem mit mehr Transparenz vermieden und abgemildert werden. Derzeit werden die Menschen oft viel zu spät und nur unzureichend eingebunden, das muss sich ändern. Zugleich bin ich kein Unterstützer der bedingungslosen und oft nicht durchdachten Nachverdichtung. Mir liegt am Herzen, dass München sein einzigartiges Flair behält und lebenswert für alle bleibt.
Einfach nur mehr Wohnungen zu bauen, schafft Probleme in anderen Bereichen. Angefangen von der Verkehrszunahme stellen sich auch die Fragen nach der Leistungsfähigkeit des ÖPNV, nach Nahversorgungsmöglichkeiten, der Schul- und KiTaplätze und der Gesundheitsversorgung vor Ort. Wo gebaut wird, muss auch die Infrastruktur angepasst werden, das passiert in München leider zu selten. Problematisch ist auch, dass neue Wohnungen in München meist eine Erhöhung der Mieten im Umfeld bedeuten. Hier müssten wir die Zusammensetzung des Mietspiegels verändern und auch Bestandsmieten mit aufnehmen, damit im Umfeld von neuen Wohnungen günstiger Wohnraum erhalten bleibt. Ich fände es zudem sinnvoll, wenn die Stadt die Erhaltungssatzungsgebiete ausweiten und auch mehr Bebauungspläne aufstellen würde. München gehört in Zukunft vernünftig geplant, mit Herz und Verstand.
"Ich bin da auch skeptisch"
In München fehlen bebaubare Flächen. In die Höhe zu bauen, sehen viele Bürger indes skeptisch. Sehen Sie einen Ausweg?
Michael Piazolo: Ich bin da auch skeptisch und daher gegen das Mantra des grenzenlosen Wachstums und eine immer dichtere und höhere Bebauung in München. Wir müssen hier grundsätzlich umdenken und Hand in Hand mit dem Münchner Umland und auch dem Rest Bayerns eine Lösung finden. Für mich heißt diese, dass die Stärkung des ländlichen Raumes auch die Entlastung unserer durch den eigenen Erfolg erstickenden Stadt München bedeuten kann. Im Klartext: wir müssen München und seine Infrastruktur für die derzeit 1,6 Millionen Münchner und die vielen Pendler zuzüglich eines Puffers optimieren und attraktiv halten und gleichzeitig den ländlichen Raum in anderen Regionen Bayerns fördern. Gleichzeitig möchte ich natürlich, dass das Wohnen in München für alle Münchner bezahlbar ist. Eine maßvolle Geschosserhöhung bei drei bis viergeschossigen Häusern ist aus meiner Sicht daher auch nicht das größte Problem. Problematisch finde ich allerdings, wenn man Viertel mit einer im Schnitt niedrigen Bebauung plötzlich mit hohen Neubauten oder Aufstockungen verschandelt. Dies ist ja nicht nur eine Frage der Ästhetik sondern auch der Frischluftzufuhr, die durch eine zu hohe Bebauung abgeschnitten und verändert wird. Auch die Beschattung dürfen wir nicht unterschätzen. Wir Münchner brauchen dringend noch Licht und Luft zum Atmen.
"Ein Blick nach Wien lohnt sich"
An manchen Stellen – siehe Alte Messe – liegen Grundstücke über Jahre brach, weil sich kein Investor findet. Wie können Bauvorhaben und -planungen beschleunigt werden?
Michael Piazolo: Aus meiner Sicht dürfen wir nicht immer nur auf Investoren warten, sondern müssen Grundstücke durch die öffentliche Hand (die Stadt und das Land) selbst aufwerten, nutzen und bebauen. Auch Genossenschaften müssen bevorzugt an Grundstücke gelangen. Hier muss die Stadt mit Hilfe des Landes mehr Mut und Ausgabebereitschaft beweisen. Eigentlich hätte dieses Umdenken schon vor 20 bis 30 Jahren stattfinden müssen. Dann hätten wir mehr Grundstücke und Wohnungen in Stadtbesitz und damit auch mehr bezahlbaren Wohnraum für uns Münchner. Ein Blick nach Wien lohnt sich in diesem Fall.
"Bewahren ist eine Frage des Wollens"
Und wie bewahren wir zugleich unsere Grün- und Erholungsflächen, die in manchen Vierteln ja ohnehin nicht reichlich vorhanden sind?
Michael Piazolo: Bewahren ist eine Frage des Wollens. Wir müssen uns entscheiden, ob wir München unbegrenzt zubauen oder Grünflächen erhalten, wobei ich mich klar für Grün- und Erholungsflächen ausspreche. Die Menschen brauchen diese Naherholungsflächen. Mein Appell ist daher: Lasst uns unsere Stadt so erhalten und dazu noch verbessern, so wie wir sie lieben. Lebenswert, grün, mit frischer Luft, Freizeitflächen und bezahlbar für alle.
"Niemand an den Rand drängen!"
In München gibt es keine No-Go-Areas und keine Ghettos. Die Viertel sind bunt gemischt, was die ganze Stadtgesellschaft trägt und stabilisiert. Da haben unsere Stadtplaner in der Vergangenheit einiges besser gemacht als andere Städte. Wie können wir diesen Pluspunkt unter dem Druck des Wachstums bewahren?
Michael Piazolo: Der wirtschaftliche Erfolg, die planerische Voraussicht, die Schönheit der Stadt und das schöne Münchner Umland haben uns Münchnern wirklich einen Vorteil beschert. Wir müssen daher weiterhin aufpassen, dass wir den Charme unserer Viertel und unserer Stadt erhalten. Daher ist es auch wichtig, dass München weiterhin weitgehend gemischt bleibt. Wir müssen dafür aber investieren. Dabei denke ich vor allem an die Schulen, an Gemeinschaftseinrichtungen (Stadtteil- und Kulturzentren) und an den ÖPNV. Eine gute Bildung, unsere starke Wirtschaft und ein städtisch gefördertes Miteinander hilft, dass wir Münchner auch weiterhin zusammenhalten. Dabei dürfen wir nie unsere schwächeren Mitbürger aus dem Auge verlieren. Wir sind als Stadtgesellschaft gemeinsam dafür verantwortlich, dass niemand an den Rand gedrängt oder ausgegrenzt wird. Wir müssen verantwortlich handeln und uns kümmern!
Kandidat im Stimmkreis 103
Michael Piazolo (Freie Wähler) ist seit 2008 Landtagsabgeordneter. Am 14. Oktober wird der Landtag neu gewählt. Piazolo tritt als Direktkandidat wieder im Stimmkreis 103 Giesing an. Dazu gehören Sendling, Thalkirchen, Obersendling, Solln sowie die Hälfte von Forstenried und Fürstenried, Obergiesing-Fasanengarten und der Großteil von Untergiesing-Harlaching.
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