"Pure Nähe, Liebe und Freude"
Rainer Schießler, Stadtpfarrer St. Maximilian
Wovor haben Sie Respekt?
Es ist 8.30 Uhr morgens im Schulzentrum St. Franziskus in Ingerkingen in Baden-Württemberg. Alle Schüler sind versammelt, Kinder und Jugendliche mit leichteren motorischen Störungen, Autisten, vom sog. Downsyndrom Betroffene, aber auch wirklich Schwerstbehinderte in ihren Liegerollstühlen. Es erklingt eine schnittige Musik, ein Tanzlied aus der Musikanlage, das jedem Clubsong eines Ferienclubs Konkurrenz machen kann. Und es wird geklatscht und mitgesungen, wenn es nur irgendwie möglich ist. Vor allem aber wird gelacht, gerufen und sich einfach nur gefreut. "Mensch, wenn mein Schultag an der normalen Grund- und Hauptschule so beginnen könnte", denke ich mir. Schule heißt hier auch, einfachste Dinge zu lernen wie ein Glas Wasser selber einzuschenken oder Gegenständen zu greifen, aber auch Lesen und Schreiben für die weniger gehandicapten Kinder.
Mittendrin hüpfen und tanzen ausnahmslos engagierte Lehrer, Pfleger und Betreuer, alles junge, hübsche, lebensfrohe und anständige Leute. Sie klatschen zusammen mit den Händen ihrer spastisch gelähmten Kinder, streicheln sie, lachen sie an, drücken sie und spenden unentwegt Freude. Da gibt es keine Berührungsangst, keine Unsicherheit, keine Distanz, sondern nur pure Nähe, Liebe und Freude zu ihnen doch eigentlich fremden Menschen zu spüren. Und ich steh da, darf zuschauen, mitmachen und bin so gerührt, dass ich am liebsten losheulen möchte.
In diesem Moment möchte ich es herausschreien, wieviel Hochachtung und Respekt, ja Ehrfurcht ich vor diesen Betreuern gerade erfahre, die so viel Würde und Anerkennung hier den Menschen geben, die unsere Mehrheitsgesellschafft eigentlich für überflüssig hält und für sie oftmals gerade noch eine Portion Mitleid aufbringen kann. Diese jungen Leute machen das einzig Richtige: Sie leben mit ihnen, weil es das normalste auf der Welt ist!
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