"Sein Verhalten ist vorbildlich"
Was bedeutet ein negativer Bescheid für einen Asylbewerber?
"Willkommenskultur" und "Wir schaffen das": Ausdrücke, die im Sommer 2015 Hochkonjunktur in der politischen Sprache hatten. Inzwischen sind diese Begriffe aus der Kommunikation der Regierungen verschwunden. Deutschland schiebt Geflüchtete vermehrt ab. Wer in der Bundesrepublik bleiben darf und wer gehen muss, entscheidet das Gesetz. Angewendet werden die rechtlichen Regelungen von den Entscheidern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Im Februar 2017 hat das Bundesamt über 71.499 Anträge entschieden. Formell funktioniert das Verfahren: Die Entscheider prüfen nach der Gesetzeslage jeden Fall einzeln und legen sich im Anschluss fest. Wer "Wirtschaftsflüchtling" ist, aus einem sicheren Herkunftsland stammt und keine Verfolgung zu befürchten hat, darf nicht in Deutschland bleiben. So einfach ist das.
Situation im Herkunftsland
So einfach ist das nicht – nicht für die Menschen, die mit der Entscheidung leben müssen, mag diese auch begründet und nach formellen Gesichtspunkten korrekt sein. Jeder Antrag spiegelt ein Schicksal. Jeder negative Bescheid zerstört eine Hoffnung. Keine Abschiebung nimmt Rücksicht auf persönliche Integration. Bleiberecht bekommt nicht automatisch, wer sich am meisten engagiert, am schnellsten Deutsch lernt oder am fleißigsten arbeitet. Bleiberecht erhält, wer die richtigen Fluchtgründe hat. Diese orientieren sich an der Situation im Herkunftsland. Heruntergebrochen: Gegebenheiten in der Heimat entscheiden – nicht Leistung oder Integrationsbereitschaft.
Als offensichtlich unbegründet abgelehnt
Dass diese Praxis dem sensiblen Thema, Einzelschicksalen und Menschen nicht gerecht wird, ist kaum verwunderlich. Integration verbessern sollte auf dem Plan der Politik stehen. Stattdessen diskutieren die Verantwortlichen über Terrorismus und "Wirtschaftsflüchtlinge". Ein solcher "Wirtschaftsflüchtling" ist laut Bescheid des BAMF auch Omar aus Westafrika. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Seit September 2016 absolviert er eine Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme mit produktionsorientiertem Ansatz (BvB-Pro) im Projekt der Stadtwerke München. Nebenbei steht er von Montag bis Samstag als Hilfe in der Küche eines Restaurants. In der Woche arbeitet er 55 Stunden. Sofort soll er jetzt Deutschland verlassen – sein Asylantrag wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt: "Der Antragsteller halte sich nur aus wirtschaftlichen Gründen, oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet auf."
Die Münchner Wochenanzeiger haben sich umgehört und auch Omar gefragt, was ihn in Deutschland hält, wie er das Land erlebt und was eine Abschiebung für ihn bedeutet:
"Ich fühle mich zuhause"
Omar:
"Ich schätze vieles an Deutschland, will mich aber auf verschieden herausragende Punkte konzentrieren, die für mich besonders einprägsam waren:
Gastfreundschaft – ich fühle mich zuhause, vom ersten Tag an bis heute habe ich nur Mitgefühl, Bemühen und Freundlichkeit von den Deutschen erfahren.
Gleichheit vor dem Gesetz – in Deutschland wird jeder gleich behandelt. Es spielt keine Rolle, welche Religion, oder Abstammung du hast, aus welchem 'Tribe' oder welcher Ethnie du kommst.
Integration – Deutschland ist das einzige Land, in dem die meisten Geflüchteten und Migranten gut integriert sind.
Bildung – das deutsche Bildungssystem hat mich dazu gebracht, dieses Land lieben zu lernen. Es ist der Grund, warum ich unbedingt in Deutschland bleiben möchte.
"Die Deutschen sind liebevoll und freundlich"
Deutschland fühlt sich an wie Zuhause, ich bin gerne hier. Natur und Kultur sind wunderschön, sie versetzen mich jedes Mal in Staunen, wenn ich neue Teile Deutschlands besuche und kennen lerne. Hier gehe ich zur Schule, ich arbeite und mache meinen Führerschein. Wenn ich zurück muss, muss ich von vorne anfangen, wieder bei Null, das wäre das schlimmste für mich.
Sport – die Freizeitsport-Möglichkeiten haben mich motiviert wieder auf das Feld zu gehen und Fußball zu spielen, im Moment spiele ich beim FC Stern München.
Die Deutschen sind aufgeschlossen, liebevoll und freundlich. Ich habe die Kultur der Deutschen angenommen, eine großartige Lebensart, die mich dazu motiviert, mir in Deutschland ein Leben und eine Heimat aufzubauen."
"Ich habe Angst, verfolgt zu werden"
Ich will um keinen Preis zurück, dafür gibt es viele Gründe: Ich habe Angst, verfolgt zu werden. Außerdem lebt keines meiner Familienmitglieder in Sierra Leone, wohin ich gehen soll. Wir sind alle während des Krieges dort geflohen, ich wäre ganz allein. In diesem Land werden Menschenrechte und Demokratie missbraucht. Afrika ist generell ein Kontinent, in dem Machthaber komplett versagt haben vor den Wählern, die sie erst in ihre Positionen gebracht haben. Ich bin heute hier in einem Land, in dem uneingeschränkte Demokratie herrscht und ich möchte nicht vom Paradies direkt in der Hölle landen.
"Die Menschen hier sind immer da"
Ich mag Deutschland so sehr, weil in diesem demokratischen Staat alle Menschen gleich behandelt werden, unabhängig von Rasse, Religion oder Hintergrund. Die Menschen hier geben alles, was sie können, um die bestmögliche Integration zu gewährleisten. Sie motivieren mich, niemals die Hoffnung zu verlieren und sie helfen mir, wieder auf den richtigen Weg zu finden, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Sie sind immer da und unterstützen mich."
"Volkswirtschaftlich betrachtet Wahnsinn"
Bernhard Kwiatkowski betreut den betroffenen Geflüchteten ehrenamtlich im Helferkreis Untergiesing:
"Omar lernte ich Anfang 2016 als Mitglied im Helferkreis Untergiesing für die "Osram-Unterkunft" kennen. Er besuchte dort einen Deutsch-Grundkurs, den ich mit einem Kollegen anbot. Er fiel uns durch seine schnelle Auffassungsgabe und seinen Ehrgeiz auf, er war unser "Klassenbester", aber er wollte noch viel weiter. Im Rahmen einer persönlicheren Betreuung erfuhr ich auch mehr Einzelheiten aus seinem Leben in Sierra Leone und Gambia – Ländern, die zu den ärmsten dieser Welt zählen, Sierra Leone zudem mit massiver politischer Unterdrückung – vom Tod seines Vaters, der Unmöglichkeit, an Schule und Bildung zu kommen und seiner Flucht aus diesem Land im Alter von 16 Jahren. Als er hier ankam war er knapp 19 Jahre alt. Eine genauere Befragung nach seinen Erlebnissen in den letzten drei Jahren verbietet jeder Trauma-Therapeut.
"Schnelle Auffassungsgabe und Ehrgeiz"
Und innerhalb eines Jahres hier lernte Omar nicht nur sehr gut Deutsch, er überzeugte alle in Schule, Praktika oder jetzt im Stadtwerkeprojekt von seinen intellektuellen Fähigkeiten und charakterlichen Stärken. Ihn – wie auch viele andere junge Menschen in ähnlicher Situation – aufgrund verwaltungstechnischer und juristischer Definitionen aus diesem Prozess zu reißen und abzuschieben finde ich schon rein volkswirtschaftlich betrachtet einen Wahnsinn, von humanitären Aspekten ganz zu schweigen."
"Von Anfang an sehr zielstrebig"
Hans-Peter Mumber unterrichtet den betroffenen Geflüchteten im Zuge der Berufsvorbereitungsmaßnahme:
"Ich habe Omar im September 2016 kennengelernt, als er bei uns in der Berufsvorbereitungsmaßnahme angefangen hat. Seitdem begleite ich ihn als Lehrer in den Fächern Deutsch und Mathe. Omar war von Anfang an sehr zielstrebig. Er wollte schon damals eine Ausbildung im Metallbereich machen, am liebsten Anlagenmechaniker werden. Konsequent hat er an der Metallgrundausbildung mit viel Engagement teilgenommen und sie als einer der Besten abgeschlossen.
"Ein unglaublicher Fortschritt"
Sein Ausbilder ist auch von seinen sekundären Arbeitstugenden sehr angetan: Omar ist immer pünktlich, hat keine Fehlzeiten, arbeitet genau und konzentriert. Sein Sozialverhalten ist vorbildlich. Er ist bei seinen Kollegen sowohl beliebt, als auch angesehen. Bei mir im Unterricht ist er immer aufmerksam und fleißig. Seine Mathematik-Kenntnisse waren schon von Haus aus gut. Mit dem Deutschen hat es anfangs noch nicht so gut geklappt, aber Omar hat viel geübt, sowohl bei mir im Unterricht, als auch in seiner Freizeit. Oft hat er sich zusätzliche Übungen von mir geben lassen oder hat sich im Internet selbst welche gesucht. Mittlerweile ist Omar einer der Besten in Deutsch geworden. Für mich ein unglaublicher Fortschritt.
Wenn man sich dann noch vor Augen hält, dass Omar in der Gemeinschaftsunterkunft unter unsäglichen Bedingungen wohnt und auch nebenher arbeitet, um sein Grundeinkommen aufzubessern, so ist es umso erstaunlicher, was dieser junge Mann in der Kürze der Zeit erreicht hat. Ich fände es sehr schade, wenn ihn die deutsche Gesellschaft nicht als vollwertiges Mitglied akzeptieren würde."
"Respekt vor seinen Anstrengungen"
Geli Feigenbutz, Leiterin der Initiative "Ein Teller Heimat Giesing":
"Bei meiner Suche nach Köchen für ein Integrations-Koch-Event habe ich als Leiterin des Projekts "Ein Teller Heimat Giesing" den jungen Omar in der Unterkunft Hellabrunnerstraße kennengelernt. Er hat sich als erster Koch auf Deutsch bei mir per E-Mail vorgestellt. Sein professionelles Antwortschreiben habe ich nicht erwartet. Bei den anschließenden Treffen zur Planung des Koch-Events war er stets pünktlich und sehr konzentriert dabei, die Aufgabenstellung perfekt zu meistern. Ich war begeistert von seiner Art, die Dinge in Angriff zu nehmen: effektiv wie effizient und dabei auch noch freundlich grinsend. Das Menü aus seiner Heimat, das er ohne fremde Hilfe den Gästen präsentiert hat, ist mir immer noch als sehr delikat und köstlich in Erinnerung – etwas mit Meeresfrüchten und exotischem Gemüse, das ich noch nicht kannte – himmlische Geschmacksvarianten!
"Solche Einwanderer wünschen wir uns"
Ich habe großen Respekt vor seinen Anstrengungen sich hier zu integrieren. In so jungen Jahren aus seiner Heimat in Afrika fliehen zu müssen, hier in unserer Leistungsgesellschaft, mit uns in Kooperation zu gehen, sich so wirkungsvoll integrieren zu können – das verlangt Respekt. Das Projekt "Ein Teller Heimat Giesing" und viele unserer deutschen Gästen wünschen Omar von Herzen, dass unser Asylrecht ihn berechtigt, hier zu leben und zu arbeiten. Solche jungen, tüchtigen und sympathischen Einwanderer wünschen wir uns."
Widerspruch eingelegt
Der junge Westafrikaner hat gegen die Entscheidung des BAMF Widerspruch eingelegt. Er hat einen Anwalt, der diesen Widerspruch innerhalb der nächsten Tage begründen muss. Wie es danach weitergeht, ist unklar.
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