Wenn sich zwei streiten, gibt es Paragraphen
Gerd Hankel gibt einen Einblick in die Funktionsweisen eines Sportgerichts
Wie in jedem Sport gibt es auch im Fußball Regeln, an die man sich halten muss. Gehen die Emotionen mit einem durch, ist mit Konsequenzen zu rechnen. Um die groben Verstöße kümmert sich Gerd Hankel. „Fairplay endet an der Tür des Sportgerichts“, bedauert der Vorsitzende des Kreis-Sportgerichts (KSG) München I. Pro Saison landen ca. 1100 Fälle bei ihm auf dem Tisch – und das ist eigentlich nur die Hälfte, denn es gibt auch noch ein KSG München II.
„Vor dem Gesetz sind alle gleich“
Wenn außergerichtliche Einigungen nicht zustande kommen, sind die Sportgerichte am Zug. Zu den Organen der Rechtsprechung zählen als oberste Instanz das Verbands-Sportgericht, das Sportgericht Bayern, die Bezirks-Sportgerichte, die Jugend-Sportgerichte und die Kreis-Sportgerichte. Alle sind unabhängige Ausschüsse, die nur dem Gesetz verpflichtet sind, in Bayern der Rechts- und Verfahrensordnung des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV). Dieses Regelwerk umfasst rund 90 Paragraphen, in denen detailliert die Grundsätze des sportgerichtlichen Verfahrens, die verfassungsrechtlichen Vorschriften sowie die Strafvorschriften geregelt sind. „Wie bei einem 'normalen' Gericht gilt auch bei Sportgerichten: Vor dem Gesetz sind alle gleich“, erklärt Gerd Hankel.
In der Regel besteht ein Sportgericht aus einem Vorsitzenden und zwei oder mehreren Beisitzern. Diese müssen jedoch keine ausgebildeten Juristen sein. Warum nicht? „Es handelt sich hier um Ehrenämter“, erklärt Gerd Hankel. Ein freiwilliges Engagement, dass es bei genauerer Betrachtung ziemlich in sich hat: Um Mitglied eines Sportgerichts zu werden, müssen nämlich hohe Auflagen erfüllt werden, die ebenfalls in der Rechts- und Verfahrensordnung (§ 9) festgeschrieben sind. Der Vorsitzende fasst knapp zusammen: „Zum Mitglied wird man auf Vorschlag des jeweiligen Bezirksvorsitzenden berufen. Dafür muss man allerdings Mitglied eines Verbandsvereins sein, darf aber keine Anstellung im Verband haben und kein aktiver Schiedsrichter mehr sein. Außerdem sollte man sportliche Erfahrung besitzen und sich im sportlichen Leben bewährt haben.“
Bewährt hat sich der gebürtige Weidenauer (NRW) auf jeden Fall: 25 Jahre war er als Schiedsrichter aktiv und hat als Lehrwart im Laufe von acht Jahren selbst über 1000 Schiedsrichter ausgebildet. Außerdem war Hankel zuvor im Gruppenschiedsrichterausschuss und später auch noch im Beobachtungswesen für die Aufteilung und Bewertung von Schiedsrichtern zuständig.
20 Stunden wöchentlich
Aber wie unterscheidet sich ein Sportgericht von einem „normalen“ Gericht? „Alle Sitzungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Auch tragen wir kein Talar. Zudem werden die Verhandlungen schriftlich statt mündlich geführt. Das beschleunigt den Prozess, da durchschnittlich 40 bis 50 Fälle pro Woche abgearbeitet werden müssen“, erklärt Gerd Hankel. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist er mit seinen beiden Beisitzern, Maria Lankes und Thomas Obermayer, bis zu 20 Stunden wöchentlich aktiv.
Für den Verfahrensablauf gelten feste Strukturen, wie er ausführlich erklärt: „Zunächst erhalten wir die Meldung eines Vergehens, das wir dann gemeinsam sichten und zuordnen. Anschließend erfolgt die Anhörung beider Parteien. Die Vergehen werden dann unter den entsprechenden Paragraphen subsumiert. Um ein angemessenes Strafmaß zu finden und eine Vergleichbarkeit herzustellen, wurde von den Sportgerichten im Laufe der Jahre ein Strafenkatalog ausgearbeitet, an dem auch wir uns orientieren."
Zu den häufigsten Sanktionen gehören Sperren und Geldstrafen, jedoch seien bei Spielmanipulationen auch Punktabzüge möglich: "Ich bin sehr froh, dass ich mit so einem Fall bislang noch nicht konfrontiert worden bin", lacht Hankel. Der Ausschluss aus dem BFV hingegen obliege nur dem Verbands-Sportgericht. "Ist die Strafe festgelegt, wird ein Schreiben an die Vereine verfasst, die dann das Strafmaß akzeptieren oder Berufung einlegen können.“
Ausschreitungen rückläufig
An dieser Stelle sei jedoch erwähnt, dass sich in den vergangenen Monaten viel im Münchner Amateurfußball getan hat, wie Hankel betont: „Beleidigungen und Tätlichkeiten, vor allem gegen die Schiedsrichter, sind diese Saison stark rückläufig.“ Auch Spielabbrüche seien im Vergleich zur Saison 2012/2013 im Gebiet des KSG I kaum noch vorgekommen. Über diese positive Entwicklung freut sich der 65-jährige Pensionär sehr und schreibt den Erfolg mitunter der Initiative „Fairplay München“ zu, die durch öffentliche Sensibilisierung, Konzepte und Schulungen präventiv gegen Eskalationen vorgeht.
Dennoch seien 1100 Fälle pro Saison zu viel, meint der engagierte Ehrenamtler. Dass es überhaupt zu Streitereien und Ausschreitungen kommt, liegt seiner Meinung nach an der fehlenden Entscheidungsakzeptanz der Menschen: „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Auf Fußball bezogen werden insbesondere junge Schiedsrichter in ihren Entscheidungen oft nicht ernst genommen und kritisiert. Bei vielen sind immer alle anderen schuld, nur man selbst nicht.“ Auch eine schlechte Vereinsführung, die zu wenig Verantwortung vermittle, zu ehrgeizige Trainer, die nur auf Siege aus seien, sowie hitzige Zuschauer hätten einen negativen Einfluss auf Spieler und Spielverlauf.
Gerd Hankel verrichtet sein Ehrenamt gerne, erachtet Fairplay jedoch für wichtiger: „Für die Zukunft des Münchner Amateurfußballs wünsche ich mir, dass Probleme künftig unter Anwesenheit der Spielleiter, des Schiedsrichters und der Vereine an Runden Tischen anstatt vorm Sportgericht diskutiert werden, denn Fairplay bedeutet nicht nur das Erkennen eigener Fehler, sondern auch das Akzeptieren der Fehler anderer."
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