Was ist und was kann der "Mittelstand"?
Drei Fachleute über Berufsoptimisten und Neugier, Fleiß und Leidenschaft, langen Atem und den Weg durchs Treppenhaus
Alle reden vom "Mittelstand". Er ist dir tragende Säule unserer Wirtschaft. Aber was hat es mit dem Mittelstand auf sich? Was ist das überhaupt? Wer gehört dazu? Was kann er? Antworten auf zwölf Fragen von Johannes Beetz dazu geben:
Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft der Stadt München;
Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern;
Dr. Eberhard Sasse, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern.
"Wir begegnen ihm tagtäglich"
Was ist Mittelstand? Erklären Sie es einem, der als Schüler in Wirtschaft und Recht zu oft Kreide holen war.
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): Dem handwerklichen Mittelstand begegnen wir tagtäglich: Bäcker, Metzger, Schreiner oder Friseure – kleine und mittlere, oft familiengeführte Unternehmen. Sie sind Dienstleister, Produzenten und Lieferanten. Ohne sie ist unser Leben gar nicht vorstellbar. Familienunternehmen sind quasi das Fundament des Mittelstands. Der Handwerksbetrieb verkörpert seit Jahrhunderten das klassische Familienunternehmen. Der Handwerksmeister, seine Angehörigen, Gesellen und Lehrlinge bildeten schon damals eine Art Familie. Man half sich gegenseitig, es war faktisch eine gemeinschaftliche Fürsorge. Auch heute sind in Handwerksbetrieben Leben und Arbeit eng miteinander verbunden.
Eberhard Sasse (IHK): Wenn jemand mit dem Begriff nichts anfangen kann, kann ich das gut nachvollziehen. Das Wort ‚Mittelstand‘ ist einfach zu schwammig. Viel eindeutiger ist es, von kleinen und mittleren Unternehmen, den sogenannten KMU, zu sprechen. Darunter versteht man Betriebe, die unter 250 Mitarbeitern beschäftigen und entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro erzielen oder eine Bilanzsumme von maximal 43 Millionen Euro ausweisen. In der Regel sind das Familienunternehmen.
Clemens Baumgärtner (LHM): Ökonomisch betrachtet bezieht sich der Begriff ‚Mittelstand‘ auf Unternehmen aller Branchen einschließlich des Handwerks und der Freien Berufe (also Rechtsanwälte, usw.), die eine bestimmte Größe beim Jahresumsatz (bis zu 50 Mio. Euro) oder der Zahl der Arbeitsplätze (bis zu 250 Beschäftigte) nicht überschreiten. Das Spektrum reicht dabei vom traditionellen Familienunternehmen über den klassischen Handwerksbetrieb, Selbstständige und Dienstleister, wie Händler und Freiberufler bis hin zum hoch innovativen High-Tech-Unternehmen, vom regionalen Anbieter bis zum Global Player. Zum Mittelstand zählen traditionsreiche Marken ebenso wie Newcomer oder weniger bekannte Marken, die in gleicher Weise für Qualität, Präzision und Innovation stehen.
"Sie sind das feste Rückgrat unserer Wirtschaft"
Mittelstand klingt - wie "Bürgerschaft" - ein bisschen angestaubt und in der Welt ständig neu aufflackernder Start-Ups fast ein wenig altbacken. Das Wort "Bürger" hat denselben sprachlichen Ursprung wie "Burg" oder "Geborgenheit". Dahinter steckt ein alter Begriff, der "Schutz" meint - eben das, was eine feste Burg bietet. Der Mittelstand hat eine ähnliche Funktion wie starke Festungsmauern: Er sorgt für Stabilität und schützt den Wohlstand aller. Kann der Mittelstand diese Aufgabe in einer sich globalisierenden Welt noch gut erfüllen?
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): Der Mittelstand ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Gerade in der globalisierten Welt mit all ihren äußeren Einflüssen ist dieser innere Zusammenhalt wichtiger denn je: Der Mittelstand ist seit Jahrhunderten die Festungsmauer, die jedem Angriff standhält.
Eberhard Sasse (IHK): Natürlich können das unsere kleinen und mittleren Unternehmen! Sie sind das feste Rückgrat unserer Wirtschaft. Sie geben ihr Halt und Stabilität. Im Mittelalter waren Burgen notwendig, um sich vor Widrigkeiten und Feindseligkeiten zu schützen. Heute sieht die Welt ganz anders aus. Als eine der weltweit größten Exportnationen brauchen wir Freundschaften, Beziehungen und Kontakte rund um den Globus. Über ein Drittel unserer Produkte verkaufen wir ins Ausland. Der Globalisierung verdanken wir unseren Wohlstand. Wir brauchen deshalb keine Mauern mehr, die uns abschotten, sondern im Gegenteil gut ausgebaute Wege und Straßen, die uns mit der Welt verbinden.
Clemens Baumgärtner (LHM): Mittelständische Betriebe stellen das Rückgrat unseres Wirtschaftssystems dar, das lässt sich auch an den entsprechenden Statistiken ablesen: über 99 % aller Unternehmen in Deutschland gehören dem deutschen Mittelstand an, in denen knapp 60 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten tätig sind, die überdies rund 35 % aller Umsätze erwirtschaften und über 80 % aller Ausbildungsplätze stellen. Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann!
"Sie können sich schneller umstellen"
"Es gibt nur Weniges, was über die Jahrhunderte national und international so nachhaltig segensreich gewirkt hat wie der unternehmerische Mittelstand", schreibt die Wikipedia in ungewohntem, fast schon religiösem Tonfall. Was kann denn ein mittelständischer Betrieb, was ein Ein-Mann-Betrieb oder ein großer Konzern nicht schafft?
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): Handwerksbetriebe werden häufig von Generation zu Generation weitergegeben, größtenteils innerhalb der Familie. Sehr häufig bekommen auch Mitarbeiter, die nicht zur Familie gehören, die jedoch im Laufe der Jahre immer mehr Verantwortung übernommen haben, die Chance, den Traditionsbetrieb zu übernehmen. Damit der Übergang geordnet und stabil verläuft, muss dieser über viele Jahre vorbereitet werden. Ein solch organischer Übergang ist bei großen Konzernen, vor allem bei börsennotierten, nahezu undenkbar.
Eberhard Sasse (IHK): Die Frage möchte ich anders stellen. Was ist die eigentliche Leistung eines Unternehmers? Diese besteht darin, dass er eigenes Geld investiert und etwas auf eigenes Risiko produziert oder eine Dienstleistung auf eigenes Risiko erbringt. In der Regel fängt nahezu jedes Unternehmen als Einmannbetrieb an und wird dann größer. Deshalb sollte man nicht zwischen Einmannbetrieb und Großkonzern unterscheiden. In jedem Fall stehen an der Spitze Menschen, die neugierig und risikobereit sind, die keine Angst vorm Scheitern haben. Und das sind unsere Unternehmer. Ob sie in einem großen oder kleinen Unternehmen tätig sind, spielt keine Rolle.
Clemens Baumgärtner (LHM): Der Mittelstand zeichnet sich im Vergleich zu großen Konzernen durch flachere Hierarchiestufen und damit eine größere Flexibilität und Agilität bei Entscheidungen aus. Mittelständische Unternehmen können sich schneller und besser auf sich mitunter sogar rasch ändernde Situationen am Markt einstellen. Gleichzeitig weisen sie eine höhere Kapitalausstattung aus, als sie etwa einem Einzelunternehmer zur Verfügung steht.
"Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt"
Die Menschheitsgeschichte zeigt immer wieder: Gesellschaften blühen erst dann nachhaltig auf, wenn es nicht nur Herren und Knechte gibt, sondern wenn es ein echtes "Dazwischen" - also einen Mittelstand - gibt. Sobald aus Leibeigenen freie Bauern, Handwerker und Händler werden, entstehen nicht nur persönliche Freiheit, politische Selbstbestimmung und soziale Teilhabe, sondern auch wirtschaftlicher Erfolg, Wohlstand für viele und einfach eine bessere Lebensqualität. Unterschätzen wir dieses "Dazwischen" heutzutage?
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): Das Handwerk in Deutschland hat eine einzigartige Verantwortungskultur im Wirtschaftsleben geschaffen. In unseren Betrieben steht der Mensch im Mittelpunkt und damit auch die Menschlichkeit im Arbeitsleben. Die Wirtschafts-Ethik des Handwerks umfasst Gemeinschaftssinn, Solidarität als Hilfe zur Selbsthilfe und gesellschaftliches Engagement. Dies zeigt allein die Tatsache, dass fast 40 Prozent aller Unternehmer des Handwerks ehrenamtlich engagiert sind.
Eberhard Sasse (IHK): Wir leben in einer freien Marktwirtschaft, die Eigeninitiative und freies Unternehmertum ermöglicht. Letztendlich geht es darum, dass Menschen, die auf eigenes Risiko etwas erreichen wollen, auch die Möglichkeit und Freiheit dazu haben. Wer hingegen lieber geführt werden möchte, wer die Sicherheit einer abhängigen Tätigkeit haben will, der hat in unserer Gesellschaft genauso seinen Platz. Es gibt kein Schlecht oder Gut. So wie es verschiedene Menschentypen gibt, muss es verschiedene Formen oder Modelle der Beschäftigung geben.
Clemens Baumgärtner (LHM): Das Problem liegt nicht so sehr darin, dass dieses von Ihnen genannte ‚Dazwischen‘ unterschätzt wird: die Wertigkeit und insbesondere die Notwendigkeit eines Mittelstandes und gesellschaftlich gesprochen einer breiten Mittelschicht ist vielen gerade in den letzten Jahren deutlich vor Augen geführt worden. Hier ist die Politik gefordert die richtigen Rahmenbedingungen aufrecht zu erhalten und, wenn notwendig, nachzujustieren.
"Der Inhaber haftet"
Mittelstand bedeutet meist Familienunternehmen. Das heißt in der Regel: Hier gibt es weder riskante Spekulationen noch schnell wieder abstürzende Strohfeuer-Start-Ups, sondern auf Dauer und Langfristigkeit angelegtes Tun. Anders als ein Konzern, dessen Aktionäre ständig die erwirtschafteten Profite abschöpfen wollen, ist dem Mittelstand an einer dauerhaften Beziehung mit seinen Kunden vor Ort gelegen. Ist das nicht gerade für den Verbraucher ein besonders vorteilhaftes und ihn schützendes Modell?
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): Der Verbraucher kann sich gerade bei einem Handwerker darauf verlassen, dass die Arbeit nachhaltig erledigt wird. Erstens sind Handwerker oft wohnortnah angesiedelt und damit im unmittelbaren Umfeld des Kunden sichtbar. Zweitens unterstreicht die Rechtsform die große Bedeutung familiengeführter Unternehmen. Vier von fünf Handwerksbetrieben sind Personenunternehmen. Das heißt: Der Inhaber haftet mit seinem persönlichen Vermögen. Daraus erwächst eine besondere Verantwortung für den Betrieb und die Kunden.
Eberhard Sasse (IHK): Unsere heutige Wirtschaft braucht alles: sei es das Familienunternehmen als Klein- oder Großbetrieb, oder seien es große Konzerne, Industrieunternehmen für weltumspannende Tätigkeiten. Und natürlich braucht es auch die an der Börse notierten Konzerngesellschaften. Und so wie es immer Unternehmen geben wird, die rasch zu Geld kommen wollen, wird es am Markt auch immer vorsichtig agierende, langfristig handelnde Unternehmen geben.
Clemens Baumgärtner (LHM): Der Mittelstand ist unbestritten eine der tragenden und wichtigen Säulen in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Dennoch sollte man die Rolle von Start-ups und Großkonzernen nicht abwerten. Sie nehmen eine wichtige Rolle als Innovationstreiber ein, schaffen Arbeitsplätze und sorgen zusammen mit dem Mittelstand für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft.
"Die Mitarbeiter sind das Fundament"
Im mittelständischen Betrieb liegen Eigentum und Leitung, also auch Haftung und Risiko, meist in einer Hand. Was bedeutet das für unternehmerische Entscheidungen? Ist der Mittelstand damit etwas so Bodeständiges und Verlässliches wie die "schwäbische Hausfrau", von der Stoiber einst träumte?
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): Die Tugenden einer „schwäbischen Hausfrau“ sind ehrenwert. Der Handwerker lebt viele dieser Tugenden, ergänzt um den für einen Wirtschaftsbetrieb so wichtigen unternehmerischen Antrieb. Außerdem sorgt die Treue des handwerklichen Unternehmers zu seinen Beschäftigten für eine starke Mitarbeiterbindung.
Eberhard Sasse (IHK): Wichtig ist, dass in einem Familienunternehmen den Eigentümern das Risiko, die Gefahr des wirtschaftlichen Scheiterns immer bewusst ist. Sie sind sich aber ebenso ihrer Verantwortung für die Mitarbeiter bewusst – und das nicht nur aus reiner Menschenliebe. Die Mitarbeiter bilden das Fundament eines jeden Unternehmens. Ohne sie ist arbeitsteiliges Wirtschaften nicht möglich.
Clemens Baumgärtner (LHM): Richtig ist, dass mittelständischen Unternehmen häufig eine eher konservativere Herangehensweise an Entscheidungen unterstellt wird. Konservativ soll damit aber nicht ‚innovationsfeindlich‘ bedeuten, sondern ist eher im Sinne von ‚abwartend prüfend‘ gemeint.
"Junge Menschen wachsen in den Betrieb hinein"
Mehr als 80 Prozent aller Auszubildenden in Deutschland werden vom Mittelstand ausgebildet. Nun ist unser duales Ausbildungssystem ohnehin eines, um das uns andere Länder beneiden. Ohne Mittelstand würden die meisten unserer Kinder schlicht keinen Beruf lernen. Was würde uns ohne Mittelstand noch fehlen?
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): Wenn unsere Kinder keinen Beruf lernen würden, dann hätten wir keine 140 Handwerksberufe, die unser Leben erst lebenswert machen. Der Mittelstand ist nicht nur größter Ausbilder und größter Arbeitgeber. Junge Menschen wachsen in ihrer Lehrzeit in den Betrieb hinein und sind die Fachkräfte von morgen, mitunter auch die Betriebsinhaber von übermorgen.
Eberhard Sasse (IHK): Der Mittelstand hat zentrale Entwicklungen in unserer Gesellschaft vorangebracht. Er ist immer der Innovator in der Geschichte gewesen, der Inkubator für wirtschaftliche Entwicklung und Fortschritt. Nahezu alle heutigen Großunternehmen sind einmal aus einem Kleinbetrieb, einer Werkstatt entstanden. In ihrer großen Mehrheit waren Kleinbetriebe letztendlich immer eine Art Startup für die Großindustrie.
Clemens Baumgärtner (LHM): Mittelständische Unternehmen sind häufig in den Regionen tief verwurzelt, was wiederum mit einem großen gesellschaftlichen Engagement einher gehen kann. Mittelständler spielen somit vor Ort eine bedeutende soziale, gesellschaftliche und kulturelle Rolle. Eigentümergeführte Unternehmen und Familienunternehmen denken nicht in Quartalen, sondern in Generationen. Sie sind damit Beispiel für gelebte Nachhaltigkeit.
"Wir Verbraucher haben es selbst in der Hand"
"Mittelstand" meint auch eine bestimmte soziale Kultur, eine Lebenseinstellung, ein wirtschaftliches Erfolgsprinzip. Weil es das in dieser Form anderswo so nicht gibt, haben andere Sprachen "Mittelstand" als Fremdwort übernommen: Briten kennen "the mittelstand", Spanier "el mittelstand"; auch Araber, Indonesier und Türken benutzen den deutschen Begriff. Was können wir Verbraucher tun, um diesen über viele Generationen gewachsenen Schatz, den Mittelstand, zu bewahren?
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): Wir Verbraucher haben es Tag für Tag selbst in der Hand: Kaufen wir die industriell gefertigte Semmel zum Aufbacken oder eine frische, knackige Bäckersemmel? Holen wir uns fürs Grillen am Wochenende ein Produkt der Schlachtindustrie aus dem Supermarkt oder frisches Fleisch aus heimischer Erzeugung vom Metzger? Das sind nur zwei Beispiele aus unserem Alltag, in denen wir uns für Qualität und Nachhaltigkeit entscheiden können und damit den Mittelstand bewahren können.
Eberhard Sasse (IHK): Was einen Familienunternehmer auszeichnet, egal ob in Deutschland oder überall auf der Welt, sind vier Eigenschaften. Da ist zunächst die Leidenschaft für eine Idee, für seine Firma, seine Mitarbeiter, seine Familie, denen er sich zutiefst verpflichtet fühlt. Hinzu kommt ein unendlicher Fleiß, der keine 40-Stunden-Woche kennt. Ein weiteres Merkmal ist seine Sparsamkeit. Er geht mit den ihm anvertrauten Ressourcen sparsam um. Das schließt den korrekten Umgang mit den Mitarbeitern ein. Heute würde man von nachhaltigem Handeln sprechen. Und zu guter Letzt muss er beharrlich sein, denn Erfolg ist nicht programmierbar und lässt sich nicht erzwingen. Um erfolgreich zu sein, braucht man einen langen Atem und Geduld wie im Leistungssport.
Clemens Baumgärtner (LHM): Die Angebotspalette der von mittelständischen Unternehmen produzierten Güter und Dienstleistungen ist breit und nicht alles davon ist für den privaten Konsum geeignet, dennoch können hier Kaufentscheidungen von den Verbrauchern zugunsten entsprechender Produkte oder Dienstleistungen getroffen werden. Überdies sind mittelständische Unternehmen auch hervorragende Arbeitgeber, die häufig mit dem Problem des Fachkräftemangels konfrontiert sind und deshalb bei der Arbeitsplatzsuche unbedingt in Betracht gezogen werden sollten.
"Das ist wie bei einem Fußballspiel"
Wo liegen die größten Herausforderungen für den Mittelstand in den nächsten Jahren?
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): Die größten Herausforderungen lassen sich in folgenden Stichworten skizzieren: Fachkräftemangel, Sicherung der hochwertigen dualen Berufsausbildung, Digitalisierung, Steuern und Abgaben, Bürokratieabbau, Mobilität.
Eberhard Sasse (IHK): In Deutschland haben wir hervorragende politische Bedingungen. Der Staat ist für die Wirtschaft da. Gleichzeitig müssen wir jedoch aufpassen, dass der Staat nicht zu sehr anfängt, selber aktiv in die Wirtschaft einzugreifen. Das ist mit einem Fußballspiel vergleichbar. Hier hält sich der Schiedsrichter aus dem aktiven Spiel heraus. Aber er beobachtet, pfeift die Verstöße, gibt Anweisungen und achtet letztendlich darauf, dass die Regeln eingehalten werden.
Clemens Baumgärtner (LHM): Mittelständische Unternehmer haben auf diese Frage selbst eine Antwort gegeben; als Themenfelder und Herausforderungen der Zukunft benennen sie: Demografischer Wandel, Globalisierung, Rohstoffknappheit, Klimawandel sowie eine sich beschleunigende technologische Entwicklung. Ergänzend sollte man an dieser Stelle noch den Umgang mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie anfügen.
"Um ihn beneiden uns viele"
Die größte Leistung des Mittelstandes in den vergangenen beiden Generationen ist ...?
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): … dass er zum Motor des deutschen Wirtschaftswunders wurde. Der Mittelstand ist größter Arbeitgeber und Ausbilder. Bemerkenswert ist die Vielzahl an kleinen und mittleren Handwerksbetrieben, aber auch die ausgewogene Branchenstruktur. Hervorzuheben ist, dass der Mittelstand ein Vorbild für das partnerschaftliche Miteinander von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist. Er ist zum Symbol unserer sozialen Marktwirtschaft geworden, um die uns viele Länder beneiden.
Eberhard Sasse (IHK): Blicken wir rund 60 Jahre zurück, landen wir in den 50er Jahren, in der Nachkriegszeit. Dank ihrer Leidenschaft, ihres Fleißes, ihrer Sparsamkeit und Beharrlichkeit haben hunderttausende Familienunternehmen geholfen, unser Land wieder aufzubauen. Dank ihnen ist Deutschland diese mächtige Wirtschaftsmacht geworden, die sich gleichzeitig in einer guten sozialen Balance hält. Das haben wir den Familienunternehmen zu verdanken, die immer in engem Schulterschluss mit ihren Mitarbeitern und den Sozialpartnern gehandelt haben.
Clemens Baumgärtner (LHM): Der Mittelstand war, ist und bleibt der Motor der deutschen Wirtschaft.
"Viele Branchen stehen bereits für Nachhaltigkeit"
"Corona" hat das große Thema Nachhaltigkeit beiseite geschoben. Das wird nicht für immer so bleiben. Was tut der Mittelstand für mehr Nachhaltigkeit?
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): Viele Branchen des Handwerks stehen bereits als solches für Nachhaltigkeit. Bauhandwerker beispielsweise schaffen Gebäude von langer Lebensdauer. Ausbauhandwerker sorgen mit der energetischen Sanierung dafür, dass weniger Energie verbraucht und Ressourcen gespart werden. Nachhaltig ist das Handwerk auch im Bereich der Elektromobilität. Nicht zu vergessen das Lebensmittelhandwerk, das mit regionalen Lieferketten gesunde Nahrungsmittel produziert. Ebenso nachhaltig ist die Ausbildung junger Menschen und die Weitergabe der Betriebe von Generation zu Generation.
Eberhard Sasse (IHK): Zunächst einmal Nein, die Corona-Pandemie hat das Thema Nachhaltigkeit nicht beiseitegeschoben. Corona hat Nachhaltigkeit zu einer Aufgabe gemacht, die erst dann wieder mit aller Konsequenz angegangen werden kann, wenn die Wirtschaft richtig in Tritt gekommen ist. Nur wenn die Wirtschaft am Leben ist und funktioniert, können die Herausforderungen, die die Nachhaltigkeit an uns stellt, gemeistert werden.
Clemens Baumgärtner (LHM): Mittelständische Betriebe engagieren sich oft in besonderem Maß für eine nachhaltige Unternehmensführung. Sie setzen sich stark für die Belange ihrer Mitarbeiter sowie für betrieblichen Umwelt- und Klimaschutz ein. Da den Unternehmen allerdings oft die personellen Kapazitäten fehlen, hat das Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München Maßnahmen aufgelegt, die speziell mittelständischen Unternehmen dabei helfen sollen, derartige Projekte umzusetzen: Insbesondere vergeben wir Zuschüsse für eine individuelle Klimaschutzberatung und Einzelmaßnahmen wie beispielsweise die Umstellung auf klimaschonende Prozesse oder Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz.
"Sie sind grundsätzlich Berufsoptimisten"
Bevor es einfach wird, ist alles schwer, sagten die Hugenotten, die als Handwerker zu uns kamen. Das mag eine für jeden Praktiker, für jeden Mittelständler alltägliche Lebenserfahrung sein. Wir wollen es aber gerne sofort einfach und suchen mit großer Ausdauer Wege, um das Schwere zu umgehen. Auch in der Corona-Krise gibt es ja Menschen, die lieber an zu einfache Lösungen glauben als die notwendigen Einschränkungen durchzuhalten. Man muss sich Schwierigkeiten stellen, um ein Ziel zu erreichen - das ist eine Binsenweisheit für jeden Mittelständler. Ist es nicht auch eine Erfahrung, die in Krisenzeiten viel Mut machen kann?
Clemens Baumgärtner (LHM): Dem können wir uns nur anschließen!
Franz Xaver Peteranderl (Handwerkskammer): Handwerker stellen sich tagtäglich neuen Herausforderungen, in Krisenzeiten natürlich erst Recht. Gerade jetzt gibt es keine einfachen Lösungen: In vielen Bereichen musste die Arbeit, zumindest teilweise umgestellt werden – von der Baustelle bis zum Friseur. Das erfordert große Ausdauer und Disziplin für Betriebe und Kunden. Hierbei hilft mit Sicherheit, dass Handwerker grundsätzlich Berufsoptimisten sind.
Eberhard Sasse (IHK): Ja, das ist richtig oder anders gesagt: der Weg zum Erfolg in schwierigen Zeiten, zu neuer Sicherheit, führt nicht über den Schnellaufzug, sondern man muss dafür das Treppenhaus nehmen und sich von Etage zu Etage hocharbeiten. Das ist auf jeden Fall mühsam und anstrengend. Doch man kommt sicher und wohlbehalten ganz oben an.
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH