Rechnerisch noch alles möglich
Die aktuelle Situation beim FC Bayern
Noch vier Spiele bis zum Abschluss der Bundesliga-Hinrunde und immer noch neun Punkte Rückstand auf den Erzrivalen und derzeitigen Tabellenführer aus Dortmund. Auch nach dem 1:2-Auswärtserfolg gegen Werder Bremen läuft der FCB nach wie vor der Konkurrenz und der Bestform hinterher. Die Trainerdebatte ist dadurch trotz zweier Siege in Folge – darunter das 5:1 gegen Benfica Lissabon in der Champions League – zumindest in den Medien in vollem Gange. Dennoch stellt sich die Frage, ob die derzeitige sportliche Situation wirklich allein Niko Kovac zuzuschreiben ist.
Statistisch gesehen schlecht
Vor rund einer Woche veröffentlichte die tz statistische Belege dafür, wie schlecht die Bayern unter Trainer Niko Kovac tatsächlich abschneiden . Nach dem 13. Spieltag stellt sich die Situation für den Rekordmeister in der Bundesliga wie folgt dar:
- Spiele: 13
- davon gewonnen: 7 (dazu 3 Niederlagen und 3 Unentschieden)
- Tore: 25, Gegentore 18
- Punkteschnitt: 1,85 pro Spiel
- Platz: 4
Wettbewerbsübergreifend liegt der Punkteschnitt laut Angaben von transfermarkt.de bei 2,19 – ein Wert, der nicht so schlecht klingt. In der laufenden Saison kommt aber etwa Dortmunds Trainer Lucien Favre auf einen Durchschnitt von 2,45 Punkten pro Spiel, Dieter Hecking liegt mit Borussia Mönchengladbach bei 2,00 Punkten pro Spiel. Das klingt nach Nuancen, aber die machen im letzten Fall den Unterschied zwischen Platz 2 und Platz 4 in der Bundesliga-Tabelle aus. Abgesehen davon sind Nuancen auch FCB-intern durchaus relevant.
Zur Verdeutlichung: In seiner letzten Saison bei Eintracht Frankfurt kam Kovac auf einen Punkteschnitt von 1,44 pro Spiel, am Ende reichte das für Platz 8. Das ist sicher nicht der Anspruch des FC Bayern und die Fragen, ob die Entscheidung für Kovac die richtige war, gewinnen vor dem Hintergrund früherer Trainerentlassungen zunehmend an Gewicht. Unter Carlos Ancelotti etwa gelang zwar der Meistertitel in der Premierensaison, ein 3. Platz in der Bundesliga bei einem – insgesamt betrachtet – Punkteschnitt von 2,28 reichten aber dennoch nicht aus. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde Ancelotti aus den Diensten des FCB entlassen.
Ähnlich erging es Jürgen Klinsmann, der von Juli 2008 bis Ende April 2009 auf der Trainerbank saß: Nach dem Aus in Champions League und DFB-Pokal – in beiden Fällen im Viertelfinale – und einem 3. Platz in der Bundesliga musste Klinsmann gehen. Ein Punkteschnitt von 1,95 und 25 Siege bei neun Niederlagen und neun Unentschieden waren schlussendlich zu wenig.
Auffällige Heimschwäche in der Bundesliga
Gemessen an diesen Werten müsste die Luft für Nico Kovac daher bereits mehr als dünn sein. Vor allem, weil Pep Guardiola und Jupp Heynckes bereits gezeigt haben, dass deutlich mehr machbar ist (beide mit einem Punkteschnitt von 2,4). Das hatte auch der Start in die Saison mit vier Siegen in Folge versprochen, unter Kovac legten die Münchner standesgemäß los – nur um dann einen Einbruch zu erleben.
Besonders auffällig dabei: In der Bundesliga gelangen im eigenen Stadion lediglich zwei Siege, bei drei Unentschieden und einer Niederlage. Neben der unerwartet geringen Punkteausbeute in der Allianz-Arena ist es vor allem die Torbilanz, die zu denken gibt. Nur ein Tor schossen die Bayern insgesamt mehr als ihre Gegner, von Aufsteiger Fortuna Düsseldorf und den Gladbachern, dem ständigen Rivalen aus früheren Tagen, gab es jeweils sogar drei Gegentore.
Genauso problematisch wie die Anzahl der Gegentore, sind die Zeitpunkte, zu denen diese fallen – nämlich häufig noch recht spät. Das ist in der Liga keine Seltenheit, wie die Statistik aus der Saison 2017/18 zeigt : Tore zwischen der 76. und 90. Minute fallen sogar vergleichsweise häufig. Die drei Unentschieden der laufenden Saison folgend diesem Trend. Gegen den FC Augsburg fiel der Ausgleich durch Felix Götze in der 86. Minute, dem Freiburger Lucas Höler gelang der Ausgleichstreffer in der 89. Minute und Dodi Lukebakio sicherte den Düsseldorfern noch in der dritten Minute der Nachspielzeit einen Auswärtspunkt in München. Patrick Hermanns Treffer in der 88. Minute zum 0:3-Endstand für Borussia Mönchengladbach fällt ebenfalls in dieses Schema.
Suche nach Gründen
Warum aber schaffen es die Bayern in dieser Saison nicht, solche knappe Spiele sicher nach Hause zu bringen? Noch dazu gegen Gegner, die üblicherweise nicht in denselben Tabellenregionen verkehren wie der Rekordmeister.
DIE VERLETZTEN
Ein Grund mag der angeschlagene Kader sein. Bei der Saison-Eröffnung gegen die TSG 1899 Hoffenheim erlitt etwa Kingsley Coman einen Riss des Syndesmosebands am linken Sprunggelenk nach einem Foulspiel von Nico Schulz, Verteidiger Rafinha trug nach einem Foul von Leverkusens Bellarabi eine Innenbandverletzung davon.
Nico Kovac und die Bayern-Verantwortlichen eröffneten daraufhin eine Debatte um die vermeintlich überharte Spielweise der Gegner . Nur: Die Statistik untermauert die Einschätzung nicht, dass die Bundesligisten den Münchnern vor allem durch körperliches Spiel beizukommen versuchen. Zu Beginn der Saison waren es besonders die Aufsteiger, die unter einer vermehrten Zahl von Fouls zu leiden hatten, mit einem Durchschnitt von 12,1 Fouls pro Spiel fiel der Wert sogar etwas niedriger aus als in der Vorsaison. Nach dem 13. Spieltag ist er sogar auf 10,46 Fouls pro Spiel gesunken. Ein schwacher Trost, denn die foulbedingten Verletzungen von Coman und Rafinha lassen sich damit natürlich nicht wegdiskutieren.
Ebenso wenig wie die Tatsache, dass es eben nicht die Gegenspieler sind, die sich für die teils schwerwiegenden Verletzungen von Bayern-Spielern verantwortlich zeichnen. Der Kreuzbandriss von Corentin Tolisso beispielsweise stammt ebenfalls aus dem Spiel gegen Bayer Leverkusen, der junge Franzose war dabei keineswegs gefoult worden. Mittelfeldspieler James Rodríguez verletzte sich beim Training schwer, zog sich einen Teilriss des Außenbandes im linken Knie zu. Thiago traf es hingegen im DFB-Pokalspiel gegen den SV Rödinghausen hingegen wäre wieder ein Fall, in dem ein Foulspiel zu einer Verletzung (Bänderriss im rechten Sprunggelenk) führte.
DER KADER
Angesichts der Verletztenliste bei den Bayern, die noch dazu regelmäßig mit mehr oder weniger schweren Fällen aktualisiert wird, ist es gleichermaßen bewundernswert wie erschreckend, dass „die alte Garde“ trotzdem noch gegenhält – darunter auch eher verletzungsanfällige Kandidaten wie Franck Ribéry und Arjen Robben. Die beiden sind, ohne ihre spielerische Klasse damit in Abrede stellen zu wollen, dennoch gleichzeitig Teil eines anderen Problems.
Ribéry und Robben zählen zu denjenigen Bayern-Spielern, die noch vor fünf Jahren unter Jupp Heynckes das Triple schafften und auch heute noch zu den Leistungsträgern gehören: Manuel Neuer, Jerome Boateng, David Alaba, Javi Martínez, Thomas Müller, Mats Hummels und Robert Lewandowski sind nach wie vor ein wichtiger Bestandteil des Kaders , aber eben auch einer der älteren. Entsprechend häufig stellt der FCB den ältesten Kader der Liga, beim Auswärtssieg gegen den VfB Stuttgart lag der Altersschnitt bei 29,3 Jahren.
Zum Vergleich: Die sportlich im Mittelfeld anzusiedelnden Mainzer liefen beispielsweise am 7. Spieltag mit einer Truppe auf, die im Durchschnitt 22,8 Jahre alt war. Der Verweis auf die Erfahrung gestandener Profis kann hier nur bedingt anerkannt werden, schließlich schafften es die Dortmunder in dieser Saison ebenso wie die Leipziger in vielen Spielen, auf einen Altersschnitt von unter oder nur sehr knapp über 25 zu kommen.
Dass dieser Kader mit 24 Spielern, von denen allein vier Torhüter sind, für eine Mannschaft, die auf höchstem Niveau in drei Wettbewerben spielen und einen Großteil ihrer Spieler für Länderspiele abgeben muss, vergleichsweise knapp bemessen ist, kommt erschwerend hinzu. Manchester City verfügt insgesamt immerhin über zwei Spieler mehr, beim FC Chelsea sind 28 Spieler unter Vertrag, ebenso bei Paris Saint-Germain. Der FC Barcelona sticht in dieser Hinsicht heraus, weil er ein ähnliches Pensum mit lediglich 23 Spielern absolviert.
DAS SPIEL
Auf dem Platz ist es, von der teilweise überdeutlichen Verunsicherung, im Grunde genommen ein ähnliches Spiel, wie es aus den vorherigen Spielzeiten bereits bekannt ist:
- Gespielt wird Ballbesitzfußball, auf 67 Prozent kommen die Bayern in dieser Saison bislang. Das klingt nach deutlich weniger als noch unter Pep Guardiola, reicht aber immer noch mit deutlichem Vorsprung zur Spitzenposition.
- Das gilt genauso für das Passspiel: Mehr als 200 Pässe spielt der FCB durchschnittlich pro Spiel mehr als seine Gegner, bei einer Passquote von fast 90 Prozent.
- Topp sind die Bayern auch bei den Torschüssen, etwas mehr als 17 Mal versuchen sie es in jeder Partie.
Warum steht der FC Bayern dann trotzdem nur auf Platz 4 in der Tabelle? Das lässt sich an einem einzigen Faktor festmachen: Offensiv fehlt die Effektivität. Der Dortmunder Borussia beispielsweise reichen knapp 13 Torschüsse pro Spiel, um damit fast drei Tore zu erzielen. Bei den Münchnern werden aus den rund 17 Versuchen lediglich knapp zwei Tore.
Entsprechend sieht es daher in der Torjäger-Statistik der Bundesliga aus, in der Robert Lewandowski mit sieben Treffern auf Platz 9 liegt. Es folgen Thomas Müller mit vier Toren (Platz 24) sowie Serge Gnabry und James Rodríguez mit jeweils drei Toren (Platz 33 bzw. 35). Bei Eintracht Frankfurt haben allein Luka Jovic (10 Tore) und Sebastien Haller (9 Tore) schon mehr Tore als das Bayern-Quartett, genauso wie Paco Alcacer (10 Tore) und Marco Reus (9 Tore) von Borussia Dortmund.
Nimmt man die Assists noch dazu, verbessert sich das Bild übrigens nur wenig. Robert Lewandowski kommt mit insgesamt 12 Scorerpunkten auf Platz 5 unter den Bundesliga-Spielern, Thomas Müller auf insgesamt sieben und Platz 17. Zusammen stehen für die Bayern aktuell 22 Assists und 25 Tore zu Buche. Dennoch sind mit Hoffenheim, Frankfurt, Mönchengladbach und Dortmund gleich vier Teams besser – was sich eben auch in der Tabellensituation niederschlägt.
Immerhin: Rechnerisch ist noch alles möglich, die beiden Siege gegen Lissabon und Werder Bremen markieren möglicherweise einen Wendepunkt in dieser Saison. Den wird es allmählich allerdings auch brauchen. Platz 2 ist zwar nach der Niederlage der Gladbacher beim direkten Konkurrenten RB Leipzig in Schlagweite gekommen. Trotzdem hat der bisherige Saisonverlauf gezeigt, dass selbst bei den Bayern nichts unmöglich zu sein scheint.
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH