"Wer Sport treibt, geht nicht schlägern"
Diskussion mit Ali Yalpi über Möglichkeiten und Chancen des Jugendfußballs in München
Rund 991.000 sporttreibende Bürgerinnen und Bürger und zirka 961 Sportanbieter gab es gemäß der Jahresdokumentation des Referates für Bildung und Sport im Jahr 2011 in München. Auf Platz 2 der zehn beliebtesten Sportarten in der Stadt steht hinter Berg- und Wandersport der Fußball mit 35.402 aktiven Mitgliedern und 169 Vereinen. Und gerade in der Jugendarbeit sind die Münchner Fußballvereine sehr engagiert, doch nicht immer läuft alles ohne Probleme ab: ein Trainerstab nur aus Ehrenamtlichen, die Freizeit und Familienurlaub opfern, um die Jungen und Mädchen zu trainieren, leere Vereinskassen und lange ausstehende Forderungen, zu kleine Trainingsplätze und Konkurrenzkämpfe mit benachbarten Vereinen. Nachgewiesen ist aber gleichzeitig auch, wie positiv sich das Fußballspielen auf Gesundheit und Psyche der Kinder und Jugendlichen auswirkt. Studien des Deutschen Forums für Kriminalprävention (DFK) zeigen, dass gerade auch das aktive Sporteln im Verein Kriminalität bei Kindern und Jugendlichen vorbeugen kann.
Doch wie qualitativ hochwertig ist die Jugendarbeit in den Vereinen tatsächlich? Was können diese tun, um ihre Forderungen gegenüber der Stadtverwaltung und der Politik noch besser durchzusetzen? Und welche Rolle spielt eigentlich der Begriff „Integration“ im alltäglichen Vereinsleben? Zu diesen spannenden Fragen diskutierten im Rahmen der Werbe-Spiegel-Reihe „Sommergespräche im Hirschgarten“ interessierte Leserinnen und Leser mit Ali Yalpi, Konfliktmanager beim Bayerischen Fußball-Verband (BFV) und Leiter pädagogischer Kurse für Jugendtrainer und –trainerinnen. Im Mittelpunkt des Gesprächs stand die Frage: „Jugendarbeit im Fußballverein – Quantität vor Qualität?“
Sind die Jugendtrainer ausreichend qualifiziert?
In Bezug auf die Jugendarbeit in den Fußballvereinen scheint es vor allem ein großes Problem zu geben: „Im Durchschnitt sind über 50 Prozent der Jugendtrainer und Betreuer in Münchner Fußballvereinen und anderswo für diesen Job eigentlich gar nicht qualifiziert, haben also beispielweise keinen Trainerschein“, betonte Ali Yalpi zu Beginn des Gesprächs. Ob ein Trainerschein allerdings ein ausreichendes Kriterium sei, um die Qualifikation der Betreuer nachzuweisen, diese Frage stellte Nicole Hahn vom SV Allach 1949: „ Ich habe auch schon ausgebildete Trainer erlebt, die aber menschlich ganz und gar nicht in Ordnung waren und überhaupt nicht mit den Kindern und Jugendlichen umgehen konnten.“ Auch Yalpi bestätigte, dass dies ein großes Problem des bestehenden Systems sei: Pädagogische oder soziale Kenntnisse würden den Trainern auch in den ausgewiesenen Lehrgängen kaum vermittelt. Um diese Lücke zu schließen, gebe es aber beispielsweise spezielle Schulungsangebote des BFV für Trainer: So etwa den Kurs „Fit für Kids“, der auch allgemeine Anforderungen an den Betreuer im Umgang mit Kindern thematisiere.
Für die meisten Vereine scheint es jedoch ein Problem zu sein, die oft ehrenamtlichen Trainer, die sowieso bereits ihre gesamte Freizeit für die Jugendmannschaft opfern, noch zur Teilnahme an zusätzlichen Angeboten und Fortbildungen zu überreden: „Das ist für einen kleinen Verein wie unseren einfach nicht zu stemmen“, meinte Hans Störzl, Vorstand im SV Allach 1949. „Es ist sowieso schon viel verlangt von einem Vater, sich zweimal in der Woche frei zu nehmen für Training und Spiele, geschweige denn noch mehrere Wochen für den Trainerschein anzuhängen“, erklärte Michael Franke, erster Vorsitzender der FT Gern. Zwar sei ihm die Situation der Vereine bewusst und er wolle daher die ungelernten Trainer auch nicht verteufeln, aber man müsse doch von Zeit zu Zeit auch auf die Probleme aufmerksam machen, entgegnete Yalpi.
Lohnt sich die Kooperation mit der Schule?
Der Konfliktmanager empfiehlt den Vereinen darüber hinaus, auch noch stärker mit anderen Organisationen, wie beispielsweise den Schulen, zu kooperieren. So gebe es beim BFV etwa das Projekt „Vereint in Bewegung“, eine Kooperation des Bayerischen Landes-Sportverbandes, des Bayerischen Fußball-Verbandes, des Deutschen Kinderschutzbundes, der Sportjugendstiftung der bayerischen Sparkassen und der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern. Durch diese Zusammenarbeit würden Ressourcen der Sport- und Sozialverbände zur sozialen Integration, Gewalt- und Suchtprävention sowie Gesundheitsförderung gebündelt. „Aus einer solchen Zusammenarbeit könnte wirklich viel Tolles entstehen“, so Yalpi.
Die Vertreter der einzelnen Vereine sahen zwar für solche Kooperationen und Projekte schon einen hohen Bedarf, erwähnten aber auch wieder das Thema Zeit, das eine große Rolle spiele. „Jemand, der sich sowieso schon alle Wochenenden für die Fußballmannschaft freihält, der setzt sich dann nicht auch noch stundenlang in irgendwelche Seminare oder Gespräche“, so Michael Franke. Hier seien die Verbände gefragt, bestätigte Yalpi. Die Treffen dürften natürlich nicht an einem Samstag mitten in der Saison stattfinden, wenn sowieso gerade alle Mannschaften bei Punktspielen seien, sondern vielleicht eher mal in der Winterpause. Zudem müsse es auch noch mehr Angebote geben, die für die Vereine kostenlos sind. „Da müssen sich Verbände wirklich noch mehr ins Zeug legen“, so Yalpi.
Macht der Ganztag den Fußball kaputt?
Sorge bereitet dem Konfliktmanager zunehmend aber auch die Aussicht auf die flächendeckende Einführung der Ganztagesschule: Schon jetzt würden sich alle Jugendmannschaften in der Zeit von 15 bis 19 Uhr in engen Zeitfenstern auf den Fußballplätzen drängen oder sich sogar manchmal einen Platz teilen. Und diese Situation werde sich noch extrem verschärfen, wenn es erst in allen Schulen Ganztagesklassen gäbe und die Kinder erst zwischen vier und halb fünf aus der Schule kämen. „Die Vereine sollten sich schon jetzt über dieses Zukunftsszenario Gedanken machen“, so Yalpi. „Wenn die Kinder bis vier Uhr in der Schule sind, dann müssen wir den Sport eben professionalisieren und ein amerikanisches System einführen“, meinte dazu – halb im Scherz, halb Visionär – Michael Franke.
Die Vereine dürften sich nicht, auch was ihre Finanzierung und Förderung betrifft, einfach auf die Politik verlassen, erklärte Yalpi. Er empfahl vielmehr die Gründung eines Arbeitskreises für Münchner Sportvereine zur Durchsetzung wichtiger, gemeinsamer Forderungen: „Und darin müssen auch nicht alle 170 Vereine vertreten sein, sondern es genügen für den Anfang durchaus zehn oder zwölf Stück“, so der BFV-Konfliktmanager. Auch die Eltern könne man hier mit ins Boot holen. Dass es jedoch oftmals sehr problematisch sei, mehr als drei Vereine zu einem Thema unter einen Hut zu bringen, darauf wies Michael Franke hin: „Es gab mal die Idee, so etwas in Neuhausen zu initiieren, aber die Vereine waren laufend unterschiedlicher Meinung und haben sich ständig in die Haare bekommen.“
Was leistet der Vereinssport?
Für die Zukunft müssten die Fußballvereine und speziell die Jugendleiter lernen, wie sie ihre Leistungen aufwerten und nach außen hin noch besser vertreten könnten. Davon ist Ali Yalpi überzeugt: „Bislang wird oft noch nicht ausreichend honoriert, was die Vereine für wertvolle Arbeit leisten.“ Deshalb müssten von Seiten der Vereinsmitglieder einmal alle Argumente zusammengetragen werden, die für die Jugendarbeit im Verein sprechen, wie etwa die Gewaltprävention oder auch die interkulturellen Aspekte im Fußball. Aus diesen Argumenten müsse man dann ein Konzeptpapier entwickeln, das man bei einem Sozialverband einreiche: „Damit würden die Chancen ganz gut stehen, an entsprechende Zuschüsse zu kommen“, erklärte Yalpi. Auch Kooperationen mit Schulen seien ein solcher Aufwertungsaspekt.
Zumindest über die positiven Effekte des Vereinssports waren sich am Ende alle einig am Werbe-Spiegel-Tisch: „Wer Sport treibt, geht nicht schlägern oder macht anderen Blödsinn“, betonte etwa Hans Störzl. Zudem hätten Trainer vor allem bei Jugendlichen oft bessere Sanktionsmöglichkeiten als beispielsweise die Eltern oder Lehrer: „Wer raucht oder Scheiße baut, der wird eben beim nächsten Spiel nicht aufgestellt“, so Georgios Tsintzas vom FC Hellas München. Auch die Frage nach der Integration stelle sich im Kinder- oder Jugendfußball eher selten, wie die Vereinsvertreter betonten: „Besonders die Kinder machen da natürlich keine große Sache draus, die nehmen alle neuen Mitglieder wie selbstverständlich auf“, meinte Franke. Für ihn sei es aber sowieso die soziale Integration, die meist wichtiger sei als die kulturelle: „Und auch das klappt im Fußball natürlich reibungslos."
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