"So leben können, wie man will"
Florian von Brunn über Offenheit und Rücksichtnahme, über Angst, Probleme und das Zuhören Können
Bundesweit feiern Menschen die „offene Gesellschaft“. Der Begriff ist kein Synonym für „Multikulti“ oder „offene Grenzen“ sondern wird von dem Soziologen Harald Welzer (einer der Intiatoren der Aktion) als „die Form von europäischer Nachkriegsgesellschaft, die den Menschen Freiheit und dabei enorm hohe Sicherheit garantiert“, beschrieben. Johannes Beetz sprach mit MdL Florian von Brunn über die offene Gesellschaft.
"Vielfalt und Rücksichtnahme"
Wie definieren Sie „Offenheit“ in einer Stadtgesellschaft wie München konkret?
Florian von Brunn: Offenheit heißt für mich, dass jede*r so leben kann, wie er oder sie will. Das gilt, solange niemand anders dadurch Nachteile hat. Offenheit in München heißt Vielfalt und Toleranz, aber auch Rücksichtnahme, gegenseitiger Respekt und Gemeinsamkeit in der Stadtgesellschaft. Eine wichtige Voraussetzung dafür sind eine gute Sozialpolitik, aber auch Wirtschafts- und Kulturpolitik.
"Angst ist eine starke Emotion"
Die offene Gesellschaft gewährleistet Freiheit und Sicherheit besser als jede andere Gesellschaftsordnung – gerade in einer Stadt wie München ist dies wunderbar zu beobachten: Wir haben eine Lebensqualität erreicht, von der andere nur träumen können. Wir leben in der Stadt mit dem, höchsten Migrationanteil in Deutschland. Zugleich ist München die sicherste Großstadt im Land und es gibt keine „No-Go-Areas“. Wie erklären Sie sich den Widerspruch zwischen Lebensqualität einerseits und der Angst mancher Bürger andererseits?
Florian von Brunn: München ist die sicherste Großstadt in ganz Deutschland und eine der sichersten Städte der Welt. Aber manchmal fällt es schwer, die Berichte über Verbrechen mit kühlem Verstand einzuordnen. Angst ist eine starke Emotion. Zumal, wenn aus politischem Kalkül mit dieser Furcht gezündelt wird. Auch die Terroranschläge der letzten Jahre haben diese Angst verschärft. Wichtig ist eine gute Sozialpolitik als Prävention von Verbrechen. Und eine gute Sicherheitspolitik, aber mit Augenmaß, um Freiheit und Offenheit zu bewahren.
"Schwierigkeiten offen beim Namen nennen"
Viele Menschen haben Angst vor den heute sichtbarer gewordenen rechtspopulistischen Strömungen. Aber es haben sich auch noch nie so viele Bürger für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement in ganz unterschiedlichen Bereichen interessiert. Tausende von Menschen gehen plötzlich für Europa auf die Straße – und nicht gegen etwas. Sind das Bewusstsein dafür, das wir eine noch nie zuvor erreichte Lebensstandard und Möglichkeiten genießen dürfen, und der Wille, das Erreichte für uns und unsere Kinder zu bewahren, stärker geworden?
Florian von Brunn: Unsere Gesellschaft, ja ganz Europa, ist gespalten. Auf der einen Seite gibt es viele Menschen, die Menschenrechte, Offenheit und eine freies Europa hoch schätzen und verteidigen. Auf der anderen Seite wächst eine rechte Strömung, die von Angst profitiert und daraus Gewinn schlagen will. Wir dürfen nie vergessen, dass solche ultrarechten Kräfte die größte Katastrophe in der Geschichte Europas verursacht haben. Wichtig ist, dass die Politik die bestehenden Probleme anpackt. Und dass wir die Schwierigkeiten offen beim Namen nennen, um Lösungen zu finden. Aber ohne sie politisch zu instrumentalisieren. Europa ist unsere beste Chance für die Zukunft: Nur so bestehen wir gegen Trump und Putin. Nur mit Europa können wir den Klimawandel aufhalten, die Umwelt schützen und uns für eine gerechte Weltwirtschaft einsetzen.
"Es ist die Mühe wert"
Angst vor Veränderungen ist - oft ohne diese überhaupt konkret fassen zu können - ein Motor für die bei manchen Menschen zu beobachtende Bereitschaft zur Radikalisierung. Kann man Angst mit Offenheit auffangen? Ohne Offenheit für Andere und andere Argumente lässt sich kein Konflikt lösen – weder in der Familie oder Schule / Beruf noch in der politischen Diskussion. Wie erhalten wir uns die Bereitschaft, einander zumindest ansatzweise zuzuhören – „Recht haben“ will ja jede(r) gerne?
Florian von Brunn: Zuhören und offen diskutieren ist nicht leicht. Und es ist manchmal anstrengend, aber die Mühe wert. Man muss es auch lernen. Eltern müssen ihren Kinder zuhören und mit ihnen vernünftig diskutieren. In der Schule gibt es Nachholbedarf. Hier ist eine gelebte Praxis wertschätzender Diskussion besonders wichtig. Denn hier sollte das Zuhören und die Fähigkeit, konstruktiv zu diskutieren, vermittelt werden. Auch deswegen muss die Demokratie an den Schulen gestärkt und im Alltag gelebt werden.
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