Kino im Kopf
Die besten Filme laufen im Kopf, meint Winfried Bürzle
Es ist bis heute das Kino, in dem die besten Filme laufen. Und das Unglaubliche daran ist, dass es nicht mal Eintritt kostet: das Kino im Kopf!
Die Filme in diesem Kino können Sie in keiner Videothek kaufen, sie stehen nirgendwo zum Download bereit. Denn sie werden von Ihnen selbst geschaffen. In dem Moment, wo Sie eine Geschichte hören, also erzählt oder vorgelesen bekommen oder Sie sie selbst lesen.
Die Bilder im Kopf: Sie sind so stark, so kräftig, so einzigartig, wie sie kein auf Datenträger festgehaltener Film je liefern kann. Jeder, der schon mal zuerst ein Buch gelesen und danach den Film dazu angesehen hat, kennt diesen Effekt. Selten haben die Kinobilder und die eigenen zusammengepasst.
Wir Menschen brauchen diese eigenen Bilder. Nicht nur die Kinder, auch wir Erwachsene. Zunehmend nimmt uns die moderne Welt aber diese Bilder weg. Ob die Fernsehnachrichten über den Vulkanausbruch in Mexiko, die Reisebeschreibung einer entlegenen Traum-Insel im Pazifik oder die Berichte über ferne Welten im Universum: Immer bekommen wir die Bilder dazu vorgesetzt. Und sogar das feine Abendessen, von dem uns ein Freund gerade vorschwärmt, können wir uns nicht mehr „vorstellen“, weil er uns das Foto dazu auf Facebook gleich mitliefert.
Die vorgefertigte Bilderflut, sie erschlägt uns zunehmend. Nicht umsonst haben Hörbücher einen enormen Zulauf. Die Menschen spüren offenbar, dass ihre Phantasie, ihre Vorstellungskraft und dadurch ihre innere Freiheit von den gelieferten Bildern beschnitten wird. Als Radiomann habe ich eine besondere Beziehung zu Text und Sprache und somit viel Verständnis für dieses Gefühl.
Egal, ob wir selbst lesen oder anderen vorlesen. Und egal, ob es ein gutes Buch, ein gescheiter Artikel oder eine schöne Geschichte ist: Hauptsache, wir bewahren uns das Lesen. Denn nur das Lesen lässt uns den wichtigen Spielraum zur Interpretation, zur Reflexion, zur Phantasie, zum „Kino im Kopf eben ...
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