"Jetzt zeigt sich, wo es fehlt"
Digitales Lernen "in der Praxis viel zu umständlich und nur für einen Bruchteil der Lehrkräfte und Schüler geeignet"
Viele Schulen versuchen, über die Zeit von Corona und Schulschließungen mit digitalen Krücken hinwegzukommen. Der bayerische Kultusminister hielt die Situation vor Ostern für herausfordernd, aber handhabbar: "Wir als Schulfamilie halten zusammen. Die Lehrkräfte, die Eltern und die Schülerinnen und Schüler machen ihre Sache sehr gut", so seine Einschätzung nach zwei Wochen Schulschließungen.
Bei der praktischen Umsetzung des digitalen Unterrichts hapert es allerdings an vielen Stellen. Die Bildungsgewerkschaft GEW etwa weist das Kultusministerium darauf hin, dass die Ausstattung der Lehrkräfte mit schuleigenen Endgeräten und datenschutzkonformer Software dringlicher denn je ist. Hinzu komme das Problem der ungleichen Lernchancen sowohl jetzt als auch zukünftig im Regelbetrieb. Die GEW fordert Maßnahmen, sodass einerseits alle Lehrkräfte mit Endgeräten vom Arbeitgeber ausgestattet, aber auch die unterschiedlichen Voraussetzungen der Schüler zunehmend ausgeglichen werden.
"Zu Lasten der Beschäftigten"
In Zeiten von Corona geht viel meist zu Lasten der Beschäftigten, deren Arbeitsbelastung in der aktuellen Situation deutlich zugenommen hat: Lehrkräfte und Schüler kommunizieren über Zoom, Skype oder FaceTime. Videokonferenzen oder Datenaustausch werden über schuleigene Programme wie mebis, meist allerdings über kommerzielle Dienste durchgeführt. In offiziellen Schreiben werde laut GEW darauf hingewiesen, dass Microsoft Office 365 herangezogen werden könnte.
"Wir stehen da wirklich noch in der Steinzeit"
Für Florian Kohl, GEW-Experte für Digitalisierung steht fest: „Es zeigt sich in Zeiten der Krise deutlich, wo es wirklich fehlt: Mebis als digitale Lernplattform ist in der Praxis viel zu umständlich und nur für einen Bruchteil der Lehrkräfte und Schüler geeignet. Digitale Formen des Lernens sind momentan in den meisten Fällen vom Engagement technikversierter Kollegen abhängig. Man sollte schnellstmöglich datenschutzkonforme und barrierefreie digitale Kommunikationsmöglichkeiten bereitstellen, die in der Praxis dafür sorgen, dass Lehrkräfte mit ihren Klassen auch online Kontakt halten können. Schüler benötigen einen Standard an häuslicher digitaler Infrastruktur und entsprechende Anbindung ans Internet, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Wir stehen da in der Breite wirklich noch in der Steinzeit, das sollte allen Beteiligten klar werden.“
"Bearbeiten der Aufgaben schwierig bis unmöglich"
Ein weiterer Aspekt sei neben den Belastungen für Schüler und auch der Eltern die steigende Chancenungerechtigkeit durch die Verlagerung des Unterrichts in die Elternhäuser. Dazu erläutert die Bildungsgewerkschaft GEW: Unterschiedliche digitale Ausstattungen vergrößern dadurch die Chancenungleichheit: Drucker, die nicht zur Verfügung stehen oder nicht funktionieren, eine niedrige Rate bei der Datenübertragung – scheinbare Kleinigkeiten, die ein Bearbeiten der gesendeten Inhalte und Aufgaben schwierig bis unmöglich machen. In ihrer Gesamtheit stellen sie eine große Hürde dar und zementieren Ungleichheit. Auch die Schüler in den Flüchtlingsunterkünften brauchen dringend gute Online-Zugänge und Geräte für ihre schulischen Arbeiten.
Chancen sind nicht fair vergeben
GEW-Vorsitzender Anton Salzbrunn richtet diesen Appell an das Kultusministerium: „Die Schulschließungen zeigen, wie wichtig Schule ist, um Chancenungleichheiten auszugleichen. Der Digitalpakt für Schulen ist das eine, eine staatliche Unterstützung für finanziell schlechter gestellte Familien, um auch zu Hause die notwendigen technischen Geräte anschaffen zu können, ist das andere. Zudem muss der Ausbau einer pädagogisch und personell durchdachten und gut ausgestatteten ganztägigen Schule für alle zukünftig Priorität haben, um mehr Chancengerechtigkeit zu erreichen.“
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