"Ständige Sorge führt schnell zu Überforderung"
Dr. Susanne Matz über die Bedeutung der Tagespflege
Am 11. Juli feiert die Herbstlaube mit ihrem Sommerfest ihr 15-jähriges Bestehen. Pflege ist ein anspruchsvoller, kreativer Beruf, der große Verantwortung erfordert. unterstreicht Dr. Susanne Matz von der Herbstlaube, einer Tagespflege in Laim und Aubing.
"Gerne mit Menschen arbeiten"
Was macht einen guten Pfleger aus - neben seiner Ausbildung?
Dr. Matz: Voraussetzung für die Arbeit im sozialen Beruf ist, das man gerne mit Menschen arbeitet und bei uns in der Tagespflege, dass man gerne mit Senioren arbeitet.
Die Pflegekraft ob mit oder ohne Ausbildung sollte Einfühlungsvermögen und Empathie mitbringen. Höflichkeit, Freundlichkeit und Geduld auch in schwierigen Verhaltenssituationen bei den Gästen und Angehörigen sind sehr wichtig. Die Umsicht im Arbeitsalltag und das Erkennen von problematischen Situationen und dann richtig darauf zu reagieren, stellt die Herausforderung dar. Auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Gastes gezielt eingehen zu können, an der Biographie orientiert, ist wichtig.
"Die Gesellschaft muss bereit sein, mehr für die Pflege auszugeben"
Obwohl wir immer mehr Pflegekräfte brauchen werden, ist der Beruf in der Gesellschaft nicht der anerkannteste. Qualifizierte Pflegekräfte verdienen die Anerkennung der Gesellschaft und eine angemessene Bezahlung. Was können wir tun, um dem Fachkräftemangel in der Pflege zu begegnen?
Dr. Matz: Den Beruf attraktiver zu gestalten und vor allem die öffentliche Wahrnehmung des Berufsbild zu verbessern Beruf gut darstellen. Es gilt immer noch die Meinung, dass Altenpfleger nur Inkontinenzversorger sind oder waschen und Windeln wechseln. Die Darstellung in der Öffentlichkeit muss positiver und niveauvoller werden. Was tagtäglich gut läuft und wie sich die Menschen bemühen, erfährt man nirgends.
Man muss die Fachlichkeit mehr herausheben und auch die Kompetenzen gegenüber den Ärzten stärken. Das Wort einer Pflegekraft sollte vom Arzt auch akzeptiert und respektiert werden und nicht hinterfragt werden. Keine Pflegekraft möchte dem Arzt seine Kompetenz absprechen, will aber auch in ihrer Meinung gehört werden.
Der Schichtdienst und das damit verbundene schwierige Sozialgefüge, Aufrechterhalten von Sozialkontakten sollte mehr gewürdigt werden. Teilzeitregelungen für Familien sollten mehr Wertschätzung finden.
Das ist ja der Vorteil bei uns in der Tagespflege: die Arbeitszeit ist von Montag bis Freitag, alle Sonn- und Feiertage sind frei und die Arbeitszeit erstreckt sich von 8 bis 16.30 Uhr und ist somit für Mitarbeiter mit Familie sehr angenehm.
Die Bezahlung sollte auch angemessener sein – dies muss aber auf politischer Ebene geregelt werden – dafür müssen natürlich auch die Einnahmen für die Betreiber / Träger angepasst werden. Die Gesellschaft muss bereit sein, mehr für die Pflege der Senioren auszugeben. Es kann nicht sein, dass ein Beamter, der „nur“ am Schreibtisch sitzt, mehr verdient als eine Pflegekraft, die tagtäglich mit Menschen umgeht, die oftmals sehr schwierig sind, und tagtäglich versucht, ihm ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
"Die Wenigsten machen sich im Vorfeld Gedanken"
Die meisten Patienten werden von den eigenen Angehörigen gepflegt. Welche Unterstützung benötigen pflegende Angehörige?
Dr. Matz: Die Wenigsten machen sich im Vorfeld Gedanken, wie sie sich ihre Versorgung im Alter vorstellen. Demnach werden die Lebenspartner oder Kinder oft akut vor eine schwierige Situation gestellt. Sie müssen auf einmal den Willen ihres Angehörigen einschätzen und für ihn die beste Versorgungsform finden. Pflegende Angehörige sind oft überfordert mit der kompletten Pflegesituation. Oft beginnt es bei der Antragstellung des Pflegegrades, geht weiter mit der Überprüfung durch den Medizinischen Dienst, Auswahl des Pflegedienstes und weitere Unterstützungsangebote.
Hier kommen wir ins Spiel – die Tagespflege ist bei den meisten immer noch nicht bekannt. Sie kommen zu uns durch Hinweise von den Hausärzten, Pflegediensten oder Nachbarn, die selbst schon einen Angehörigen bei uns hatten. Die Finanzierung der Tagespflege ist ebenfalls nicht bekannt. Dass die Kosten neben einem Pflegedienst oder dem Pflegegeld zusätzlich bei der Kasse abgerechnet werden können, ist vielen nicht bewusst.
Pflegende Angehörige benötigen vor allem Zeit. Sie können ihren Pflegebedürftigen oft nicht mehr alleine lassen und müssen alle Besorgungen oder Termine so abstimmen, dass sie ihn entweder mitnehmen können oder jemanden finden der in der Abwesenheit aufpasst. Teilstationäre Betreuungsformen wie die Tagespflege sind hier die Lösung.
Die ständige Sorge führt schnell zu einer Überforderung, was die Angehörigen aber erst sehr spät erkennen. Eine Überlastung zugeben, fällt vielen schwer und sie kommen oft erst zu uns, wenn es zu Hause schon fünf vor zwölf ist.
Es wäre besser, wenn die Betroffenen sich frühzeitig mit der Tagespflege vertraut machen und so eine Akutphase zu Hause möglichst umgehen. Wenn der Pflegebedürftige dann mehr Unterstützungsbedarf benötigt, kann man die Anwesenheitstage in der Tagespflege auch leicht aufstocken. Der Gast ist aber dann schon an den Ablauf gewöhnt und kann die Umstellung leicht verkraften.
Viele Angehörige haben zu Beginn der Betreuung bei uns ein schlechtes Gewissen, dass sie ihren Pflegebedürftigen abschieben. Wenn sie aber merken, dass es ihrem Angehörigen bei uns gut geht und sie die freie Zeit nutzen und auch genießen können, fragen sie sich oft, warum sie es nicht schon viel früher den Schritt gewagt haben.
Daher haben wir uns auch als Motto gesetzt „FREIe ZEIT für pflegende Angehörige“ und damit können wir seit mittlerweile 15 Jahren in der Herbstlaube in Laim die Pflegeenden effektiv unterstützen.
"Wissen, dass man sinnvolle Arbeit geleistet hat"
Warum sind Sie und Ihre Mitarbeiter in diesen Beruf gegangen, der ja nicht der einfachste ist? Was motiviert Sie und was macht Sie am Ende eines Arbeitstages zufrieden?
Dr. Matz: Jeder Mitarbeiter hat seine eigene Motivation, diesen Beruf zu ergreifen. In erster Linie war es sicher immer der Umgang mit Menschen und ihnen Hilfestellungen zu ermöglichen und Unterstützung anzubieten. Die meisten sind im Altenheim oder Krankenhaus gestartet, und aufgrund von ungünstigen Arbeitsbedingungen in die Tagespflege gewechselt. In der Tagespflege kann man sich Zeit für die Gäste nehmen, da der Tag nicht nur aus Waschen und Anziehen besteht (dies wird zu Hause erledigt). Ebenfalls ist die körperliche Anstrengung mit einem Heim / Krankenhaus auch nicht zu vergleichen.
In der Tagespflege steht die Betreuung und sinnvolle strukturiert Beschäftigung im Vordergrund. Unserer Gäste haben oft einen verdrehten Tag- / Nacht-Rhythmus und erfahren durch uns eine sinnvolle Tagesstruktur.
Die Motivation der Mitarbeiter ist, die Gäste beim Erlangen diese Rhythmus zu unterstützen. Der zweite wichtige Punkt ist die Entlastung der Angehörigen. Manche Gäste können sich nur schwierig an den Ablauf in der Tagespflege anpassen oder sind sehr stark fixiert auf ihre Angehörigen. Wenn wir es am Ende des Tages geschafft haben, dem Gast sinnvoll in unserer Einrichtung zu beschäftigen und somit dem Angehörigen einen Tag Freiraum zu verschaffen, haben wir unser Ziel erreicht.
Aber trotzdem ist die Arbeit anstrengend, in der Tagespflege weniger physisch, dafür aber psychisch. Wir betreuen überwiegend Gäste mit Demenz in den unterschiedlichen Formen und versuchen, auf jeden gezielt einzugehen.
Am Ende des Tages ist es jedoch immer ein gutes Gefühl, den Tag über von Menschen umgeben gewesen zu sein (Mitarbeiter und Gäste) und nicht allein irgendwo in einem kleinen Büro gesessen zu haben und zu wissen, man hat sinnvolle Arbeit geleistet.
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