"Wir brauchen dieses Wachstum, um erfolgreich zu bleiben"
Landrat Christoph Göbel will noch stärkere Verflechtung der Landeshauptstadt und ihrer Nachbarn mit der Metropolregion
Die Stadt München platzt aus allen Nähten. Wohnung fehlen, der Zuzug kann allein nicht bewältigt werden. Ähnlich ist die Situation im Umland. Im Interview mit Johannes Beetz erklärte Landrat Christoph Göbel, warum dieses Wachstum nötig ist und wie man es in "gesunde" Bahnen lenken kann.
"Benötigte Fachkräfte brauchen Wohnraum"
Der Landkreis München ist bereits jetzt mit knapp 320.000 Einwohnern der bevölkerungsstärkste in Bayern. Ist es überhaupt möglich, dass er den weiteren Zuzug bewältigt?
Christoph Göbel: Das Wachstum im Landkreis – und in der gesamten Region München – ist nicht aufzuhalten. Viele Menschen sehen dies zunehmend mit Sorge. Der Wohnraum ist schon heute knapp. Geringverdiener, oft auch einheimische junge Familien und Rentner, haben kaum eine Chance, auf dem freien Markt eine bezahlbare Wohnung zu bekommen. Doch wir brauchen dieses Wachstum, um auch wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben, um den Menschen in unserer Region weiterhin ein ansprechendes Lebensumfeld bieten zu können. Und um Arbeitsplätze auch dauerhaft sicherzustellen – so widersinnig das auf den ersten Blick auch scheinen mag! Denn Arbeitsplätze werden in Wirtschaft und Dienstleistung dauerhaft nur dort angeboten, wo sich auch Fachkräfte finden.
Schon heute fehlen den Unternehmen in der Region München aber rund 37.000 dieser Fachkräfte. In weniger als 15 Jahren wird sich die Zahl auf weit mehr als 100.000 vakante Arbeitsplätze vervielfachen. Können wir für diese dringend gebrauchten Fachkräfte jedoch den nötigen Wohnraum nicht bieten, werden die Unternehmen in weiter entfernt liegende Regionen abwandern und der Raum München verliert an Attraktivität und wirtschaftlicher Prosperität. In der Folge würde die Zahl der Arbeitsplätze nicht nur nicht zunehmen, wir verlören Kapazitäten auf dem Arbeitsmarkt. Dies wäre der Beginn einer Abwärtsspirale, die es unbedingt zu vermeiden gilt – das Wachstum ist also notwendig! Politik und Gesellschaft haben die Aufgabe, Wege zu finden, es in gute Bahnen zu lenken.
"Das tun wir schon"
Wie können die Stadt München und die umliegenden Gemeinden zusammenarbeiten, um mehr Wohnraum zu schaffen?
Christoph Göbel: Das tun wir schon auf ganz verschiedenen Ebenen – zum Beispiel im Europäischen Metropolregion München e.V., im Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum und in unzähligen Facharbeitskreisen, die sich genau mit diesen Fragen wie Wohnraum, Infrastrukturentwicklung, Mobilität etc., beschäftigen, die sich rund um das zunehmende Bevölkerungswachstum ergeben. Das sind meiner Meinung nach auch die Schlüsselthemen.
"Neu aufgelegtes Förderprogramm"
Wohnraum in München ist sehr teuer und zum Beispiel Alleinerziehende, Niedriglohnempfänger und Studenten oder Auszubildende können sich oft keine Wohnung leisten. Wie kann man diesen Leuten helfen?
Christoph Göbel: Den Kommunen ist bewusst, dass sie für ausreichend günstigen und vor allem bezahlbaren Wohnraum sorgen müssen. Der Landkreis hat hierbei vor allem die Aufgabe, für das Thema zu sensibilisieren und die Kommunen – soweit möglich – fachlich zu unterstützen. Mit einem eigenen Förderprogramm versucht der Landkreis darüber hinaus auch finanzielle Anreize zu schaffen. Das 2016 neu aufgelegte Förderprogramm zur Schaffung und Erhaltung von Mietwohnraum sieht Zuschüsse von 1.350 Euro pro Quadratmeter vor – bei einer Maximalförderung von 500.000 Euro. Auch der Erwerb von Belegungsrechten oder Mehrkosten für die Herstellung von Barrierefreiheit können separat gefördert werden. Im Gegenzug erhält das Landratsamt ein Belegungsrecht für 15 Jahre.
"Sorgen um den Wert ihres Wohnumfeldes"
Durch den Neubau von Wohnungen gehen in den Gemeinden Freiflächen verloren, weswegen sich viele Bewohner dagegen wehren. Wie kann man diesen Konflikt regeln?
Christoph Göbel: Das stimmt. Neben den Freiflächen machen sich die Menschen aber auch Sorgen um den Wert ihrer Immobilien und um den – nicht nur den materiellen – Wert ihres gesamten Wohnumfeldes. Die Kommunen müssen daher ihre Planungshoheit mit größtmöglicher Sensibilität ausüben. Gute Ideen bezüglich neuer Wohnformen sind gefragt. Es geht dabei um Themen wie die Gestaltung des Wohnens im Alter, das Wohnen mehrerer Generationen unter einem Dach, eine weitere, sensible wie innovative Nachverdichtung, etwa die Schaffung von neuem Wohnraum auf Flachdächern. Wichtig ist aber auch, das Gemeindeleben aktiv zu halten, die notwendigen Infrastruktureinrichtungen zu schaffen etc. Da sind die Kommunen genauso gefordert wie bei der Schaffung neuen Wohnraums selbst.
"Vielen bleibt kaum mehr etwas zum Leben"
Sie sagten einmal, dass Sie durch den Mangel an bezahlbarem Wohnraum eine „noch weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich“ befürchten. Wie macht sich das bemerkbar? Was können Sie dagegen unternehmen?
Christoph Göbel: Sehen Sie sich die neuen Bodenrichtwerte an! In einigen Bereichen haben wir die 2.000-Euro-Marke hier bereits überschritten. Das kann sich auch eine Familie mit zwei halbwegs guten Einkommen nicht leisten. Mit den Mieten sieht es ähnlich aus. Vielen bleibt kaum mehr etwas zum Leben. Die Tafeln bekommen einen immer größeren Zulauf usw., da gibt es viele Indikatoren. Der Landkreis zahlt einen erhöhten regionalen Sozialhilferegelsatz; gerade haben wir hier wieder eine Anpassung vorgenommen. Darüber hinaus ist der Landkreis München an der Baugesellschaft München Land (BML) beteiligt, die sich insbesondere die soziale Wohnraumversorgung zur Aufgabe gemacht hat. Im vergangenen Jahr hat der Landkreis zudem eine Wohnbaukonferenz veranstaltet, um die Kommunen und Projektträger genau für diese Themen zu sensibilisieren.
Ein wenig Hoffnung macht zudem ein Blick in die Schweiz, die dem deutschen Markt häufig um einige Jahre voraus ist. Hier zeichnen sich sinkende Mietpreise und ganz allgemein eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt auch in den großen Städten ab, nachdem es in den vergangenen Jahren einen regelrechten Bauboom gegeben hat.
"Kommen nicht so gut voran wie wir müssten"
Welche Möglichkeiten gibt es, um möglichst schnell bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Wie werden diese Möglichkeiten momentan genutzt?
Christoph Göbel: Mit der BML haben die Landkreiskommunen einen kompetenten Partner in Sachen bezahlbarer Wohnungsbau an der Hand. Auch der Freistaat bemüht sich durch entsprechende Förderprogramme, den Wohnungsbau anzukurbeln. Dennoch kommen wir längst nicht so gut voran wie wir müssten.
Der Landkreis München hat aber beispielsweise bei der Schaffung von Wohnraum für Asylsuchende darauf geachtet, dass die Projekte, wo immer möglich, längerfristig ausgelegt sind und im Laufe der Zeit nicht nur anerkannten Asylbewerbern, sondern auch Einheimischen zur Verfügung gestellt werden können.
"Darin liegt der der Schlüssel"
Neue Wohnviertel brauchen eine entsprechende Infrastruktur und verkehrliche Anbindung. Welche Projekte sind hier in Ihren Augen vordringlich?
Christoph Göbel: Der Landkreis München arbeitet, zum Teil im engen Schulterschluss mit der Stadt und den angrenzenden Landkreisen, intensiv daran, insbesondere den öffentlichen Personennahverkehr leistungsfähiger zu machen und weiter auszubauen. Wir arbeiten an der Verwirklichung von „Radlautobahnen“, an einem Leihradsystem u.v.m. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat jedoch weit mehr Bedeutung als allein neue Wohngebiete anzuschließen. Für mich liegt darin der Schlüssel zur Bewältigung des Wachstums unserer Region an sich.
Wir brauchen eine noch stärkere Verflechtung der Landeshauptstadt und der umliegenden, stadtnahen Kommunen mit der übrigen Metropolregion. Wohnen, Leben und Arbeiten in unserer Region müssen attraktiver miteinander verbunden werden, auch wenn sie weiter entfernt voneinander organisiert sind. Nur so können wir die infrastrukturellen Herausforderungen, die das anhaltende Wachstum mit sich bringt, in erfolgreiche Bahnen lenken. Wir werden also sicher weiter wachsen, müssen dabei aber darauf achten, dass wir eine „gesunde“ Entwicklung vollziehen. Dann werden wir auf Erfolgskurs bleiben.
"Neue Formen zusammenbringen"
Bald wird der nächste Bundestag gewählt. Was erwarten oder erhoffen Sie sich vom Bund an Unterstützung bei der Bewältigung des Wohnproblems?
Christoph Göbel: Ich erwarte mir vor allem deutliche Anreize im Steuerrecht, um bei der Akquise und Schaffung von Bauland bessere Erfolge zu erzielen – auch mit Blick auf die Stärkung der Investition jedes Einzelnen ins Eigenheim. Notwendig ist außerdem die stärkere Förderung insbesondere innovativer Verkehrsprojekte ebenso wie von Projekten im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Nur wenn wir neue Formen von Arbeit, Mobilität und Wohnen sinnvoll nutzen und zusammenbringen, werden wir speziell in den Ballungsräumen die großen Herausforderungen erfolgreich bewältigen.
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH