"Unterm Strich läuft es nicht schlecht"
München meistert Integration mit Hilfe alter Strukturen und engagierter Ehrenamtlicher
Artikel 16a des deutschen Grundgesetzes schreibt in der Verfassung fest: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Es ist das einzige Grundrecht, das nur Ausländern zusteht. Hunderttausende Menschen haben davon Gebrauch gemacht und Asyl in Deutschland beantragt. Im Sommer 2015 erreichten die Ankunftszahlen ein Maximum. Hunderte Münchner begrüßten die Geflüchteten am Hauptbahnhof mit Wasser, Bananen, Plakaten und Geschenken. Die Bilder der bayerischen "Willkommenskultur" gingen um die Welt. Viele Geflüchtete zogen weiter – 25.000 blieben in der Landeshauptstadt. Knappe zwei Jahre später stellt der Mediendienst Integration die Frage: "Wo stehen wir jetzt?". Experten und Vertreter der Landeshauptstadt diskutieren gemeinsam mit Ehrenamtlichen und Geflüchteten, wie München sich macht: Gelingt die Integration der neuen Nachbarn?
"Trennscharfe Unterscheidung"
Stephan Dünnwald, Mitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrats, ist pünktlich zur Gesprächsrunde im Bellevue di Monaco erschienen, einer Einrichtung für Geflüchtete: "Die Situation damals war eine Herausforderung, für Politik und Freiwillige. Gerade zu Anfang bestand ein erhebliches Verteilproblem." Dünnwald sitzt an nicht mehr ganz neuen Holztischen im Gemeinschaftsraum des Bellevue. Neben ihm haben Politikwissenschaftlerin Petra Bendel und Rudolf Stummvoll, Leiter des Amtes für Wohnen und Migration, Platz genommen. Die Wände hinter den dreien hängen voll Flyer und Ankündigungen, in der integrierten Küche nebenan wird das Mittagessen vorbereitet. Von klappernden Pfannen lässt sich Experte Dünnwald nicht ablenken: "Die Politik arbeitet weiterhin mit trennscharfer Unterscheidung: Geflüchtete werden in Kategorien eingeordnet – Menschen mit hoher Bleibeperspektive, solche mit geringer und Geflüchtete, die keine Chance auf Anerkennung haben." In diesen Mustern werde auch gedacht, wenn es um Bildung und Angebote geht. "Berufsintegrationsklassen sind nicht für alle zugänglich." Oder: Wer nur den Status "geduldet" hat, darf nicht aus der Gemeinschaftsunterkunft ausziehen, oft über Jahre hinweg. "Wir sind froh, dass Städte und Kommunen mitunter die harten Linien der Bundespolitik etwas freier interpretieren." Auch Geflüchtete mit geringer Bleibeperspektive hätten in vielen Landkreisen inzwischen Gelegenheit zu arbeiten oder Deutschunterricht zu erhalten.
"Solange die Menschen hier sind, werden sie integriert"
Stummvoll ergänzt: "München investiert auch in diejenigen, die kaum Chance auf Anerkennung haben. Solange die Menschen hier sind, werden sie integriert." Ein großes Problem in der Landeshauptstadt ist dabei die Wohnungssituation. "Wir haben zusätzlich zu unseren bisherigen Maßnahmen das Projekt 'Wohnen für Alle' aufgelegt." Unter diesem Motto schafft München in den nächsten drei Jahren 3.000 weitere Wohnungen. Diese gehen zu 50 Prozent an Geflüchtete, die andere Hälfte beziehen Menschen mit geringem Einkommen. "Die Stadt hat bereits mehrere sogenannte 'Flüchtlingswellen' erlebt, wir konnten auf bestehende Strukturen zurückgreifen, das war ein großer Vorteil." Auch für Petra Bendel sind etablierte Strukturen unverzichtbarer Baustein zukünftigen Erfolgs: "Seit 2015 arbeiten wir mit Ad-Hoc-Politik, wir reagieren." Jetzt müssten langfristige Maßnahmen geschaffen werden. "Es wäre der größte Fehler, in der jetzt entspannteren Lage alles auf Null zu setzen, wir müssen darauf vorbereitet sein, dass wieder viele Geflüchtete zu uns kommen."
"Hier bin ich freier"
Und was ist übrig von winkenden Willkommensrufen? "Die Stimmung in München ist insgesamt noch ganz positiv, unterm Strich läuft es nicht schlecht", sagt Stummvoll. Das können auch Vertreter der beiden Vereine bestätigen, die ebenfalls Gäste im Bellevue sind: Marianne Seiler, Lina Homa und Yasin Rahmati von heimaten e.V. sowie Britta Coy und ihre Schützlinge Sarah, Sifan und Nasima von Juno, einer Organisation für geflüchtete Frauen. "Wir machen vielen Projekte mit jungen Geflüchteten, die meisten fühlen sich wohl", erklärt Seiler. Nasima ist aus Afghanistan nach Deutschland gekommen: "Ich lebe gerne hier, Frauen haben die gleichen Rechte wie Männer, es gibt keine Angst vor Krieg. Die Menschen sind freundlich." Sarah stimmt zu: "Ich komme aus Somalia, dort spielt sich das Leben einer Frau in der Hütte ab. Wir dürfen nicht rausgehen. Hier bin ich freier, etwas aus meinem Leben zu machen."
"Integration ab Tag eins"
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, SPD, zu Erfolgen und Herausforderungen der Integrationspolitik der Landeshauptstadt:
"Bereits in den 1990er Jahren, als die Asyl- und Aussiedlerpolitik auf Bundesebene unter dem Motto der Abschreckung stand, zeichnete sich in München eine eigene kommunale Flüchtlingspolitik ab. Unser Fokus liegt auf der Integration von Geflüchteten ab Tag eins ihres Aufenthalts. Die Landeshauptstadt München fördert daher viele Angebote, die darauf abzielen, unter anderem diejenigen Lücken im Bereich der Sprach- und Qualifizierungsmaßnahmen zu schließen, die bundesgesetzliche und bayerische Regelungen offen lassen. Mit dem Gesamtplan zur Integration von Flüchtlingen, den wir noch vor der Sommerpause inhaltlich verabschieden werden, sind wir als Landeshauptstadt München dabei auf einem guten Weg. Gerade während der dualen Berufsausbildung hat sich gezeigt, dass Deutschförderung und Beratung in Bildungsfragen bei geflohenen Schülerinnen und Schülern an beruflichen Schulen von zentraler Bedeutung sind. Gemeinsam mit bürgerschaftlichen Engagierten müssen wir auch weiterhin viele Herausforderungen angehen. Denn Integration von Geflüchteten findet vor Ort in den Kommunen statt und dafür werden wir uns auch in der Zukunft stark machen."
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