"Pfleger sind keine Handlanger!"
Ärzte und Pfleger stemmen sich gemeinsam gegen Schieflage
"Eine Klinik ohne Ärzte ist ein Pflegeheim", sagt Christoph Emminger. Als Vorsitzender der ÄKBV (Ärztlicher Kreis- und Bezirksverband München) spicht er für gut 20.000 Mediziner in und um die Landeshauptstadt. Und was ist eine Klinik ohne Pfleger? "Wenn die Pflege fehlt, geht gar nichts mehr", fast Emminger zusammen: "Ohne Pfleger können wir Ärzte die Versorgung unserer Patienten nicht gewährleisten!"
13.000 zusätzlichen Stellen in der stationären Altenpflege hat Gesundheitsminister Spahn jüngst versprochen. Die Lücke ist größer: 63.000 Pfleger-Stellen fehlen laut verdi bundesweit in der stationären Altenpflege - und in den Krankenhäusern gar 80.000 Stellen.
Selbst die versprochenen 13.000 Stellen bedeuten keine tatsächlich einsetzbaren Pflegekräfte: "Das ist ja nur eine Finanzierungszusage", erläutert Andreas Westerfellhaus. Er ist der neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung und ergänzt: "Jetzt müssen wir überlegen, wie man diese Stellen auch besetzen kann!"
"Wie im Brennglas"
Auch die Kliniken in der bestens versorgten Stadt München stehen zunehmend vor dem Problem, Pflegekräfte zu finden: "Hier in München fokussieren sich die Probleme wie in einem Brennglas", so Ärzte-Chef Emminger. Geschlossene Stationen und nicht belegbare, aber dringend benötigte Betten auf abgemeldeten Intensivstationen, eingeschränkte OP-Termine, vermehrt Berichte über Mängel durch den Einsatz von unzureichend qualifizierten Beschäftigten kennt man inzwischen auch hier. Um Lösungsansätze zu diskutieren, hatte der ÄKBV zu einem Diskussionabend "Notfall Pflege" eingeladen. Damit setzen die Ärzte ein wichtiges Zeichen: Sie wissen, dass die beiden großen Berufsgruppen in den Kliniken - Mediziner und Pfleger - die Herausforderungen nur gemeinsam angehen können.
"Die Belange der Pflege müssen auch die Belange der Ärzteschaft sein", unterstrich Emminger. Er forderte, den Pflegeberuf attraktiv und konkurrenzfähg zu gestalten. Für Pfleger müsse ein Leben mit Familie auch in einer Stadt wie München möglich sein. Zudem müssten Arbeitsabläufe in den Kliniken verbessert werden.
Er sieht durchaus Schritte in die richtige Richtung: Die Politik habe erkannt, dass die pflegerische Versorgung besonderer Aufmerksamkeit bedarf. "Das gesellschaftliche Image der Pflegekräfte ist hervorragend. Es reicht fast an das der Ärzte."
"Viele unterschätzen die Komplexität der Pflege komplett"
"Notaufnahmen sind überfüllt. Die Versorgung wird schwieriger - insbesondere im Kinderbereich", bestätigte Günter Milla (Leiter des Bereichs Pflege und Service im Städtischen Klinikum München). Der Pflegedienst in Deutschland sei im europaweiten Vergleich am schlechtesten besetzt: Bei uns müsse sich ein Pfleger im Schnitt um 13 Patienten kümmern, in Norwegen habe er für 5,4 Patienten Zeit.
Der Rahmen werde sich bis 2050 weiter verändern, so Milla: Die langfristige Pflegebedürftigkeit, die Lebensdauer und die Zahl der Demenzpatienten werden zunehmen. Insbesondere in der Singlehauptstadt gebe es schon jetzt viele Patienten, die sich nicht mehr selbst versorgen können - die also auch nach einem Klinikaufenthalt auf Hilfe angewiesen sind. "Soziale Unterstützungssysteme brechen weg", warnte Milla.
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuzwirken, müsse die Pflege mehr Verantwortung und Eigenständigkeit bekommen. "Wir gewinnen junge Menschen nur dann, wenn sie nicht nur weisungsbefugt arbeiten müssen, sondern mehr Verantwortung und größere Autonomie haben." Die Pfleger leisten hervorragende Arbeit: "Viele unterschätzen die Komplexität der Pflege komplett."
Wer Pflegekräfte finden und halten wolle, müsse für ein entsprechendes Einkommen, für Wohnraum, für Parkraum und familiengerechte Arbeitszeiten sorgen. Pflegekräfte in Ausbildung müsse man finanziell unterstützen und Pflegehelfer weiterbilden.
"Ich kann nichts versprechen"
Die Erwartungshaltung ist groß, weiß auch der neue Pflegebeauftragte Andreas Westerfellhaus. "Ich kann nicht versprechen, was herauskommt", räumt er ein, "aber ich verspreche, mich dafür einzusetzen, das Maximum herauszuholen." Die gute Versorgung der Patienten, die gute Pflege, sei sein Ziel.
Zwar sei bereits ein Wandel bei der Wahrnehmung der Pflege zu erkennen, aber: "Nur von Anerkennung und Wertschätzung können Pflegekräfte und ihre Familien nicht leben!" Das Miteinander der Berufsgruppen im Krankenhaus müsse man neu gestalten: "Pfleger sind keine Handlanger - SIe können etwas, was andere nicht können!"
Auch er ist überzeugt, dass Pflegekräfte mehr Autonomie im Arbeitsalltag brauchen. Denn: Viele Pflegekräfte sind unzufrieden in ihrem Beruf. Wenn sie gehen, erhöht sich der Druck auf die, die bleiben. "Diesen Weg müssen wir schnellstmöglich verlassen. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen. Das muss sofort passieren!", so Westerfellhaus. Pflege sei ein verantwortungsvoller, hochprofessionelller Beruf. Er wirbt leidenschaftlich für faire Löhne, zeitgemäße Arbeitsbedingungen, eine Reform der Berufsausbildung. Westerfellhaus sieht einen "Beginn" und macht Hoffnung: "Es bewegt sich etwas!"
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