Willkommen im Label-Dschungel
Die Masche mit der Nachhaltigkeit
Wer kennt das nicht? Man telefoniert gerade, kocht oder bereitet sich anderweitig auf einen ruhigen Abend vor, als es unverhofft an der Tür klingelt. Arglos öffnet man die Haustür und blickt erwartungsvoll die Stufen hinab. Und dann ist er da! Er redet schnell, er ist freundlich und er ist hier, um uns endlich aus unserer misslichen Lage zu erlösen, von der wir bis eben noch nichts wussten: der Vertreter.
Wir kennen dieses Vorgehen von religiösen Gruppierungen, Staubsauger- und auch Mobilfunkvertretern. Neu ist jedoch, dass jetzt auch Stromanbieter versuchen, Kunden an der Haustüre zu werben. Interessant wird es, wenn potenzielle Kunden mittels Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein beim Gewissen gepackt werden. Manch einer wird nach einem solchen Erlebnis seinem Umweltbewusstsein vielleicht frustriert den Rücken zuwenden. Doch das ist gar nicht nötig, denn so undurchsichtig ist der Markt nicht.
Die Münchner Wochenanzeiger haben Experten der Stiftung Warentest und des Verbrauchermagazins Öko-Test zu diesem Thema befragt und Informationen zusammengestellt, die bei der Orientierung im Anbieter-Urwald helfen können.
Woran erkennt der Verbraucher seriöse Stromanbieter und was genau ist Ökostrom?
Die Münchner Wochenanzeiger haben den Experten folgendes Szenario beschrieben:
Es klingelt an der Türe. Der junge Vertreter eines Stromanbieters XY blickt Ihnen lächelnd entgegen. Sein Unternehmen habe die durchschnittlichen Strompreise in Ihrem Gebiet untersucht und festgestellt, dass hier aufgrund von Nachtspeicheröfen, Durchlauferhitzer, etc. die regulären Preise viel zu teuer seien. Man habe Sie jahrelang übervorteilt, doch sein Anbieter habe genau das passende Paket; und alles Ökostrom! Er möchte von Ihnen die Stromzählernummer erfahren, um eine Kostenerrechnung zu erstellen. Gleichzeitig solle man ein Schriftstück unterschreiben. Dies sei allerdings noch kein Auftrag. Diesen erhielten Sie nach zwei Wochen, inklusive der Kostenerrechnung. Erst dann beginne die Kündigungsfrist von zwei Wochen.
Wie sollte sich der Verbraucher in einer solchen Situation verhalten?
Stiftung Warentest: Der Verbraucher sollte sich auf keinen Fall überrumpeln und zum Vertragsabschluss drängen lassen. Er sollte nichts unterschreiben und auf keinen Fall seine Stromzählernummer nennen. Am besten er lässt sich Unterlagen zum Preis und den Vertragsbedingungen des angebotenen Tarifs geben. Dann kann er später in Ruhe das Angebot mit anderen am Markt vergleichen. Oft möchten aber die Verkäufer an der Haustür genau das vermeiden und locken damit, dass das angeblich günstige Angebot morgen nicht mehr verfügbar sei. Sollte der Kunde solche Argumente hören und mit künstlichem Zeitdruck beeinflusst werden, sollte er gleich Abstand von dem Angebot nehmen. Denn oft ist dies genau die Masche von unseriösen Anbietern.
Der Tarif sollte eine Preisgarantie haben, die genauso lang wie die Erstvertragslaufzeit ist. Sie umfasst zwar häufig nicht alle Steuern und Abgaben, dennoch kann der Kunde sich sicher sein, dass der Teil des Strompreises, den der Anbieter beeinflussen kann, sich nicht erhöht. Eine kurze Kündigungsfrist zwischen 4 und 6 Wochen sollte gegeben sein. Außerdem muss der Kunde genau hinsehen, wenn der Tarif einen Bonus für Neukunden zahlt. Er verbilligt den Preis vor allem im ersten Vertragsjahr. Im zweiten kann es vorkommen, dass der Tarif teurer wird, als der Tarif, aus dem der Kunde einst gewechselt ist. Kunden sollten deswegen bei Bonus-Tarifen unbedingt nach einem Jahr wieder wechseln, ansonsten ist ein Bonus-Tarif für sie ungeeignet.
Verbrauchermagazin Öko-Test: Der Fall hat zunächst einmal gar nichts mit „Ökostrom“ zu tun, solches Vertreterverhalten kennt man ja auch von Werbern für Abos oder Vitaminpillen. Hände weg von solchen Haustürgeschäften, bei denen wollen meist Drückerkolonnen Verbraucher überrumpeln. Seriöse Anbieter gehen so nicht vor. Um einen Preisvergleich für Stromtarife anzustellen, braucht man keine Zählernummer und auch keine Unterschrift vorab. Das klingt nach Betrugsversuch, bei dem man mit den angeblich notwendigen Angaben potenzielle Kunden ohne deren Zustimmung bei einem neuen Anbieter anmeldet, um Provisionen zu kassieren. Man kann die Strompreise ganz einfach selbst vergleichen. Dafür reicht allein die Höhe des bisherigen Jahresverbrauchs in Kilowattstunden (kWh). Mit dieser Angabe kann man selber bei Vergleichsportalen im Internet mit wenigen Klicks die Angebote prüfen. Praktisch jeder Anbieter hat zudem heutzutage auf seiner Homepage einen Kostenrechner oder kann am Telefon seinen Preis für die Höhe des bisherigen Stromverbrauch nennen. Wie gesagt: alles ohne Zählernummer oder Unterschrift.
Man kann sich aber wehren?
Verbrauchermagazin Öko-Test: Wenn man sich auf ein dubioses Haustürgeschäft eingelassen hat: sofort widerrufen. Sie haben dafür nach Unterschrift 14 Tage Zeit und das ohne Angabe von Gründen. Das gilt, wenn Sie ordnungsgemäß in Textform über Ihr Widerrufsrecht informiert worden sind. Wurden Sie nicht ordnungsgemäß informiert, erlischt die Frist aber spätestens nach einem Jahr und 14 Tagen. Sie können sich natürlich zusätzlich bei der Verbraucherzentrale beraten lassen.
Unser Tipp: Tarifangebote mit einem eingebundenen Bonus verschleiern beim Vergleich den wirklichen Preis. Das Angebot erscheint dann preiswert. Nach einem bestimmten Zeitraum, zum Beispiel einem Jahr, entfällt dann der Bonus, und der Tarif wird oft unverhältnismäßig teuer. Deshalb Bonuszahlungen in den Voreinstellungen der Vergleichsportale ausklicken. Außerdem gilt: Vorauszahlungen für einen bestimmten Zeitraum meiden! Geht der Versorger Pleite, ist zumindest ein großer Teil des Geldes verloren.
Was genau ist Ökostrom?
Verbrauchermagazin Öko-Test: Anders als bei Bio-Lebensmitteln gibt es auf dem Ökostrom-Markt kein staatliches Label mit verbindlichen Kriterien. Untersuchungen haben ergeben: Jeder vierte Stromversorger erweckt ganz legal den Eindruck, er beschaffe für seine Kunden mehr Grünstrom, als er es wirklich tut. Dabei erfüllen sie oft gerade mal die laxen Anforderungen des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG). Kritiker halt das für ähnliche Schummelei wie bei den Abgaswerten für Dieselautos. Verbraucherverbände und auch Öko-Test meinen, Ökostrom dürfte sich eigentlich nur der Strom nennen, der mehr für Umweltschutz und Energiewende tut. Er sollte deshalb aus neueren Anlagen stammen. Oder ein Teil des Strompreises sollte in den Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung investiert werden. Das kann der Verbraucher aber nur nachvollziehen, wenn die Versorger es mit verlässlichen Labeln nachweisen. Häufig werben Anbieter mit Labeln und Auszeichnungen, die erst einmal bedeutsam erscheinen wie z.B. Verbrauchertests.
Was ist von diesen Labeln zu halten?
Verbrauchermagazin Öko-Test: Manche Ökostrom-Label erscheinen eher wie Etikettenschwindel. Die kann jeder Anbieter für sich selbst kreieren. Die Verbraucherzentrale Niedersachsen hat zum Beispiel zwölf Label untersucht und nur zwei davon für empfehlenswert gehalten. Das waren das Grüner-Strom-Label und das OK-Power-Label. Sie garantieren, dass ein so gekennzeichneter Tarif wirklich besser ist als der Durchschnitt. Öko-Test untersucht in einem eigenen Test darüber hinaus, welche dieser Anbieter nicht doch noch in anderen Tarifen mit grauem Strom aus Kohle oder Atom auf dem Markt ist. Solche Anbieter wertet Öko-Test dann ab. Neu auf dem Markt der Label ist das Zertifikat „Energiewendeunternehmen“ des TÜV Süd. Das bewertet allerdings weniger den einzelnen Tarif, sondern wie der Name schon sagt, die gesamte ökologische Ausrichtung des Unternehmens. Am besten wäre natürlich ein einheitliches staatlich definiertes Label mit anspruchsvollen Kriterien.
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