"Münchner Mieter brauchen eine Lobby"
Werbe-Spiegel-Leser diskutieren mit Michael Piazolo (FW) über explodierende Mietpreise und Wege aus dem Dilemma
Der Münchner Mieter hat sich inzwischen an vieles gewöhnt: Ständig steigende Miet- und Nebenkosten, Menschentrauben bei jeder Wohnungsbesichtigung, Berichte von alteingesessenen Münchnern, die nach 62 Jahren aus Kostengründen ihre geliebte Wohnung verlassen müssen. Erst im Juni gab das Institut für Immobilienmarktforschung (IVD) bekannt, dass die Mieten in der bayerischen Landeshauptstadt mit inzwischen bis zu 14,50 Euro pro Quadratmeter im Neubau einen historischen Höchststand erreicht haben. Und auch im Umland setzt sich der hohe Preisdruck fort. Zeitgleich zittern derzeit noch rund 8.000 Mieter des bayerischen Wohnungsunternehmens GBW in München davor, dass ihre Wohnungen in Spekulantenhände fallen könnten. Die volle Ausschöpfung der gesetzlich möglichen Mietpreissteigerung von bis zu 20 Prozent alle drei Jahre wäre vermutlich die Folge.
Was also können wir tun gegen die Mietpreisexplosion in München? Zu diesem aktuellen Thema diskutierten im Rahmen der Werbe-Spiegel-Reihe „Sommergespräche im Hirschgarten“ interessierte Leserinnen und Leser mit Michael Piazolo, der seit 2008 die Freien Wähler als Abgeordneter im Bayerischen Landtag vertritt. Zur Lösung der Probleme auf dem Münchner Mietmarkt schlägt er ein Bündel an Maßnahmen vor, dass von der Novellierung des Münchner Mietspiegels über das Anstoßen von alternativen, gemeinschaftlichen Wohnprojekten bis hin zu einer noch stärkeren Vertretung der Interessen von Münchner Mietern auf Landes- und Bundesebene reicht.
3.500 Wohnungen fehlen jedes Jahr
Gleich zu Beginn des Gesprächs machte Michael Piazolo klar, dass es natürlich zahlreiche Faktoren gibt, die den Münchner Mietmarkt, mit rund 700.000 Mietern und einer Eigentumsquote von weniger als 23 Prozent, zu dem gemacht haben, was er heute ist. „Natürlich ist aber der Hauptgrund für die extrem hohen Mieten darin zu sehen, dass wir schlicht und einfach zu wenig Wohnungen in München haben und das Angebot der Nachfrage nicht hinterher kommt“, so Piazolo. Erklärtes Ziel der Stadt München sei es, rund 7.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, um den Bedarf decken zu können.
„Abgesehen davon, dass damit sowieso nur der Zuzug abgedeckt werden kann und nicht der steigende Bedarf der Münchner selbst, die beispielsweise als Singles in immer größeren Wohnungen wohnen wollen, hat die Stadt ihr Ziel in den vergangenen Jahren nie erreicht“, so Piazolo. Im Schnitt wären höchstens die Hälfte der Wohnungen, also rund 3.500 Einheiten, gebaut worden, im besten Jahr 5.000 Einheiten. Genau sei nicht zu sagen, wie viel Wohnraum momentan konkret fehle, erklärte Piazolo auf Nachfrage von Leser Bernhard Kramer, doch würde man die durchschnittlich fehlende Anzahl an Wohnungen pro Jahr für die letzten zehn Jahre hochrechnen, so käme doch eine staatliche Summe zusammen.
Bezahlbarer Wohnraum geht verloren
Leserin Andrea von Grolman, die auch die Initiativenvernetzung „Bündnis bezahlbares Wohnen“ vertrat, wies darauf hin, dass aber nicht nur zu wenig Wohnungen gebaut würden, sondern dass auch immer mehr bezahlbarer Wohnraum verloren gehe, etwa durch Wegfall der Sozialbindung oder durch den Verkauf ganzer Immobilien an oft ausländische Spekulanten. „Wie so etwas dann aussieht, kann man gut in Untergiesing sehen: Hier hat ein bayerischer Investor eine ehemals der GBW gehörende Immobilie gekauft und die Miete gleich darauf um die gesetzlich möglichen 20 Prozent erhöht. Das ist richtig schlimm für die Mieter dort“, so von Grolman.
„Man muss das Übel an der Wurzel packen“, erklärte sie und verwies auf den Forderungskatalog der Initiativenvernetzung, der speziell für die Lösung der Probleme auf dem Münchner Mietmarkt entwickelt worden sei. Darin fordern die engagierten Mieter unter anderem eine Regionalisierung des BGB-Paragraphen 558, in welchem die gesetzlich mögliche Mieterhöhung von 20 Prozent alle drei Jahre festgeschrieben ist, sowie einen verbesserten Umgang mit dem Denkmalschutz. Auch für die GBW-Mieter setzt sich das Bündnis ein und fordert die Bayerische Staatsregierung derzeit auf, die momentan zum Verkauf stehenden GBW-Aktien zu übernehmen und somit 83.000 GBW-Mietern das bisherige Mietverhältnis zu sichern (Weitere Informationen und Unterschriftenliste unter www.bezahlbares-wohnen.de).
Warum nicht mehr Genossenschaften?
Eine Lösung für das Mietpreisproblem in München könnte vielleicht die vermehrte Gründung von Wohnungsgenossenschaften sein: „Warum werden diese für die Gemeinschaft so sinnvollen Modelle nicht stärker ausgebaut?“, wollte Wilma Stephan von Michael Piazolo wissen. Dieser wies daraufhin, dass der Aufbau von Genossenschaften häufig an den finanziellen Mitteln der Mieter scheitern würde: „Oft haben Mieter vielleicht sogar die Möglichkeit, gemeinsam eine Immobilie zu erwerben, doch vielen fehlt dafür das Eigenkapital“, so Piazolo. Hier müssten mehr spezifische Fördermodelle, wie beispielsweise Konzepte der Anwartschaft, wie es sie in anderen Ländern schon gebe, entwickelt werden und vielleicht auch ein Leitfaden darüber, wie eine Genossenschaft überhaupt aufgebaut werden kann.
Gerade aber die Entwicklung solcher tragfähigen Fördermodelle, die ja dann auch landes- bzw. bundesweit Geltung hätten, sehe sich vor ein anderes Problem gestellt: Die Wohnungsnot sei vor allem ein lokales Problem, das hauptsächlich in den Ballungsräumen bestehe. „Es gibt andere Gegenden in Deutschland oder Bayern, die eher das umgekehrte Problem haben: Es lassen sich keine Mieter finden und man ist derzeit sogar mit dem Rückbau der Wohnungen beschäftigt“, erklärte Piazolo. Die größte Schere in Bayern spannt sich etwa zwischen München und Hof: Die Mieten in der oberfränkischen Stadt zählen nach Angaben des unabhängigen Forschungsinstituts F+B mit zu den günstigen in allen westdeutschen Städten. „Als Münchner Politiker muss man deshalb auf Landes- und Bundesebene auch darauf schauen, dass man gehört wird, und dass die Dringlichkeit des Problems auch den Kollegen in anderen Landesteilen deutlich wird“, so Piazolo. „Münchner Mieter brauchen in dieser Sache eine Lobby."
Attraktivität Münchens erhalten
„Es gibt nicht den Königsweg, mit dem wir das Mietmarktproblem in München lösen“, erklärte Piazolo zum Abschluss des Werbe-Spiegel-Sommergespräches. Vielmehr müsse man an mindestens zwölf verschiedenen Stellschrauben gleichzeitig drehen, um etwas zu verändern. Ein wichtiges Ziel sei, dass alle Menschen, die sich in München wohlfühlen würden und hier leben wollten, sich das auch leisten könnten. Man müsse aber auch betonen, dass auf Münchens Wohnungsmarkt nicht alles schlecht sei: „Wir haben hier anders als in anderen europäischen Großstädten wie Paris oder London, die allerdings noch wesentlich teurer sind, keine Ghettoisierung und keine damit einhergehenden Sicherheitsprobleme“, betonte Piazolo. Es gebe stattdessen gewachsene Viertel mit einer breit aufgestellten Bewohnerschaft aus allen sozialen Schichten. „Gerade das macht München ja auch so besonders lebenswert, dass es hier Multikulti gibt und noch Familien, die sich das Leben in der Stadt mit ihren Kindern leisten können“, betonte Andrea von Grolman. Um auch in Zukunft, diese Attraktivität erhalten zu können, müsse man dafür sorgen, dass die derzeit bereits vorhandene Mietpreisspanne von rund neun Euro im Hasenbergl bis zu rund 14 Euro pro Quadratmeter in Bogenhausen nicht noch weiter auseinandergehe, so Piazolo abschließend.
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